Jesus ist mehr als ein grosser Weiser
Das Evangelium von der Befreiung durch Jesus Christus ist 500 Jahre nach der Reformation immer noch fremd und sperrig. «Dieses Fremde zu sagen, macht Kirche relevant», sagte der Gemeindeforscher Michael Herbst am 23. März am Gemeindekongress DYNAMISSIO in Berlin. Der Kongress verband die Besinnung auf Grundlage, Gemeinschaftsdimension und Sendung der Kirche mit Ansagen zu gesellschaftlichen Fragen.
Herbst sprach von der gefährlichen Verkürzung, Jesus nur noch als Vorbild zu sehen, dem es nachzueifern gelte: «Jesus als großer Weiser, aus dessen Worten wir lernen, wie ein gutes Leben, wie Nächstenliebe und der Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit aussehen können.» Mit einem Abendmahlsgottesdienst im Berliner Velodrom ging am 25. März der dreitägige missionarische Gemeindekongress DYNAMISSIO zu Ende. Der Kongress verband die Besinnung auf Grundlage, Gemeinschaftsdimension und Sendung der Kirche mit Ansagen zu gesellschaftlichen Fragen.
Veranstaltet hatten DYNAMISSIO Landes- und Freikirchen, Verbände und Initiativen – zum erstenmal miteinander. «Und wir werden uns diese Gemeinschaft nicht mehr nehmen lassen», sagte Michael Diener vom Gnadauer Gemeinschaftsverband. Die 2‘200 Teilnehmenden rief er in seinem Sendungswort auf, den Blick auf das Gelingende zu richten. «Vieles ist auch heute schon gut: Schaut euch diesen Kongress an.»
Taten sind nicht genug
Michael Herbst, Theologieprofessor in Greifswald, stellte Luthers Rechtfertigungslehre in den Mittelpunkt und warb für eine Rückkehr zu diesem «Glutkern reformatorischer Theologie». Gegen christliche Tugenden und den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit sei nichts einzuwenden: «Nur ist Jesus eben nicht zuerst und nicht vor allem ein Vorbild oder Beispiel. Er ist zuerst und vor allem eine Gabe und ein Geschenk an uns.»
Wenn Christen sagten, gute Taten seien eigentlich genug und Worte eigentlich nebensächlich, «dann entziehen wir sogar dem anderen, was er braucht. Denn die guten Taten verweisen für sich nur auf uns und nicht auf Jesus. Gute Taten mit guten Worten, die von Jesus erzählen, gönnen dem Nächsten nicht nur ein Vorbild, sondern eine Gabe und ein Geschenk.» So müsse es bei aller Erneuerung der Kirche und im Gedenken an die Reformation immer darum gehen: «Wir sind Gott recht, ohne Werke des Gesetzes, allein aus Glauben, allein um Jesu willen.»
Voneinander lernen
Der Kongress verband die Besinnung auf Grundlage, Gemeinschaftsdimension und Sendung der Kirche mit Ansagen zu gesellschaftlichen Fragen. Neben den Vorträgen im Velodrom fanden in ganz Berlin an insgesamt 124 Veranstaltungsorten in Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen Foren, Seminare und Workshops statt, unter anderem mit dem Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder.
Der Vorsitzende des Kongressvorstands, Erhard Berneburg, betonte vor Journalisten die grosse Bandbreite der Veranstaltung: «Das hat es so in Deutschland noch nicht gegeben. Wir brauchen diesen Austausch und das Lernen voneinander für die missionarische Bewegung.»
In Christus verwurzelt und mutig
Die Kirche sei ein wichtiges Bindeglied «zwischen der Erlösungserfahrung des Einzelnen und dem angebrochenen Reich Gottes», sagte der Pastor der Braunschweiger Friedenskirche, Heinrich Christian Rust «Eine starke Mission ist nachhaltig nur durch starke Gemeinden möglich.» Stark nicht unbedingt durch ihre Mitgliederzahl – sondern dadurch, dass «in ihnen der Geist Jesu pulsiert».
Gott möchte, dass seine Kirche kontemplativ, mitfühlend und mutig ist. Dies betonte der anglikanische Bischof von Oxford Steven Croft in Berlin. «Wir sind der Leib Christi in der Welt, und wir sind dafür bestimmt, wie er zu sein.» Croft verwies auf die Seligpreisungen, die den Charakter von Christus beschreiben. «Kein einzelner Mensch kann so sein. Aber als Kirche zusammen können wir dieses Ideal anstreben und diese Eigenschaften verkörpern.»
Kontemplativ ist die Kirche als geistlich arme, sanftmütige und mit reinem Herzen, mit einer Balance zwischen Gebet und Arbeit. «So finden wir Kraft für unsere Vision, unsere Evangelisation, die emeindegründung. Wir trauen uns, unmöglich erscheinende Dinge anzugehen.»
Gesucht: neue Formen von Spiritualität und Jüngerschaft …
Die klassischen Verwirklichungsfelder evangelischer Spiritualität – Familie, Beruf und Ortsgemeinde – sind in der Krise. Weil durch sie die Weitergabe des Evangeliums an die nachwachsende Generation erfolgte, müssen neue Formen der Spiritualität gefunden werden.
Prof. Peter Zimmerling vom Institut für Praktische Theologie an der Universität Leipzig fokussierte auf neue Formen: das Wandern/Pilgern mit Freiraum für spirituelle Erfahrungen, Einzelexerzitien – auch die Wiederentdeckung des Kirchenraums und Angebote von Segnung und Salbung.
Patrick Todjeras und Kolja Koeniger vom Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) an der Uni Greifswald bemerkten, in der Lutherbibel 2017 fehle im Missionsauftrag von Matthäus 28 der Nachsatz «…machet zu Jüngern alle Völker».
Sie hielten dagegen fest, dass Jüngerschaft nach wie vor das Herzstück des christlichen Lebens sei, weil Jüngerinnen und Jünger als «Ansprechpartner für den Sinn des Lebens angesehen werden und somit über den eigenen Kreis von Gleichgesinnten hinaus wirksam sind»“.
Die Referenten forderten die Anwesenden auf, drei Handlungsfelder in ihrer Gemeinde in ihrem Beitrag zur Jüngerschaft einzuschätzen. Todjeras: «Wenn wir über Gottes Geist sprechen und über Veränderung, die Gott tun will, dann spüre ich oftmals eine unangemessene Entspanntheit. Ich möchte aber zum Zupacken ermutigen!»
… und fresh expressions of Church
«Es brauchte mehrere Jahrhunderte, um Großbritannien zum Christentum zu bekehren, aber es brauchte nur weniger als 40 Jahre, um dies rückgängig zu machen.» Mit diesem Satz des Briten Callum G. Brown machte Andreas Isenburg vom Amt für Missionarische Dienste der Westfälischen Kirche deutlich, warum «Fresh Expressions of Church» wichtig sind. Viele empfänden Kirche heute als einen fremden Ort. Fresh X wolle zu den Menschen gehen. Vor kurzem wurde das deutsche Fresh X-Netzwerk gegründet. Der Kirchenjurist Hans-Tjabert Conring merkte an, dass es nicht immer ganz neue Gemeindeformen sein müssten, sondern dass man auch vorhandene Gemeinden neu formen könne.
Aus Liebe zu Gott der Welt nicht ihren Lauf lassen
«Das Leiden der Menschen in El Salvador, in Syrien, im Iran, in der demokratischen Republik Kongo und aller anderen ist eine Realität, der wir nicht ausweichen können», so die Theologin Ruth Padilla DeBorst aus Costa Rica. «Das ist die Realität, in die wir als Kirche gesandt sind, in den Fussspuren unseres Herrn.» Je tiefer man sich mit der Globalisierung auseinandersetze, desto klarer seien die Verknüpfungen mit einer «homogenisierten globalen Konsummentalität».
Der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, rief die Christen angesichts von Terror und Gewalt dazu auf, «Botschafter der Versöhnung» zu sein. Viele Menschen seien erschrocken und verunsichert über wachsende Entfremdung und Zwietracht. «Weil Christus unter uns ist, reagieren wir nicht mit Hass auf Gewalt. Und wir überlassen nicht der Angst das Feld.»
In allem, was an Massnahmen notwendig sei, müssten Christen darauf achten, dass «die Logik der Gewalt nicht Macht über unsere Herzen gewinnt ... Botschafter der Versöhnung sein, heisst, vom Sieg des Lebens zu wissen und deswegen innere Freiheit zu gewinnen und aus der Zuversicht zu leben.»
Räume der Begegnung: «Nur so wächst Vertrauen!»
Der grüne Migrationspolitiker Volker Beck äusserte in einem Forum, dass säkularisierte Menschen sich Muslimen gegenüber nicht artikulieren könnten, weil sie selbst nicht mehr wüssten, «woher sie kommen und wo sie stehen». Das sei ein Identitätsproblem – die Kirchen sollten Antworten auf diese Fragen geben.
Zur Vielfalt der Religionen betonte Andreas Goetze, Landespfarrer für den interreligiösen Dialog derBerliner Landeskirche: «Schafft Räume der Begegnung, nur so wächst Vertrauen!» Der Leiter der Münchener ICF-Gemeinde Tobias Teichen forderte, den Puls der Zeit zu fühlen, die Fragen der Leute aufzunehmen. «Die Antwort ist immer Jesus, aber man muss zuerst die Fragen der Menschen kennen.»
Von Ultras lernen
Bernhard Felmberg, ehrenamtlicher Sportbeauftragter der Berliner Landeskirche, hat 2006 im Olympiastadion eine Kapelle eingerichtet. Er legte denen, die sie besichtigen, nahe, von engagierten Fussballfans zu lernen: «Ihr Wochenrhythmus richtet sich nach den Spielen, die meinen das ernst.» Die Vereine pflegten diese Fans. Kirche könnte davon lernen zu fragen: Wen brauche ich in meiner Gemeinde? Wer reisst die anderen mit? Die Ultras seien an ihrer Kluft erkennbar. Man könne sich ein bisschen mehr Fröhlichkeit vom Sport abgucken. Sowie die Konzentration aufs Kerngeschäft.
Website des Kongresses mit Downloads
--------------------------------
Vom Schweizer Landeskirchen-Forum nahmen Präsident Richard Stern, Astrid Schatzmann und Hansurs Walder am Kongress DYNAMISSIO teil. Ihre Statements:
«Der Kongress hat mich ermutigt, mit der Gemeinde vor Ort einen ganzheitlichen Weg mit der wahrlich guten Botschaft, dem Evangelium, auf unsere Nächsten hin zu beschreiten. Mit Gottes Dynamis allein ist Mission möglich, ja Mission, denn auch wenn dieses Wort in unseren Landeskirchen immer noch quer in der Landschaft steht, drückt es den Auftrag aus, der Christus zutiefst am Herzen liegt.» – Richard Stern
«Ich bin erfüllt von einer sensationellen Tagung nach Hause gekommen. Moderation, Musik und exzellente Redner und Rednerinnen haben die Konferenz zu einem rundum gelungenen und tiefgründigen Anlass gemacht, der bei mir in der Arbeit und persönlich noch immer nachklingt. Dadurch, dass die Foren in der Stadt verteilt waren, habe ich Berlin aus einer ganz anderen Perspektive als der touristischen kennen gelernt.» – Astrid Schatzmann
«Es war ein grosses Vorrecht, die einander ergänzende Zusammenarbeit der Landeskirche und der Freikirchen in bunter Vielfalt zu erleben. Die errungene Einheit gibt Hoffnung für die Zukunft, verleiht er Mission Dynamik und dient hoffentlich auch als Impuls für die Schweizer Christen.» – Hansurs Walder