Reformierte in säkularer Gesellschaft
Während Magistraten wie Kirchenleiter im Jubiläumsjahr die Reformation und ihre Wirkungen würdigten, nahm die religionspolitische Debatte neu Fahrt auf – unter nie dagewesenen Vorzeichen: geschwächte Landeskirchen, säkular gestimmte Eliten und eine unübersichtliche Szene islamischer Gemeinschaften. Derweil fokussierten mehrere Landeskirchen auf ihre Zukunft. – Ein unvollständiges Mosaik.
Die Abgeordneten des Kirchenbundes trafen einen grossen Entscheid, als sie im November beschlossen, ihn in «Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz» (EKS) umzubenennen und sich künftig als Kirchengemeinschaft zu verstehen. Reformierte Kirche sein auf drei Ebenen – vor Ort, kantonal und national. In der neuen Verfassung, die 2018 zu Ende beraten werden soll, ist die Kirchengemeinschaft auf die altkirchlichen Bekenntnisse und reformierten Bekenntnisschriften bezogen.
Nach dem Rücktritt von Peter Schmid (BL) wurde die Thurgauer Kirchenrätin Ruth Pfister-Murbach in den Rat SEK gewählt. Zu reden gaben im Kirchenbund die Eigendynamik von «Brot für alle» und personelle Wechsel bei HEKS (Direktor neu gewählt, Rücktritt von vier Stiftungsräten). Der vom Kirchenbund neu ins Leben gerufene Dachverband Diakonie Schweiz wählte den Aargauer Kirchenrat Beat Maurer zum Präsidenten.
Stabilität und Wandel
Der Berner Grosse Rat beschloss ein Landeskirchengesetz. Es belässt die Finanzierung auf der bisherigen Höhe (begründet mit den Vorgängen von 1804) und überträgt den Kirchen die Anstellungsverhältnisse der Pfarrer.
Der Kanton Zürich zahlt seit 2010 jährlich 50 Millionen Franken für kirchliche Tätigkeiten zugunsten der Gesellschaft (dazu kommen Steuern der Unternehmen). Im Blick auf die nächste Sechsjahresperiode ab 2020 erhoben Politikwissenschaftler der Universität in einer Studie, was die Landeskirchen leisten.
Erfasst wurden insgesamt 86’366 kirchliche Angebote und 1,9 Millionen Arbeitsstunden von Freiwilligen (umgerechnet: 62 Mio. Franken). Die Kirchen seien ihr Geld wert, fasste der Präsident der katholischen Synode Benno Schnüriger das Ergebnis zusammen. Die im Rahmen der Studie durchgeführte Meinungsumfrage ergab ein Desinteresse an Kirche bei jungen Erwachsenen – Befunde, die ähnlich in der Befragung der Rekruten auftraten.
Demografie und Privilegien
Einer Landeskirche gehören aktuell noch 63,4 Prozent der Schweizer Bevölkerung an. Nach einer Erhebung des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut wächst der Anteil der Konfessionslosen weiter. Der Anteil der Reformierten an der Gesamtbevölkerung hat sich zwischen 1950 und 2014 halbiert, von 56,3 auf 25,5 Prozent (Factsheet des SPI).
Die Basler Kirche, für die der Staat keine Kirchensteuern erhebt, rang bei roten Budget-Zahlen um einen Verteilschlüssel, der aktive Gemeinden stärkt. Der Diskurs um die landeskirchlichen Steuer-Privilegien trieb zweierlei Blüten: Einerseits wurde mehrfach angeregt, auch islamischen Gemeinschaften eine (beschränkte) Anerkennung zu ermöglichen; andererseits wurde gefordert, durch die generelle Abschaffung der Privilegien der Kirchen grundsätzlich Gleichheit zu schaffen.
Andere Anerkennung für kleine Gemeinschaften?
In die erste Richtung zielte die Zürcher SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr, die im Dezember Leitsätze des Regierungsrates zur Debatte stellte. Der Kanton St. Gallen gab einen Gesetzesentwurf zur Anerkennung kleinerer Religionsgemeinschaften in die Vernehmlassung. Die Berichte über islamistische Umtriebe, die Radikalisierung von Jugendlichen, Dschihadreisende und islamistische Sozialhilfebezüger bewegten die Öffentlichkeit.
Der Nationalrat überwies eine Motion mit dem Ziel, dass islamische Gebetsstätten und Imame keine Gelder mehr aus dem Ausland annehmen dürfen. Imame hätten zudem in einer Landessprache zu predigen. Im September wurde die Volksinitiative für ein Verhüllungsverbot eingereicht. Die Universität Genf lancierte eine Weiterbildung für Imame, Freiburg und Luzern beriefen islamische Theologen. Der Bundesrat befürwortete muslimische Seelsorger in der Armee. (Mehr zum Umgang mit den islamischen Gemeinschaften in der Schweiz)
Kirchen-Visionen
Die St. Galler Kirchensynode bereinigte und genehmigte das Visionspapier «St.Galler Kirche 2025» mit Leitsätzen für die Entwicklung von Kantonalkirche und Gemeinden. Es war vom Kirchenrat aufgrund der Visitation der Kirchgemeinden erstellt worden, die alle zehn Jahre durchgeführt wird. Die 2016 durchgeführte Visitation in der Luzerner Kirche zielte auf ein klareres Profil.
Die Berner Reformierten feierten am 10. September ihre «Vision Kirche 21» mit einem grossen Fest in der Hauptstadt. Nach neun Gottesdiensten mit eingeladenen Predigern – einer auf dem Bundesplatz – wurde am Nachmittag die Vision verkündet und kommentiert. Zum Fest kamen laut der Kirche gegen 10‘000 Menschen. Verantwortliche betonten, nun gehe es an die Umsetzung der Vision.
Die Aargauer Synodalen hielten im September eine Gesprächssynode über «unsere Vision für eine lebendige Kirche» ab. Die Basler Synode beschloss im November einen Strategieprozess. Der Evangelische Grosse Rat Graubündens bereinigte und billigte im November die revidierte Verfassung. Sie zielt auf zeitgemässe Rahmenbedingungen für kirchliches Leben. Kirchgemeinden sollen in Regionen zusammenarbeiten. Ein erster Entwurf, der 2007 auf die Zusammenlegung zu Grossgemeinden zielte und einen kantonalen Steuersatz vorsah, war gescheitert.
Mega-Fusion!
Die Stadtzürcher Reformierten trieben den Zusammenschluss zu einer Mega-Kirchgemeinde mit 80‘000 Mitgliedern voran. 30 Quartiergemeinden billigten den entsprechenden Vertrag. In Hirzenbach und Witikon beschlossen die Kirchgemeindeversammlungen den Alleingang. Der Kirchenrat respektierte diese Beschlüsse; die vorberatende Kommission der Synode beantragte, die beiden Gemeinden gegen ihren Willen einzugliedern. (Letzteres lehnte die Synode am 16. Januar 2018 ab.)
Eine Vernehmlassung zur Strukturreform KirchGemeindePlus, Anfang Jahr ausgewertet, machte allerdings deutlich, dass eine Mehrheit der Zürcher Kirchgemeinden derzeit nicht fusionieren will. Die Zusammenarbeit mit Nachbargemeinden wird weithin vorgezogen. Der Kirchenrat legte daraufhin «Kirchenregionen» fest, damit keine Gemeinde gegen ihren Willen allein bleibe.
Die zwölf reformierten Kirchgemeinden der Stadt Bern befürworteten in einer Konsultativabstimmung die Aufnahme von Fusionsverhandlungen, mit dem Ziel einer Abstimmung 2019. Die Kirchgemeinde Petrus sah als einzige keinen Vorteil in der Fusion.
Scham über Täuferverfolgung
«Wo heute mein Büro ist, stellte man früher Täufer an den Pranger.» Der Berner Kirchen- und Justizdirektor Christoph Neuhaus bezeichnete anlässlich der Nacht der Religionen im November die Täuferverfolgung als Unrecht. «Auch wenn die Verfolgungen und die Repression 500 Jahre her sind, stehe ich in einer Verbindung mit meinen Vorgängern», erläuterte Neuhaus im Interview seine Betroffenheit. Im Rathaus, vor einer Lesung aus dem Täuferroman «Die Furgge», schilderte er, wie es kam, dass die Täufer als Bedrohung angesehen wurden. «Der Staat wollte eine Volkskirche, in der für alle alles verbindlich galt.»
Nachwuchs
Das Konkordat für die Pfarrerausbildung beschloss, ab September 2018 in Zürich und Basel einen zweiten Quereinsteiger-Studiengang Quest anzubieten, der in vier Jahren (in Teilzeit 5-6 Jahre) zum Pfarramt führt. Für die Absolventen wurde ein Master konzipiert.
Am 10. September wurde in Saint-Légier oberhalb Vevey die Haute Ecole de Théologie HET-PRO feierlich eröffnet. Mit der Fachhochschule suchen die bekennenden Protestanten in der Romandie der Krise der Pfarrerausbildung in der Region zu begegnen, durch gesellschaftsrelevante und biblisch orientierte Theologie. Die HET-PRO wird die eidgenössische Anerkennung für ihre Bachelor- und Master-Abschlüsse beantragen.
Schlagzeilen in den Medien (und einen Protest des Kirchenbunds) verursachte der Beschluss des Bundesamts für Sport, freikirchliche Jungscharen von der J+S-Förderung auszuschliessen. Die bibelorientierten Verbände protestierten erfolgreich. Im Dezember beschloss jedoch der Jungscharenverband BESJ, der nun geplanten Dachorganisation «Ausbildung plus» fernzubleiben. Die vom BASPO geforderte Umwandlung der örtlichen BESJ-Gruppen in Vereine wurde abgelehnt, da dies sie von ihren Gemeinden lösen würde.
Zum Reformationsjubiläum baute der Cevi Zürich Oberland im Sommerlager im Rafzerfeld ein zwölf Meter hohes Grossmünster aus 500 Militärblachen. Es bot 700 Kindern und Jugendlichen Platz. Unter dem Lagermotto «Mächtiger als Waffen» wurde vom zweiten Zürcher Reformator Heinrich Bullinger erzählt.
Als Rektor des Theologisch-Diakonisches Seminars TDS Aarau wurde Christoph Schwarz gewählt. Er übernahm im Sommer die Leitung von Paul Kleiner, der ins Pfarramt wechselte. Schwarz war seit 2010 Dozent am TDS.
Gott feiern
Die zweite Basler «Nacht des Glaubens» am 2. Juni fiel zusammen mit der Meisterfeier des FC Basel im St. Jakob-Park und musste deswegen redimensioniert werden. 25 Veranstaltungen mit mehr als 200 Künstlerinnen und Künstlern wurden geboten; auf den Münsterplatz kamen 2‘500 Besucher. Kirchenratspräsident Lukas Kundert unterstrich die Verbindung von Kunst und Kirche. «Kunst bildet das ab, was nicht sichtbar ist und doch dahinter steht.» Das treffe auch auf Gott zu.
Die Liturgie- und Gesangbuchkonferenz der evangelisch-reformierten Kirche der deutschsprachigen Schweiz schaltete eine neue Webseite auf, eine Fundgrube für alle, welche Gottesdienste gestalten. www.gottesdienst-ref.ch enthält Informationen und Materialien zu Gottesdienst, Liturgie und Musik.
Die Reformierten bildeten die grösste Gruppen unter den 6'000 Personen, die am Jahresende an der EXPLO-Konferenz «Neuland» in der Messe Luzern teilnahmen. Gottfried Locher vom SEK hielt eine Ansprache, Brüder von Taizé gestalteten eine Besinnung. Die Konferenz hatte zahlreiche ökumenische Akzente, darunter eine Lichterfeier im Reussbecken am Silvesterabend.
Reformierte Medien im Niedergang
Die Pfarrerin Pascale Huber wurde im Frühjahr Geschäftsführerin der Reformierten Medien, mit dem Auftrag, die Strategie nach einem Defizit 2016 anzupassen. Im Herbst mussten die Reformierten Medien den Austritt der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn per Ende 2018 zur Kenntnis nehmen. Der Synodalrat beschloss ihn wegen des unbefriedigenden Magazins «bref». Der Beschluss wurde im Dezember von der Synode bestätigt.