«Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz»

Nägel mit Köpfen machten die Abgeordneten des Kirchenbundes nach jahrelangen Vorarbeiten an ihrer Herbstversammlung am 6./7. November in Bern: Sie behandelten in erster Lesung die Eingangsartikel zum Namen, Selbstverständnis und Auftrag ihrer Gemeinschaft, die künftig «Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz» (EKS) heissen soll. Dabei wurde nach knappen Positionsbezügen per Mehrheit entschieden. Viele Änderungsanträge namentlich der Berner Delegation hatten Erfolg. Auf Begehren der Romands werden die Kirchen der EKS als Mitgliedkirchen bezeichnet.

Die 65 Abgeordneten des SEK traten nach auseinanderstrebenden Voten auf den Verfassungsentwurf des Rates ein. Dabei ging es immer wieder um die Grundfrage, in welchem Sinne die SEK-Kirchen miteinander Kirche sind und was das für sie selbst bedeutet.

Der Rat des Kirchenbundes fand für den neuen Namen «Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz» und das Kürzel EKS – ohne das im Branding des Reformationsjubiläums dominante R – klare Zustimmung. Dass einige Kantonalkirchen den Spielraum der national Verantwortlichen mit zusätzlichen Bestimmungen festzurren wollten, verwundert nicht. Die Berner suchten vieles von ihrem Kirchenverständnis in der neuen Verfassung zu verankern – mit Erfolg.

Welches Kirchenbild frommt den Reformierten?
Eingangs hatte Ratspräsident Gottfried Locher an die Versammlung appelliert, Wichtiges im Auge zu behalten, namentlich die Ebenen des Kirche-Seins. Der GPK-Sprecher Iwan Schulthess dankte für den Entwurf. Dem nach der Vernehmlassung 2016 in manchen Punkten geänderten Text mangle allerdings Offenheit und der reformierte Ansatz, Kirche im Dialog zu entwickeln. Denn Reformiert-Sein geschehe von unten nach oben.

Iwan Schulthess, Sprecher der Geschäftsprüfungskommission

Mit Verweis auf die Jubiläumskampagne «quer denken – frei handeln – neu glauben» wünschte Schulthess der EKS ein Kirchenbild, «wo die Gleichwertigkeit mitgedacht und wo auf Augenhöhe debattiert wird. Wo man einander dient und menschliche und kirchliche Gewohnheiten auch mal auf den Kopf gestellt werden.»

Eine Kirche – Gemeinschaft von Kirchen
Der Waadtländer Laurent Zumstein stellte eine Hauptfrage: «Wollen wir eine Kirche sein oder eine Gemeinschaft von Kirchen?» Die Kantonalkirchen seien entweder Teile eines Ganzen oder Partner: «Man kann nicht synodale Kirche auf zwei Ebenen sein.»

Der St. Galler Martin Schmidt hingegen mahnte, der Kirche auf drei Ebenen eine Chance zu geben. Der Bündner Andreas Thöny diagnostizierte im Entwurf eine leicht zentralistische und «sakralisierende» Tendenz. Der Zürcher Thomas Plaz entgegnete, die Kantonalkirchen blieben selbständig «in der alten Tradition helvetischer Eigenborstigkeit».

Der Berner Andreas Zeller monierte, der Rat SEK sei in manchem der Vernehmlassungsantwort aus Bern nicht gefolgt; die Neuerungen hätten den Kantonalkirchen in einer weiteren Vernehmlassung vorgelegt werden sollen. Das «hierarchische, konservative Kirchenbild», das nun zum Vorschein komme, entspreche nicht dem Berner reformierten Kirchenverständnis.

Claudia Haslebacher leitete die Versammlung.

Gottfried Locher wies auf die Nachteile weiterer Verzögerungen hin. Und entgegnete, dass der Rat unter dem Namen EKS nichts anderes als eine Kirchengemeinschaft vorschlägt. Die Reformierten würden von ihrem Gegenüber in der Gesellschaft faktisch als Kirche angesehen. «Die reformierte Kirche lebt auf drei Ebenen.» Die Versammlung trat ohne Gegenstimmen auf die Vorlage ein.

Drei miteinander verquickte Ebenen
Es folgten Voten zum gesamten Text. Die Nordwestschweizer Kirchen hätten in manchen Punkten keine Einigkeit erzielt, sagte ihr Sprecher Martin Stingelin (BL). Die drei Ebenen (Ort-Kanton-Bund) seien nicht sauber definiert und auseinandergehalten. «Es muss sprachlich klar sein, wo die EKS als Kirchengemeinschaft, wo die Mitgliedkirchen und wo die EKS als Dachorganisation gemeint ist.»

Der Methodist Markus Hafner wünschte, dass sich seine EMK an der Weiterentwicklung als Vollmitglied wirken könne, und warb für den 2016 vorgeschlagenen Namen Evangelische Kirche Schweiz. «Dies macht den grösseren Horizont von Kirchengemeinschaft deutlich.» Der Berner Peter Winzeler mahnte: «Wenn alles definiert wird, ist der Geist draussen.»

Im zweiten seiner wenigen kurzen Voten verwies Gottfried Locher auf das Subsidiaritätsprinzip (was vor Ort und im Kanton getan werden kann, wird da verantwortet). Der Rat strebe klar eine synodale Leitung der Kirche an. «Wir meinen, einige Sicherheits- und Auffanglinien aufgebaut zu haben.»

Nordwestschweizer uneinig: Martin Stingelin, Präsident der Baselbieter Reformierten

Sorgfältig und ruhig führte Claudia Haslebacher (EMK) mit Pierre de Salis als kompetentem Übersetzer und Michel Müller als zweitem Vize durch die Beratung. 

Einfacher Name!
Wie soll der Kirchenbund umbenannt werden? Der Vorschlag des Rates, die Kirchengemeinschaft «Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz» (EKS – Abkürzung ohne das R) zu nennen, obsiegte in der Debatte, in der das Verbleiben bei «Kirchenbund» sowie die Mehrzahl «Evangelisch-reformierte Kirchen Schweiz» beantragt wurden.

Die Abgeordneten beherzigten dabei die Mahnung des Glarner Ratsmitglieds Ueli Knöpfel, die öffentliche Wahrnehmung verlange einen einfachen Namen, eine prägnante Marke. Überraschend votierten sie für die Verlegung des Eingangssatzes in den ersten Paragrafen des Grundlagenteils.

Am Dienstag Vormittag – nach der Verleihung des Predigtpreises und dem Abendmahlsgottesdienst –  verhedderte sich die Versammlung bei der Frage, ob in der ersten Lesung für jeden Artikel eine Schlussabstimmung durchzuführen ist.

Bekenntnishafte Präambel
Der Eingangssatz der Präambel gab länger zu reden. Der Methodist Markus Hafner wollte im Blick auf die multireligiöse Schweiz (islamisches Missverständnis der Trinität) den «Glauben an den dreieinen Gott» verankert haben. Der Berner Fritz Wegelin kritisierte eine Verengung und forderte Formulierungen für den «durchschnittlichen Protestanten», im Anschluss an Kurt Marti und das sog. Credo von Kappel. Monika Hirt von der SEK-Frauenkonferenz wünschte «Heilige Geistkraft» in der Präambel.

Engagiert: Frauen stellen ein gutes Viertel der Delegierten.

Für die Bündner beantragte Miriam Neubert, die ganze Präambel zu streichen, da sie zu stark Bekenntnis-Charakter habe. Der St. Galler Heinz Fäh unterstrich die Funktion der Präambel als Visitenkarte – sie lohne eine profunde Debatte. Wichtiger als Originalität sei, «dass wir uns in den Strom einer Tradition stellen können». Jenen die auf den Heiligen Geist als «Tröster und Beistand» verzichten wollten, bedeutete Fäh, die Reformierten könnten künftig den Trost des Geistes bitter nötig haben.

Der Berner Peter Winzeler schlug vor, den Heiligen Geist als die Macht zu bezeichnen, die «die Gemeinschaft der Kirchen lebendig macht» (Berner Antrag). Eher Kraft, meinte Monika Hirt. Martin Stingelin bezweifelte, mit Macht/Kraft sei der Heilige Geist angemessen erwähnt. In den Abstimmungen ging der Vorschlag des Rates klar durch.

Auftrag
Der Paragraf 1 zum Auftrag der EKS wurde vor allem von den Vertretern von Bern-Jura-Solothurn bestritten. Pia Grossholz mahnte an, das Verhältnis zur Gesellschaft einzufügen – und dass die Reformierten als Volkskirche allen das Evangelium zu sagen haben. Die St. Gallerin Barbara Damaschke sprach sich für «Gottesdienst und Sakramente» statt «Predigt und Sakramente» als erste Weisen der Verkündigung aus. Grossholz beantragte, im Kontext des Engagements für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einen «gesellschaftlichen Auftrag» zu erwähnen.

Tag der Entscheide: Gottfried Locher und Pia Grossholz

Sie brachte einen weiteren Absatz ein: «Sie (die EKS) lädt alle Menschen unabhängig vom sozialen oder kulturellen Hintergrund zur versöhnten Gemeinschaft ein.» Kaum diskutiert, erhielten diese Anträge alle deutliche Mehrheiten.

Der Boden der Tradition
Die Berner opponierten auch der vorgelegten Fassung des Paragrafen 2 «Herkunft und Zeugnis». Andreas Zeller kritisierte Änderungen nach der Vernehmlassung. Dass der christliche Glaube in altkirchlichen Bekenntnissen gültigen Ausdruck – auch für heute – gefunden hat, war zwar unbestritten. Doch, so Zeller, hätten für liberale Reformierte kirchliche Bekenntnisse relativen Wert – je für ihre Zeit. Die Hervorhebung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses sei nicht angebracht. Den Streit, der die Reformierten nach 1850 bitter entzweit habe, könne man mit dieser Formulierung nicht lösen.

Anders votierte der Zürcher Thomas Grossenbacher: Wenn schon das Apostolikum, dann solle auch das Nicäno-Constantinopolitanum Erwähnung finden, nicht zuletzt wegen seiner kulturellen Bedeutung (lateinische Messe). Willi Honegger (ZH) befand, die Hervorhebung des Apostolikums mache Sinn, da es weltweit im Gebrauch sei und den Glaubensinhalt trefflich zusammenfasse. «Wir verstehen Bekenntnis nicht mehr als Ausschluss- oder Zugehörigkeitskriterium – eher als Lobpreis der grossen Taten Gottes.» Dem Apostolikum gebühre eine neue Chance.

Tradition im Bewusstsein halten: Thomas Grossenbacher

In der Ökumene
Der St. Galler Heinz Fäh bezeichnete den Vorschlag des SEK als hilfreichen «Schritt weiter in der Ökumene». Die Reformierten seien «auch katholisch – bloss nicht römisch-katholisch». Sabine Brändlin vom Rat SEK bemerkte, wenn sie die Aargauer Jubiläums-Liturgie in Gemeinden vorstelle, werde das Apostolikum nie hinterfragt.

Nach der Mittagspause legte Martin Stingelin für den Paragrafen einen Vorschlag vor, den er als Kompromiss hinstellte: zwar den Dreischritt altkirchliche Glaubensbekenntnisse-reformatorische Bekenntnisse-zeitgemässer Ausdruck des Glaubens beizubehalten (was Gottfried Locher als Hauptsache bezeichnete), doch das Apostolikum nicht zu erwähnen. Die Versammelten billigten dies mit einzelnen Gegenstimmen und nahmen den von Grossholz vorgeschlagenen Zusatz an: «Sie führt die Reformation weiter.»

Teil der «katholischen» Kirche?
Für eine Änderung im ersten Absatz des Paragrafen 3 «Einheit in Vielfalt“ trat Philippe Blaser, Sprecher der Romands, ans Mikrofon. Er beantragte eine «existentielle» Ausdrucksweise: «Die EKS lebt als Kirche auf drei Ebenen» (statt: «ist»). Die Luzernerin Ursula Stämmer-Horst forderte, die weltweite Kirche solle als «allgemeine», nicht als «katholische» bezeichnet werden. Das Letztere verstehe die Basis nicht. Dagegen hielt der Basler Lukas Kundert: «Katholisch» meine «die Kirche, wo Christus anwesend ist». Fachausdrücke seien nicht in Predigten, aber in Rechtstexten angebracht. Bern votierte für «allgemein». Beide Änderungen wurden deutlich gebilligt.

Nicht zufrieden: Andreas Zeller, Bern

Die Berner Sprecherin Pia Grossholz wollte zudem in einem neuen Absatz das Zusammenwirken mit anderen Kirchen und die Ausrichtung auf die Gesellschaft festgehalten haben. Auch die Bestimmung zur Einbettung in kontinentale und weltweite Verbünde solle anders formuliert werden. Die zwei Anträge fanden klare Mehrheiten.

Kantonal und landesweit reformiert
Im Paragrafen 4 «Gemeinsam Kirche sein» wollte Pia Grossholz das Wirken für den Frieden zwischen den Religionen und die Religionsfreiheit vorangestellt haben. Der Solothurner Werner Berger opponierte: Dies gehöre nicht in den Grundlagenteil. Grossholz gab nach.

Einen weitreichenden Antrag stellte Philippe Blaser für die Westschweizer Kirchen. «Die EKS und ihre Kirchen» suggeriere eine Zugehörigkeit der kantonalen Kirchen, doch diese seien nicht Küken unter den Fittichen der grossen nationalen Kirche, sondern machten sie aus. Daher seien sie durchgehend als «Mitgliedkirchen» (églises membres) zu bezeichnen. Weiter beantragte der Romand, in einer Fussnote die eidgenössische Definition des Subsidiaritätsprinzips einzufügen. Beide Anträge wurden angenommen.

Die Anträge wurden zweisprachig projiziert.

Keine Mehrheit fand der Berner Antrag, einen weiteren Absatz einzufügen: «Die EKS trägt zur zwischenkirchlichen Information und Koordination bei; ihre Tätigkeiten stimmt sie mit denjenigen der sprachregionalen Organisationen ab.»

Nationaler Kitt
Der Paragraf 5, mit dem der zweite Verfassungsteil (Aufgaben) anfängt, benennt die innerkirchlichen Aufgaben. Der Thuner Willy Bühler und der Sprecher der Romands wünschten statt «…fördert die Gemeinschaft unter ihren Kirchen» eine stärkere Formulierung: «…trägt zum Zusammenhalt unter den Mitgliedkirchen bei». Die theologische und ethische Grundlagenarbeit solle stärker auf die Bedürfnisse der Kantonalkirchen bezogen werden, sagte Blaser weiter.

Beide Anträge hatten Erfolg, im Unterschied zum Vorschlag des Tessiners Thomas Ulbrich, die EKS zur Zusammenarbeit mit den evangelischen Universitätsfakultäten zu verpflichten. Andreas Zeller äusserte, dies werde in den Kantonen wahrgenommen. Die Berner drangen auch mit dem Antrag durch, als Ziel der Anregungen die Verständigung unter den Mitgliedkirchen festzuhalten. Weiter beschlossen die Abgeordneten, die EKS als ganze solle «auf ihrer Ebene das geistliche Leben» fördern – dies solle nicht dem Präsidenten allein übertragen sein.

Thomas Müry brachte die Lage der reformierten Auslandschweizergemeinden zur Sprache.

Für Frieden zwischen den Religionen
Auf den Paragrafen 5 zu innerkirchlichen Aufgaben folgt der 6. zu Aussenbeziehungen. Hier verstärkte die Versammlung den interreligiösen Akzent, wie von Bern (schon für Paragraf 4) gefordert, mit dem Satz: «Sie setzt sich insbesondere ein für Verständnis und Achtung unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften» (viele Gegenstimmen). Die Berner fanden auch Gehör mit ihrem Antrag, dass die EKS bei den Beziehungen zur Eidgenossenschaft – einem Kerngeschäft – «die Anliegen ihrer Mitgliedkirchen» zu vertreten hat.

Die erste Lesung des Verfassungsentwurfs von 41 Paragrafen, der eine dreigliedrige Leitung der EKS (Präsidium, Rat und nationale Synode) vorsieht, wird im April 2018 abgeschlossen. Die zweite Lesung ist für Juni und die Schlussabstimmung für Advent 2018 geplant.

(Die behandelten Paragrafen werden, wenn veröffentlicht, hier dokumentiert.)