Die Thurgauer Landeskirche diskutiert vorwärts

«Bleibt dran, Ihr könnt etwas bewegen!» rief Kirchenratspräsident Wilfried Bührer den 150 Teilnehmenden der Zukunftstagung der Evangelischen Landeskirche Thurgau zu. Nach der Diskussion von zwölf Thesen setzte die Tagung drei Schwerpunkte. Die Versammelten sollten klären, wie sie miteinander Kirche sind. –  Roman Salzmann und Brunhilde Bergmann berichten.

Die Grundlagen zur Zukunftstagung am 10. Februar in der Kartause Ittingen bildeten Vorarbeiten in den Kirchgemeinden, in der Synode und in fachspezifischen, gemeindeübergreifenden Arbeitsgruppen.

In Gruppenarbeiten wurden zwölf verdichtete Thesen diskutiert, angepasst oder bestätigt, um danach im Plenum mit einem «Werbespot» angepriesen zu werden. Die Themen drehten sich um Profil-, Innovations-, Beteiligungs-, Gesellschafts-, Migrations- und Ethikfragen. Ausserdem wurde diskutiert, wie die Kirche die politische Agenda prägen soll, wie sie kommuniziert, wie übergemeindliche Zusammenarbeit aussehen kann, welches  Leitungsverständnis sie hat, was sie unter Mission und Evangelisation versteht und wie sie sich auf dem «religiösen Markt» positioniert.

Drei Spannungsfelder herausgepickt
In einer spontanen Abstimmung wurden die drei wichtigsten Bereiche erkoren. Sie wurden in einer lebhaften Diskussion unter der Leitung der aus dem Radio bekannten Moderatorin Ladina Spiess näher erörtert: Pfarrer Philipp Widler aus Tägerwilen machte keinen Hehl daraus, dass ohne Mission und Evangelisation «niemand mehr hinzukommt und es uns nicht mehr gibt».

Kirchenpräsidentin Brigitta Lampert aus Diessenhofen brachte im Interview die Diskussion ihrer Gruppe auf den Punkt: Die Kirche müsse in der Gesellschaft verankert sein, um im sozialen Umfeld wirken zu können – und: «Wir müssen hinaustreten und dürfen nicht warten, bis die Leute kommen.» Der neue Diessenhofer Pfarrer Gottfried Spieth nahm im Interview die Devise seiner Gruppe auf, dass die Kirche in zehn Jahren mutig, offen und experimentierfreudig sein müsse: «Wir müssen am Puls der Zeit, aber nicht zeitgeistlastig sein.»

Thesen hinterfragt
«Mit allen drei Thesen, die ihr aufs Podest gehievt habt, wollt ihr nach aussen strahlen und Leute in die Kirche hineinziehen», wandte sich Christina Aus der Au, Theologin und Leiterin des Zentrums für Kirchenentwicklung an der Universität Zürich, ans Plenum – bewusst als Querdenkerin und mit kritischen Fragen: «Euch ist offenbar das Äussere wichtiger als das Innere. Wovor habt ihr Angst? Vor Kirchenaustritten?» Dem Anliegen nach verständlicher Sprache entzog sie den Boden: «Habt ihr überhaupt eine Stimme? Braucht ihr eine Stimme? Was wäre, wenn ihr viele Stimmen hättet? Bevor Kirche sich selber vervielfältigen will, muss sie in Vielfalt denken.»

Voraussetzung für jede Änderungsabsicht sei die Frage nach dem inneren Verständnis. Aus der Aus Anliegen: «Bevor wir ein Ziel anvisieren, müssen wir klären, wer wir sind und wie das ‹Wir› aussieht. Erst dann können wir über Profil, Bestand oder Wachsen reden. Radikale Innovation bedingt die Bereitschaft, in Kauf zu nehmen, dass es am Schluss ganz anders herauskommt als erwartet. Sind wir offen dafür?»

Geist einfangen
Moderatorin Ladina Spiess wollte im Podiumsgespräch wissen, welche persönliche Schlussfolgerungen gezogen werden. Hans Bodenmann, Präsident der Kirchgemeinde Braunau, freute sich, dass auch seine, nur 310 Seelen zählende Gemeinde im grossen Kontext des landeskirchlichen Erneuerungsprozesses einbezogen ist: «Denn Thesen ohne Beziehungsarbeit sind nur ein aufgeblasener Ballon.»

Christina Aus der Au wünscht der Thurgauer Kirche, dass sie den Geist der Dynamik und des Zuhörens mitnimmt. Kirchenratspräsident Wilfried Bührer freute sich, dass so viele verschiedene Gemeinden und Generationen mit unterschiedlichen Denkmustern mitwirken und er ihr Vertrauen in die Landeskirche spürt. Und er ergänzte: «Der Heilige Geist ist nicht nur ein Geist der Triebkraft, sondern auch ein Geist der Beharrlichkeit.»

«Auch schmerzhafte Entscheide»
Judith Hübscher, Vizepräsidentin der Synode, freute sich, dass an der Tagung der Dialog eingeübt wurde. Wilfried Bührer meinte mit einem Augenzwinkern, die Tagung sei fast etwas gar zu harmonisch gelaufen, denn man werde sich über den Zukunftsweg nicht immer überall einig sein – und: «Es kann auch schmerzhafte Entscheide geben.»

Jemand machte darauf aufmerksam, die Kirche befinde sich in einer «Zeit des Gegenwindes». Es sei deshalb in den Kirchgemeinden wichtig zu wissen, dass man die Rückendeckung der Kantonalkirche habe. Es sei aber auch die Zeit, mutig Werbung zu machen, hiess es von anderer Seite – nämlich für «den wunderbaren Gott, der unser Leben verändern kann».

In den Rat, dann in die Synode
Bührer appellierte in seinem Schlusswort: «Bleibt daran, Ihr könnt etwas bewegen.» Der Kirchenrat werde die Erkenntnisse nun nochmals bearbeiten und dann der Synode eine Vorlage für die Zukunftsentwicklung der Thurgauer Landeskirche unterbreiten. Die Synode könne festlegen, wo man für die nächsten Jahre dranbleiben soll und welche personellen oder finanziellen Ressourcen nötig sein werden, um etwas in Bewegung zu setzen.
 

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