Der Heilige der Schweizer
Kaum eine Gestalt hat die Schweizer über die Jahrhunderte so bewegt, wenige sind so unterschiedlich betrachtet worden wie Niklaus von Flüe. Am ökumenischen Gedenktag «Gemeinsam zur Mitte» in Zug am 1. April haben Katholiken und Reformierte Bruder Klaus und Zwingli gemeinsam erinnert. LKF sprach mit dem OK-Präsidenten Pfr. Fritz Gloor.
LKF: Wie feiern die Innerschweizer Bruder Klaus?
Fritz Gloor: Die traditionelle Verehrung an Wallfahrten geht zurück. Anderseits staune ich darüber, wie stark Bruder Klaus verankert ist, v.a. in der katholischen Bevölkerung Obwaldens. Sehr stark ist auch die Identifikation der Obwaldner mit ihm. Nicht nur religiös. Bruder Klaus ist interessant für Suchende in allen möglichen Bereichen. Man versucht dementsprechend Menschen in der Region und darüber hinaus für ihn zu interessieren. Für das Visionsgedenkspiel engagieren sich unheimlich viele Leute. Schulklassen besuchen in anderen Kantonen Schulklassen, um ihnen von Bruder Klaus zu erzählen. So wird die Identifikation mit ihm auch bei Jugendlichen gefördert.
Er ist ein Muster an Frömmigkeit, Beständigkeit, Konzentration …
Bei der traditionell katholischen Bevölkerung spielt die Frömmigkeit immer mit. Und dass er einen eigenen Weg ging, beeindruckt. Für viele wird das Verhältnis zu seiner Frau wichtiger, die Geschichte der Trennung: dass sie ihn gehen und seinen Weg machen liess. Dass sie ihm ermöglichte, auch als politischer Vermittler zu wirken, wird neu betont. Es laufen Bestrebungen, Dorothea von Flüe heiligzusprechen. Bruder Klaus gibt es tatsächlich nicht ohne sie.
Die Obwaldner sehen ihn als Garanten für Rechtgläubigkeit?
Über Jahrhunderte galt er als Symbol des Katholizismus. In der Gegenreformation wurde er als Prophet gegen die Reformation dargestellt: dass er die Reformation vorausgesagt und sozusagen als Fels in der Brandung gegen alles Reformatorische gestanden habe. Das spielte lange eine grosse Rolle und ist vielleicht im Unterbewusstsein immer noch da.
Niklaus von Flüe war auch kirchenkritisch.
Oh ja. Im allgemeinen Bewusstsein ist das aber nicht wirklich verankert. Dass er gegen das Reislaufen und Eigennutz kämpfte, ist in der katholischen Verehrung in den Hintergrund getreten, stärker als bei Franziskus, der seine Armut so krass zum Programm machte. Bruder Klaus polarisierte nicht; er vermittelte.
Was stellen Sie in Ihrem Buch «Bruder Klaus und die Reformierten» heraus?
Es ging mir nicht darum, über Niklaus von Flüe und sein Leben zu schreiben. Das haben hundert andere getan. Sondern: Wie wurde er von Reformierten wahrgenommen? Zwingli und Bullinger sahen ihn – ganz selbstverständlich – als einen der Ihren. Die Konfessionen gab es für sie noch nicht. Ich verfolge die Entwicklung bis ins 20. Jahrhundert. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen spielte er eine grosse Rolle. Den Katholiken war er Symbol des Katholizismus, den Reformierten Mann der Versöhnung, der nach der Reformation – hätte er da gelebt – zu vermitteln versucht hätte. Sein versöhnendes Handeln projizierte man auf die eigene Zeit. Das versuche ich darzustellen.
Zudem suche ich eine ökumenische Erinnerungskultur zu fördern: dass nicht jede Konfession mit ihren Augen auf das Phänomen Bruder Klaus und das Ereignis der Reformation zurückblickt, sondern man einen ökumenischen Blick anstrebt, indem man die Erinnerung der anderen ernst nimmt.
Und dies ist in den heutigen Tag eingeflossen?
Ja. Dies habe ich in das OK eingebracht. Ich habe es geleitet. Und war überrascht, wie stark das Engagement auf beiden Seiten war, in Zug, aber auch im Kirchenbund und in der Bischofskonferenz – und dies nach anfänglicher Skepsis.
Skepsis warum?
Der Kirchenbund wollte im Rahmen von 500 Jahr Reformation immer etwas Ökumenisches machen. Ich regte an, die Feier mit Bruder Klaus zu gestalten. Das war nicht ganz einfach für den Kirchenbund. Er wollte die Feier selbst ausrichten. Und: wie würde ein katholischer Ort wirken? Auch die Diskussionen über die Heiligsprechung wirkten nach. Das ist legitim: Wir Reformierten lehnen die Heiligenverehrung nach wie vor ab. Doch diese steht bei der heutigen Veranstaltung auch für die Katholiken nicht im Vordergrund (im Herbst werden sie das noch zur Genüge tun).
Fritz Gloor: Bruder Klaus und die Reformierten
Der Landesheilige zwischen den Konfessionen
TVZ Zürich, 2017, 136 Seiten, 978-3-290-17891-8