Berner Landeskirche und Gemeinschaften: miteinander glaubwürdiger
Die reformierte Kirche und die evangelischen Gemeinschaften des Kantons Bern haben in einem Gottesdienst am 17. November eine «Gemeinsame Erklärung» feierlich unterzeichnet. Sie wollen ihre Beziehungen respektvoll gestalten und hoffen, das Evangelium miteinander besser zu den Menschen zu tragen.
In der Petruskirche in Bern setzten Leiter der reformierten Landeskirche, des Evangelischen Gemeinschaftswerks EGW, von Vineyard Bern, Neues Land, Jahu und J-Point ihre Unterschriften unter die Erklärung, die als Frucht fünfjähriger Gespräche ihr Verhältnis beschreibt. Die Erklärung "Unterwegs zum gemeinsamen Zeugnis" sucht die Zusammenarbeit auf dem Boden des Auftrags Jesu zu fördern - durchaus bemerkenswert im Schweizer Kanton mit der grössten protestantischen Vielfalt. Sie benennt, "was uns eint", "wo wir uns reiben" und "wozu wir uns verpflichten".
Reibungsflächen
Die Beteiligten gestehen ihre je eigenen Grenzen und Unvollkommenheit ein und wollen "einander annehmen, wie Christus uns angenommen hat". Sie bezeichnen sich als "Erben der Überzeugungen und Erfahrungen der Reformation und des Protestantismus in der ganzen Vielfalt seiner Ausdrucksformen". Sie sehen sich geeint durch die oberste Autorität der Schrift (sola scriptura), durch die Herrschaft Jesu Christi als Erlöser (solus Christus) und den Glauben an die rettende Gnade (sola gratia, sola fide). Als Reibungsflächen werden genannt: die parochiale Struktur der Landeskirche, das Bibelverständnis, Ethik, Sakramente und Amtshandlungen und namentlich die Taufe, Pfarrerausbildung, Benutzung von Räumen und "Profil und Offenheit".
Konkrete Verpflichtungen
Die Erklärung nimmt die Kirche und die Gemeinschaften in die Pflicht. Sie wollen einander gegenseitig achten, möglichst partnerschaftlich und geschwisterlich wirken und auf die Abwerbung aktiver Gemeindeglieder verzichten. Benachbarte Gemeinden sollen füreinander beten, ihre Leiter Beziehungen pflegen. Weiter verpflichten sich die Unterzeichnenden, "den sakramentalen Charakter der Taufe theologisch ernst zu nehmen und ihr in unserer Praxis Rechnung zu tragen, indem auf die Einmaligkeit der Taufe und den Verzicht der Wiedertaufe hingewirkt wird". Der Unterschied zwischen kirchlichen Gemeinschaften und Freikirchen einerseits und vereinnahmenden religiösen Bewegungen anderseits soll hervorgehoben werden.
Perspektiven kombinieren
Im Gottesdienst kamen diverse Facetten der protestantischen Vielfalt zum Ausdruck - und zugleich der Wille, einander mit Respekt und Wertschätzung zu behandeln. Der reformierte Synodalrat Lucien Boder zitierte den Psalm 133: Wo Brüder in Einheit zusammen sind, hat Gott Segen verheissen. Der Jahu-Leiter Walter Dürr, der mit Boder die Predigt über Jesus und Zachäus hielt, gestand ein: "Unsere Abgrenzungen und Vorverurteilungen kamen uns wie selbstverständlich über die Lippen
... Wir haben gewusst, was wir nicht sind". Im Lauf der Gespräche habe man gelernt, dass auch die andern die Bibel ernst nehmen können, "und wenn es uns gelingt, unsere Perspektiven zu kombinieren, dann sind beide Seiten reicher". Im aktuellen Umbruch werde ein zerstückeltes Zeugnis für Christus immer unglaubwürdiger. Lucien Boder schloss, die Gemeinschaften dürften und müssten ihre je eigenen Charismen pflegen und miteinander darum ringen, den Menschen heute "die Botschaft Gottes klar und schmackhaft zu präsentieren".
Auf Augenhöhe miteinander reden
Mit ihrer pluralistischen Offenheit bietet die Landeskirche Raum für pietistische Bewegungen. So habe die Berner Kirche im 19. Jahrhundert eine Spaltung vermieden, sagte Synodalratspräsident Andreas Zeller. Er würdigte die Arbeit an der Erklärung. In den Gesprächen sei das Verständnis füreinander gewachsen; man verpflichte sich nun, einander zu achten und "Differenzen auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt" zu erörtern. Zeller dankte den Initiatoren und Beteiligten namentlich und erinnerte an die Vereinbarung des Kirchenbunds mit den Westschweizer Freikirchen (1998) und die Gespräche des Synodalrats mit den Mennoniten. Die Erklärung könne "als Modell dienen für ähnliche Prozesse auf regionaler Ebene oder in einzelnen Kirchgemeinden".
Das Evangelium gilt für alle
Christoph Vischer vom EGW unterstrich die Bedeutung der Erklärung für das gemeinsame Zeugnis. "Sie hilft verbinden, was zusammengehört und dem Miteinander dient". Traditionell hätten die Gemeinschaften die sichtbare Einheit der Kirche vernachlässigt und seien Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen. Doch das Evangelium gelte als 'public truth' (Lesslie Newbigin) für alle. "Die gemeinsame Erklärung richtet unsere Blicke auf das Ganze des Reiches Gottes".
Die Gottesdienstbesucher sprachen miteinander das Apostolische Glaubensbekenntnis. Als es zur Unterzeichnung ging, klatschten sie anhaltend Beifall. Mit dem Saxophon improvisierte Bene Müller zum Orgelspiel von Andreas Marti und gab der Feier eine beschwingte Note.
In Erwartung eines grösseren Handelns Gottes
Marius Bühlmann (Vineyard) nahm in seinem Gebet die Bitte Jesu um Einheit (Johannes 17) auf und dankte dafür, dass der Heilige Geist sie schafft und "Liebe, Geduld, Freundlichkeit" reifen lässt. Walter Wieland (Neues Land) bat in der Fürbitte darum, dass Christen auf den Schrei vieler Menschen nach Leben und Fülle geistgeleitet antworten können. Er bat "um einen neuen Aufbruch in unserer postmodernen Zeit". Gottes Kraft, Liebe und Herrlichkeit sei nicht verbraucht, bekannte Wieland. "Wir vertrauen darauf, dass du gerade in unserer Zeit etwas ganz Neues tust, das wir noch nie gesehen haben". Michael Herrmann (J-Point) erbat Einheit von Reformierten und Gemeinschaftsleuten vor Ort, auch in Gottesdiensten. "Hilf uns wirklich aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden, dass wir echt zuhören und gegenseitiges Verständnis wächst".
Die Erklärung «Unterwegs zum gemeinsamen Zeugnis»