Mit Katholiken zusammenarbeiten
Die Schweizerische Evangelische Allianz SEA hat an ihrer Delegiertenversammlung das Verhältnis der Evangelischen zur römisch-katholischen Kirche und zu Katholiken vor Ort diskutiert. In einem Papier empfiehlt der Dachverband den Sektionen, «auf lokaler Ebene das Miteinander aller christlichen Kirchen zu suchen und Beziehungen zu pflegen». Thomas Schirrmacher von der WEA schilderte erstaunliche Veränderungen im Vatikan.
«Wir können uns nicht mehr aus dem Weg gehen. Wir begegnen uns auf der Strasse, in der Politik.» Die bibelorientierten konservativen Christen (Evangelikalen) und die Katholiken stellen weltweit die grössten Gruppen der Christenheit dar. Darum sei es nicht erstaunlich, dass man miteinander rede, sagte Schirrmacher am 20. Mai in Bern vor den SEA-Delegierten.
Unter Papst Franziskus seien die Zugangshürden des vatikanischen Hofstaates gefallen. Dieser Papst sei für jeden Mitarbeiter in seinem Staat bei jeder Mahlzeit zugänglich, bemerkte Schirrmacher, der als Weltallianz-Vertreter den Vatikan über 20 Mal besucht und das Buch «Kaffeepause mit dem Papst» geschrieben hat.
Sensationelle Schritte des Papstes
Thomas Schirrmacher hob hervor, was die römisch-katholische Kirche und bibelorientierte Protestanten einander nahe bringt: Die Hochachtung der Heiligen Schrift als des Wortes Gottes (sichtbar auch in den Jesus-Büchern von Papst Benedikt) und ethische Positionen. Sensationell war dann der Wille von Papst Franziskus, zum Gottesdienst im schwedischen Lund gemeinsam mit den Lutheranern einzuladen. Er habe da Luthers Anliegen – als einziger – zusammengefasst, sagte Schirrmacher: «eine völlig neue Situation».
Weiterhin gibt es Länder, in denen die katholische Hierarchie sich mächtig gebärdet. Schirrmacher räumte ein, dass evangelische Christen da den Umbruch noch nicht spüren und noch an den Rand gedrängt werden (Spanien, Brasilien). Doch wachse der bibelorientierte, teils charismatische Flügel in der katholischen Kirche weltweit am stärksten – der Papst, der erste nicht-europäische Pontifex, gehöre ihm an.
«Enorme Möglichkeiten der Normalisierung»
Daher sieht Thomas Schirrmacher «enorme Möglichkeiten der Normalisierung». Offene theologische Gespräche seien möglich; der gemeinsame Einsatz für die Religionsfreiheit dränge sich auf. Der Vatikan, der Weltrat der Kirchen und die Weltallianz haben 2011 in einer historischen Erklärung gemeinsam betont, dass Mission den Kern von Kirche ausmacht (das Ziel der Evangelischen Allianz seit ihrer Gründung 1846!). Für die Evangelikalen ist Mission untrennbar mit Religionsfreiheit verbunden: ungehindertes Zeugnis von Christus und die Freiheit, sich für ihn zu entscheiden. Dies habe das Zweite Vatikanische Konzil aufgegriffen.
Die tiefgreifenden theologischen Unterschiede können laut dem WEA-Theologen im Gespräch aufgenommen werden. Schirrmacher zeigte sich beeindruckt von den aussagekräftigen Bibelarbeiten des Papstes, der damit eine Richtung vorgebe und auch mit Kardinalsernennungen Akzente setze. «Wenn der Nachfolger auf derselben Linie bleibt, wird es Änderungen geben.»
Hindernisse bleiben
Als Hindernis für die Annäherung erwähnte Thomas Schirrmacher das dogmatisierte Papsttum (nicht aber den Sakramentalismus). An der ebenfalls dogmatisch fixierten Marienverehrung stösst er sich am stärksten. Einen Gottesdienst mit Anrufung Marias könnten Evangelikale nicht mitfeiern. Johannes Paul II. habe häufiger von Maria als von Jesus gesprochen und Länder Maria geweiht, bemerkte Schirrmacher. Sein deutscher Nachfolger habe das «radikal zurückgefahren».Das Apostolische Schreiben von Papst Franziskus über Evangelisation könnten Evangelikale bejahen – doch die Glaubenskongregation habe ein Kapitel zu Maria an den Schluss gestellt. 500 Jahre nach Luther und Zwingli haben sich nach Schirrmacher die Zeiten geändert: Im säkularisierten Umfeld sollen Christen soweit möglich gemeinsam für Gerechtigkeit eintreten «und jede Möglichkeit für vertrauensbildende Massnahmen benutzen».
Am Ort miteinander gehen
Die Schweizerische Evangelische Allianz hat zu den Fragen ein Papier erstellen lassen. Verfasser sind Chrischona-Dozent Werner Neuer und Jürg Buchegger, Buchs SG. Sie plädieren 500 Jahre nach der Reformation, 50 Jahre nach dem letzten Konzil und bald 20 Jahre nach der Erklärung zur Rechtfertigungslehre dafür, «das Verhältnis zur römischen Kirche neu zu bestimmen». Die Pflege von Gemeinsamkeiten und die Zusammenarbeit sind laut dem Papier von der lokalen Situation abhängig. Wenn möglich, sollten SEA-Sektionen sie pflegen – denn «das neutestamentliche Zeugnis verpflichtet uns, die Einheit der Christen zu suchen».
Die evangelisch-katholischen Differenzen werden im Papier ausgeführt. Da die SEA keine Kirche ist, behandelt es nicht Fragen einer gegenseitigen kirchlichen Anerkennung. Der Dachverband bietet katholischen Pfarreien indes einen Gaststatus in seinen lokalen Sektionen an. Und allenfalls die Mitgliedschaft. Ermutigt wird vor allem zur Beteiligung an öffentlichen Anlässen, zu gemeinsamem Zeugnis in der Gesellschaft (z.B. Aktionen für verfolgte Christen) und gemeinsamen Feiern. «Dabei geht es darum, nicht mehr nur auf das zu sehen, was uns Jahrhunderte lang getrennt hat, sondern umgekehrt einmal das in den Vordergrund zu stellen, was uns auch immer gemeinsam war, nämlich der in Jesus Christus inkarnierte Gott mit seinem Leben, Wirken, Sterben und Auferstehen».
Stiftung für Ehrenkodex
Die jährliche Delegiertenversammlung der Deutschschweizer Evangelischen Allianz nahm Rechnung und Jahresbericht ohne Gegenstimmen ab. Für 2017 budgetiert die SEA höhere Personalausgaben. Christian Haslebacher, aus dem Vorstand zurückgetreten, wurde verabschiedet.
Die SEA gründet im Sommer eine Stiftung Ehrenkodex. Damit wird die ZEWO-Alternative auf eine stärkere, selbständigere Grundlage gestellt. Ende 2016 hatten 86 Organisationen mit total 242 Mio. Franken das Gütesiegel. Der Stiftungsrat wird von der nationalen Versammlung der SEA gewählt; Marc Jost soll ihn präsidieren. Bisher wurden gemeinnützige christliche Organisationen zertifiziert. Neu sollen auch steuerbefreite christliche Kirchen zertifiziert werden. Ein transparentes Punktesystem bezieht zahlreiche Aspekte ein: Organisationen können im Prozess der Zertifizierung weitergeführt werden.