Was den Gottesdienst zum Gottesdienst macht

Der Gottesdienst kann als gestalteter Raum verstanden werden, in den Christen eintreten, um Gott zu begegnen. Überlegungen zu Freiheit und Schranken der Gestaltung trug PD Dr. Luca Baschera in seiner Antrittsvorlesung an der Universität Zürich am 27. Februar vor. Im Zentrum des reformierten Gottesdienstes stehen die Wortverkündigung und das Abendmahl. Die anderen Handlungen sind ihnen zugeordnet.

Das Bild vom «Raum» hilft, den Gottesdienst als komplexes interaktives Geschehen noch anders zu verstehen, als es das heute viel verwendete Bild des Weges (M. Josuttis, M. Nicol, Zürcher Liturgie) erlaubt. So kann die «Architektur des Gottesdienstes» – Titel der Vorlesung – in den Blick kommen. Laut Luca Baschera gelingt es auf diese Weise eher, das Verhältnis der Elemente des Gottesdienstes zueinander, ihre Qualität und Zuordnung, zu beschreiben (sinnvoll namentlich für reformierte Kirchen, in denen ohne vorgegebene Liturgie oft willkürliche Gestaltung und Verflachung erlebt wird!).

Raum der feiernden Gemeinde

Der aus dem Piemont stammende Theologe plädierte in der Aula der Universität dafür, die Weg-Metapher durch die Raum-Metapher zu ergänzen. «Die gottesdienstliche Handlung eröffnet einen Raum und wird selbst zum Raum, in dem die feiernde Gemeinde verweilt.» Menschen vollziehen im Raum gewisse Handlungen; diese verhalten sich gleichsam wie «Einrichtungsgegenstände» zueinander und sind voneinander abhängig.  

Für den christlichen Gottesdienst sind seit der Antike «zwei Handlungen konstitutiv: Wortverkündigung und Abendmahl». Laut Baschera ist Gottesdienst nicht möglich ohne mindestens eine dieser beiden Handlungen. Sie stellen die Brennpunkte des geistlichen Geschehens dar. Die anderen Handlungen – im reformierten Gottesdienst Sammlung und Anbetung Gottes, gemeinsames Fürbitte-Gebet, Sendung und Segen – sind ihnen zugeordnet.

Symbol und Bild

Das Verhältnis der beiden Haupthandlungen zu den anderen Elementen beschrieb Luca Baschera mit den Begriffen Zeichen-Bild-Symbol im Anschluss an Hans-Georg Gadamer.1 In Wortverkündigung und Abendmahl wird nach reformiertem Verständnis das Heil dargeboten; die beiden Handlungen sind als Symbole (im Sinn Gadamers) der sakramentale Kern des Gottesdienstes. Laut Baschera reihen sich «um diese Symbole Bilder, die auf die Symbole bezogen sind: Handlungen, Worte, Gebärden, Geräte». Als Bilder haben sie eigene Wirklichkeit und rücken die Symbole in ein bestimmtes Licht.

Zum Verständnis der Sakramente zitierte Luca Baschera die Definition des reformierten Religionsphänomenologen und Liturgikers Gerardus van der Leeuw.2 Ihre Wirklichkeit erlangen Sakramente in jedem Vollzug durch den Heiligen Geist – der Handlung als solcher kommt keine sakramentale Qualität zu. Baschera: «Es ist der Heilige Geist, der aus dem Teilen der Heiligen Schrift ein Sakrament macht, machen mag.» So ist nicht allein beim Teilen von Brot und Wein, sondern auch beim Teilen des Bibelwortes die Bitte um den Heiligen Geist (Epiklese) erforderlich.

Auf den Kern verweisen

In der Folge wandte sich der Privatdozent den anderen Handlungen des Gottesdienstes zu, die als Bilder (im Sinne Gadamers) «die Aufmerksamkeit der Betrachter und Zuhörer auf sich ziehen, um diese gleich auf die Kernhandlung weiterzuleiten». Sie besitzen keine Autonomie, «sondern hängen unauflöslich mit den Kernhandlungen zusammen, auf die sie verweisen. So wirken sie auf die Kernhandlungen auch in einem gewissen Sinne zurück.»

Was gibt die Metapher «Raum» fürs Verstehen und Gestalten des Gottesdienstes her? Im letzten Teil der Antrittsvorlesung trat Luca Baschera zwei möglichen Missverständnissen entgegen. Zum einen bedeutet sie nicht, dass alles auf der Ebene der Bilder nebensächlich und verzichtbar wäre (liturgischer Minimalismus). Zum anderen sollen Bilder nicht die Aufmerksamkeit monopolisieren und von «Ikonen» zu «Idolen» werden.

Verständlich und doch geheimnisvoll

Ihr Ziel verfehlt eine Liturgie, die wegen ihres komplexen Charakters nicht von der Gemeinde verstanden und mitvollzogen werden kann – solche hochkirchlichen Steigerungen versuchten die Reformatoren mit Neuerungen auf der Bild-Ebene zu beheben. Nicht zielführend ist für Baschera aber auch eine (Low-Church-)Liturgie, welche die Symbole so eingehend erklärt, dass sie nicht mehr Geheimnis sind.

Zusammenfassend hielt Luca Baschera fest, dass im Gottesdienst – als einem gestalteten Raum – nicht alles zur Disposition steht: mindestens eine der zwei primär gestaltenden Handlungen Wortverkündigung und Abendmahl muss vorkommen. Die beiden Handlungen haben einen «sakramentalen Kern, der in seiner Elementarität der freien Gestaltung enthoben ist». Die anderen Elemente («Bilder») stellen keinen blossen Schmuck dar; an ihrer Gestaltung ist sorgfältig zu arbeiten, damit sie die symbolische Kernhandlung beleuchten und deuten, ohne die Symbole zu überdecken oder sie vollständig erklären zu wollen.

 

Luca Baschera, geb. 1980, Dr. phil., ist Privatdozent für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte. Er ist Mitglied des Ministeriums Verbi Divini in der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich.
 

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1
Nach dem Philosophen Hans-Georg Gadamer haben Zeichen einen reinen Verweis-Charakter; sie weisen gänzlich von sich weg. Ein Bild verweist anders, nämlich indem es zum Verweilen einlädt, und vertritt, indem es über sich hinausweist. Es lässt das Urbild auf bestimmte Weise in Erscheinung treten und deutet es damit. Das Bild lebt von der Beziehung zu dem, wovon es ein Bild ist. Ein Symbol dagegen verweist nicht, sondern re-präsentiert nur, vertritt nur. (H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 61990, 144–145; 147; 157; 159; 163)

2 «Sakramente sind elementare Lebensvorgänge, von Gott hervorgerufen und bestimmt, Träger zu sein der wahrhaftigen Gegenwart Christi in seinem ganzen Erlösungswerk und seiner Ausstrahlung in das Leben der Kirche.» (G. van der Leeuw, Sakramentales Denken. Erscheinungsformen und Wesen der ausserchristlichen und christlichen Sakramente, Kassel 1959, 194)