Theodrama!

Für den amerikanischen Theologen Kevin Vanhoozer ist die Geschichte der Taten Gottes ein echtes Drama. Das Ur-Skript dieses Dramas ist die Bibel. Hauptakteur im Drama ist Gott selbst, aber er will die Christen und die Kirche als Co-Akteure haben. Sie leben dieses Drama der Erlösung auf der Bühne der Welt und führen es auf. Die Theologie hat die Kirche zu befähigen, damit die Aufführung dem Drehbuch gemäss gelingt – mit Improvisation.

An drei Tagen vom 24. bis 27. März stellte der in Deerfield bei Chicago lehrende Theologe seinen Ansatz an der Universität von Fribourg und am Theologischen Seminar St. Chrischona (tsc) vor. Eine verblüffend tiefschürfende und frische Perspektive auf die Mission der Kirche und ihrer Theologie – inklusive pointierter Anfragen an die gegenwärtige Praxis.

Das Christentum (Christianity) ist für Vanhoozer im Kern ein «Theo-Drama» – dadurch von anderen Religionen unterschieden: Gott, der Autor (Schöpfung), ist durch Christus in die Geschichte der Menschen eingetreten und wurde Teil des Dramas. Aus Liebe teilt er mit den Geschöpfen sein Licht und sein Leben (Offenbarung und Erlösung). Die Lehre trägt wesentlich dazu bei, dass der Glaube ein angemessenes Verständnis des Erlösungsdramas entwickelt und es entsprechend auf die Bühne des Lebens bringt.

Gottes Performance
Am zweiten Studientag trägt Vanhoozer seine Gedanken zum «Drama of Doctrine» vor. Auch in einer Gesellschaft, die auf Performance achtet, weil sie von Statusverlust-Ängsten regiert wird, können Christen gelöst agieren. Sie müssen nicht sich selbst verkaufen – es geht um Gottes Performance in Christus.

Vanhoozer ist um erfrischende Vergleiche nicht verlegen. Das Evangelium kann als «Big Bang des Christentums» gelten. Mit Christus wird die Welt anders: «nicht Klimawandel, sondern Planetenwandel!» Evangelium drückt aus: Gott hat gehandelt (davon ist zu berichten), Gott hat geredet (der Bericht ist verlässlich). Das Evangelium ist in sich theodramatisch. Die Theologie sucht denkend nachzuvollziehen, wie der dreieine Gott (geredet und) gehandelt hat. 

Drama in fünf Akten
Immer wenn eine Person sich gegenüber einer anderen darstellt, kann man von Schauspiel reden. Der Referent zieht die Theater-Metapher durch. Gott stellt sich Adam vor, gibt Zusagen und löst sie ein; ebenso spricht er zu Abram und Mose. «Die Welt ist ein Schauspiel von Gottes Herrlichkeit», zitiert Vanhoozer Calvin. Alles was Gott tut, bildet seine Vollkommenheit ab.

Das Drama der Erlösung kommt in fünf Akten daher, die alle mit einem Sprechakt Gottes beginnen: Schöpfung, Erwählung Israels, Jesus von Nazareth, Geist und Gemeinde, Vollendung. «Die Inkarnation ist der Höhepunkt von ganz vielen Auftritten Gottes auf der Weltbühne, die Selbstmitteilung des Vaters im Sohn, das kommunikative Handeln Gottes im Fleisch. Das Leben Jesu ist das Schauspiel in der Zeit von dem, was Gott in der Ewigkeit ist.»

«A royal theatre»: Kevin Vanhoozer.

Action-Spitze
Gott handelt auch in der Passion Jesu – das Kreuz ist gar das Zentrum von Gottes Handeln: Er entwaffnet die Mächte der Finsternis (Kolosser 2,15)! Dem Kreuz zum Trotz ist die christliche Heilsgeschichte keine Tragödie – sie endet mit einer Hochzeit wie eine gute Komödie, sagt Vanhoozer mit Seitenblick auf Dante. Die Trinitätslehre lässt das ganze Drama als Handeln des einen Gottes verstehen – «trinitarian comedy»!

Das Zeugnis ganz bewahren
Nach Vanhoozer hat Lehre wesentlich eine die doppelte Aufgabe: das Verständnis des Glaubens suchen und dann darlegen, unsere Identität als Jünger von Jesus Christus klären und zum Erhalt der Ganzheit (integrity) unseres christlichen Zeugnisses befähigen. Anders gesagt: Um ihren Platz im Drama – in den letzten Szenen des vierten Akts – einzunehmen und sie aufzuführen, brauchen Christen Lehre: als Regieanweisung für ihr Jünger-Sein.

Die Bibel – mehr als ein Skript
Bevor er zu den Akteuren kommt, beschreibt Kevin Vanhoozer die Bibel als Transkript und Skript/Drehbuch: Zum einen übermittelt sie, was Gott getan hat, zugleich ruft sie zur Aufführung des Heils heute mit Hoffnung für die Zukunft auf. Und – Metaphern können kombiniert werden – die Bibel beleuchtet auch die Bühne. «Wir können wissen, was Gott tun wird, weil er uns seinen Plan kundgetan hat. Wir müssen nicht mehr im Dunkeln über die Bühne gehen.»

Alle religiöse Erfahrung ist interpretationsbedürftig. Wie kommt da angemessenes Reden von Gott zustande? Die Schrift ist dafür massgeblich. Als Denkrahmen schützt sie vor Götzendienst und Lästerung. Sie wirft Licht auf die Kultur, in der wir uns vorfinden, und hilft uns so «zu finden, was wir von Gott sagen sollen». Zudem ist sie als Mittel von Gottes Selbstvorstellung ein Teil der dramatischen Handlung selbst.

«Get real!»
«Theodrama geht ab, wann immer Gott redet und Menschen zur Antwort auffordert», sagt Vanhoozer. Und betont: «Nichts in unserer Welt ist wichtiger als gemäss der Schrift zu leben: Gott kennenzulernen und Liebe zu ihm auszudrücken.» Alternative Drehbücher sind zu Hauf im Angebot; wenn Menschen nach ihnen leben, kommen sie vom Weg ab – ja verlieren die Wirklichkeit. Indem Christen üben, das Gott-Drama nach dem Drehbuch der Schrift aufzuführen, gewinnen sie Wirklichkeit. «Get real!», ruft der Referent in den Saal. Wirklich ist Gottes Handeln zur Erneuerung seiner Schöpfung in Christus (Kolosser 1,18)!

Damit die Aufführung passt
In der Folge skizziert Kevin Vanhoozer, der in Schottland dozierte und mit einer Französin verheiratet ist, die Rolle der Pastoren und Lehrer der Kirche: Sie haben den Dienst, das Verständnis fürs Theodrama zu fördern, damit Menschen das Drama der Erlösung ausleben, es in ihrem kulturellen Kontext aufführen können. Christliche Lehre ist Regie-Anweisung: fürs Wahrnehmen und Schauen des Ganzen, das Gott tut, wie fürs Handeln.

«Wenn ich morgens aufwache, frage ich mich: In welcher Szene wirke ich heute mit? Bin ich bereit dazu?» Pastoren und Lehrern muss es darum gehen, dass die Menschen in der Kirche zum Ausleben/Aufführen des Theodramas angeleitet werden. «Was wir sagen und tun, muss zu dem passen, was Gott bisher gewirkt hat.» Lehrreich in der Bibel sind auch unpassende Reaktionen – Vanhoozer verweist auf Petrus, der bei der Verhaftung von Jesus zum Schwert greift.

Die Kirche im Theodrama
Dem Einzelnen kann es nicht gelingen, das Drama aufzuführen – es braucht viele dazu. Die Kirche soll das «Theater für Gottes Evangelium» sein. Nun gibt es rivalisierende Theatergruppen. Vanhoozer verweist auf offen gottlose Gemeinschaften, Freidenker, die sich sonntags treffen. Die Kirche ist keine Profitruppe, die ihre Show abzieht; sie besteht aus Amateuren, Schauspielern aus Liebe zu Gott.

Die Glaubenden ziehen Christus gemeinsam an (das Bild von Paulus) und stellen ihn dar. Die Kirche ist mithin «a royal theatre», eines, das den Fortschritt des Königreichs spielt und eine Vorschau gibt auf das Künftige, die Vollendung von Gottes Herrschaft. Da ist es klar, wie Vanhoozer formuliert: «Die Kirche hat ein einzigartiges Drehbuch, dem sie zu folgen sucht.»

Diszipliniert improvisieren
Der Theologe vergleicht die Christen mit Schauspielern, die mit einem Drehbuch improvisieren. «Manchmal müssen wir, um treu zu sein, kreativ sein.» Die Kreativität des Improvisators ist sehr diszipliniert – so wie es Jüngern (disciples) von Christus obliegt. Mission, meint Vanhoozer, habe zu oft darunter gelitten, dass sich ihre Akteure nicht genug auf den Kontext einliessen, dass sie mit vorgefassten Vorstellungen operierten, statt zu improvisieren.

Zugleich haben Christen der Versuchung zu widerstehen, mit Selbst-Entwickeltem originell wirken zu wollen. Der kulturelle Umbruch bedeutet grosse, plötzlich auftretende Herausforderungen für die Mission. Die Jünger von Jesus werden zu improvisieren haben.

 

Nachlese eines Teilnehmers

Drei Studientage mit einem Theologen, der im deutschsprachigen Raum gar nicht so bekannt ist. Das war ein echtes Wagnis. Aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt, denke ich am Montagabend, als Kevin Vanhoozer sich verabschiedet, um Karl Barths Grab noch zu besichtigen.

Gelohnt, weil er mit seinem theodramatischen Ansatz unterschiedliche Kirchen, Institutionen und Menschen zusammengebracht hat. Man schaue sich nur die Liste der Veranstalter an (www.vanhoozer.ch), die Vielfalt an Referenten (okay, beim nächsten Mal unbedingt mehr Frauen) oder auch die bunte Mischung an Teilnehmerinnen und Teilnehmern. So könnte Theologie zukünftig gehen und zünden.

Es hat sich gelohnt, weil Vanhoozer in seinen Vorträgen das wieder mehr zusammenbringt, was sich seit Jahrhunderten zunehmend trennt. Etwa Glaube und Wissenschaft, wenn es um das Verstehen der Bibel geht. Oder auch Bibelwissenschaft, Systematische Theologie und Praktische Theologie, wenn es darum geht, das Drehbuch Gottes (Bibel) für heute so zu erschliessen, dass Gottes Drama der Erlösung und Vergebung authentisch und kreativ-improvisierend in Szene gesetzt wird.

Am faszinierendsten aber fand ich, dass Lehre und Leben, Theologie und Kirche, Dogmatik und Spiritualität wieder zusammenfinden könnten. Dann nämlich, wenn sie ihre Rollen in der Aufführung des Heilsdramas mit neuer Leidenschaft einnehmen und leben. Die Theologie herrscht nicht über die Gemeinde, sondern dient ihr, wenn sie die Kirche freisetzt, befähigt und instruiert, das Heilsdrama zu leben auf der Bühne dieser Welt.

Und zugleich entsteht die Theologie aus dem Drama Gottes mit den Menschen, vor allem dann, wenn die Gläubigen im Gottesdienst Schöpfung, Vergebung und Erlösung gemeinsam feiern und inszenieren. Gottesdienste, in denen es keine Besucher gibt, sondern Teilnehmer, Mitakteure, die dann 24-7 das Theodrama im Alltag leben. Was für eine tolle Charme-Offensive, wenn Theologie und Gemeinde neu erleben, was sie aneinander haben.