Bücher zum Reformationsjubiläum

In der Schweiz werden 2017 nicht allein 500 Jahre Reformation begangen. Es wird auch des 1417 geborenen Heiligen Niklaus von Flüe gedacht. Hier sind ein Dutzend Bücher aus den beiden Ursprungsländern der Reformation aufgeführt. Sie thematisieren ihre Hintergründe, Anstösse und Wirkungen und stellen Männer und Frauen im grossen Umbruch zur Neuzeit vor.

 

Die Bücher

Roland Gröbli et al. (Hg.): Mystiker Mittler Mensch – 600 Jahre Niklaus von Flüe
Thomas Kaufmann: Erlöste und Verdammte – Eine Geschichte der Reformation
Emidio Campi et al. (Hg.): Die schweizerische Reformation – Ein Handbuch
Ueli Dill, Petra Schierl (Hg.): Das bessere Bild Christi – Das Neue Testament in der Ausgabe des Erasmus von Rotterdam
Christine Christ-von Wedel: Erasmus von Rotterdam – Ein Porträt
Sabine Scheuter, Rebecca A. Giselbrecht (Hg.): «Hör nicht auf zu singen» – Zeuginnen der Schweizer Reformation
Lea Gafner: Die Nonne tanzt
Peter Opitz: Ulrich Zwingli – Prophet, Ketzer, Pionier des Protestantismus
Martin H. Jung (Hg.): Luther lesen – Die zentralen Texte
Volker Leppin: Die fremde Reformation – Luthers mystische Wurzeln
Friedrich Wilhelm Graf: Der Protestantismus – Geschichte und Gegenwart
Luise Schorn-Schütte: Die Reformation – Vorgeschichte, Verlauf, Wirkung
Volker Reinhardt: Die Tyrannei der Tugend – Calvin und die Reformation in Genf
Eberhard Busch: Zum Zusammenleben geboren – Johannes Calvin: Studien zu seiner Theologie
(Die genauen Angaben finden sich am Ende des Textes.)
 

Der Heilige der Schweizer

Die Schweiz gedenkt 2017 auch ihres Heiligen Niklaus von Flüe, der 1417 geboren wurde. Das grosse Buch dazu ist im Herbst erschienen: Mystiker, Mittler, Mensch – 600 Jahre Niklaus von Flüe. Der fein durchgestaltete Band versammelt über 60 gut lesbare Beiträge zur Person von Bruder Klaus, zur Frömmigkeit und dem Wirken des Gottsuchers sowie zur Verehrung und Instrumentalisierung als Leitfigur der Eidgenossenschaft.

Ein in vielen Hinsichten wichtiges Buch, das aus säkularer Betriebsamkeit und Oberflächlichkeit herausruft. Gottfried Locher und Bischof Charles Morerod haben gemeinsam das Geleitwort verfasst. Laut den Herausgebern spricht «der sperrige, gottsuchende Eremit … Menschen aller konfessionellen Traditionen an und ist auch spirituelle Leitfigur für Menschen, die ausserhalb religiöser Gemeinschaften stehen».
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Geistliche Kräfte bewirken Europas Umbruch

Aus der Menge der deutschen Bücher zum 16. Jahrhundert ragt Thomas Kaufmanns neue Reformationsgeschichte Erlöste und Verdammte heraus. Das gehaltvoll illustrierte Werk bildet den Umbruch der Christenheit und Staatenwelt Europas nach 1500 packend ab.

Am Ende steht die Frage, welche Chancen für heute in den Anfängen, im «frühlingshaften Aufblühen der Reformation» liegen könnten. Etwa «eine bunte, vielstimmige Sprache, die aus der Begegnung mit dem biblischen Wort erwächst und Herzen und Hirne erreicht»?
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Handbuch der Schweizer Reformation

Ein gewichtiges Werk, das die Fäden verknüpft, ist für Frühjahr 2017 angekündigt: das Handbuch Die schweizerische Reformation mit beinahe 1000 Seiten. Die Beiträge zeichnen die Ausbreitung der reformatorischen Bewegung in den Städten Zürich, Bern, Basel, St. Gallen, Schaffhausen und in ländlichen Gebieten und der Romandie nach, ohne die gescheiterten Reformationen oder die Täuferbewegung auszublenden. Die Entstehung von Kirchen mit klaren Glaubenssätzen und eigenständiger Kultur wird geschildert, weiter die Langzeitfolgen der Reformation auf die schweizerische Gesellschaft, Kultur und Politik.

Die Schweizer Buchproduktion zum internationalen Reformationsjubiläum ist vergleichsweise mickrig. Denn gefeiert wird, dem reformierten Kirchenverständnis entsprechend, vornehmlich in den Kantonen. Und 2017 ist bloss der Anfang. Als erster Ort der alten Eidgenossenschaft beschloss Zürich die Reformation 1523 – für die 500-Jahr-Jubiläen ist noch Zeit.

Basel hat in diesem Jahr das epochale griechische Neue Testament von Erasmus, 1516 am Rheinknie gedruckt, mit einer grossen Ausstellung gefeiert. Von ihr zeugt der gediegene Katalogband Das bessere Bild Christi; Christine Christ-von Wedel hat Erasmus von Rotterdam. Ein Porträt verfasst.

 

Kreuzgang beim Grossmünster, Zürich


Frauen der Reformation

Einen eigenen Akzent setzt «Hör nicht auf zu singen». Das Buch stellt Frauen der Schweizer Reformationszeit vor. Was bedeutete es für Idelette de Bure, an der Seite Calvins zu stehen? Wie konnte sich Margarete Blarer, ledige Schwester des Konstanzer Reformators, entfalten? Wie veränderten sich Frauenrollen in der Reformationszeit? Den Beiträgen einer Zürcher Tagung von 2014 steht ein Aufsatz von Christine Christ-von Wedel über Erasmus voran. Der Humanist kämpfte für die Besserstellung der Frauen, plädierte für ihre Bildung und trug zur Aufwertung der Ehe bei. «Für Erasmus war die Ehe die höchste Form der Freundschaft; und Freundschaft konnte er sich nur unter Gleichwertigen vorstellen.»

Nach der Einführung von Isabelle Graesslé stellt Rebecca A. Giselbrecht «Zeuginnen entlang der Ströme der Zürcher Reformation» vor. Weiter werden eine Prophetin, eine Verlegerin und eine Schriftstellerin im Elsass portraitiert. Den Band, von Giselbrecht und Sabine Scheuter herausgegeben, runden Reflexionen über «Wybsbilder und Mannsbilder» im 16. Jahrhundert ab. Er will «ein Stück Geschlechtergeschichte erhellen und den Zeuginnen der Schweizer Reformation Gehör verschaffen“.

Dies leistet auf seine Weise auch ein bewegender historischer Kurzroman, Ergebnis der Maturarbeit der Bündnerin Lea Gafner. Die Nonne tanzt verdeutlicht den Umbruch der 1520er Jahre an Agnes von Mülinen und ihrem Umfeld. Das Leben im Kloster Königsfelden im Aargau, für das Agnes sich entschieden hat, gerät durch das Wirken Zwinglis im nahen Zürich unter Hochspannung. Die Nonnen bewegen die Impulse der Reformation. Agnes muss sich entscheiden …


Erst die kleine Zwingli-Biografie

Luther-Biografien und -Studien füllen Regale; bei den Schweizer Reformatoren ist dies nicht der Fall. Die Werke von Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger werden erstmals wissenschaftlich ediert. Der Zürcher Reformationshistoriker Peter Opitz will der 2015 erschienenen Kurzbiografie Ulrich Zwingli. Prophet, Ketzer, Pionier ein wissenschaftliches Werk folgen lassen.

Gerade für säkulare Bildungsbürger aufschlussreich ist sein Essay Zwingli global, der dem Einfluss des Zürcher Reformators auf Demokratie, Wissenschaft und Wirtschaft in der westlichen Welt nachspürt (in: NZZ Geschichte, Oktober 2016). «Die klare Unterscheidung zwischen Gott und Welt überantwortet Letztere dem Menschen zu verantwortlicher, Gott den Schöpfer ehrender Gestaltung im Dienst der menschlichen Gemeinschaft.» Es verwundert nicht, dass Francis Bacon, einer der Väter der modernen Naturwissenschaft, aus einem reformierten Elternhaus stammte.
 

Der Dom von Erfurt


Luther lesen!

Die Flut von deutschen Büchern zur Reformation und von Gedenkartikeln zum Reformator-Helden Luther sollte nicht davon abhalten, sich mit dem frommen Theologen und Bibelausleger, Ratgeber und Sprachschöpfer zu befassen. Martin H. Jung hat in einem handlichen Bändchen Luther lesen zentrale Texte zusammengestellt und mit hilfreichen knappen Einleitungen versehen.

Da lässt sich die Prägnanz der 95 Thesen nacherleben, auch Luthers Mut, den deutschen Adel zu Reformen aufzurufen: Er solle die von der Kirche errichteten Reform-verhindernden Mauern – wie einst in Jericho – umblasen. Da wird der geistliche Stand demontiert: «Ein Schuster, ein Schmied, ein Bauer, ein jeder hat seines Handwerks Amt und Werk, und doch sind alle gleichermassen geweihte Priester und Bischöfe.» (S. 37) Da proklamiert der Reformator die Freiheit des Christenmenschen in Gott (wenn auch der Mensch äusserlich zum Dienst verpflichtet ist) und plädiert für die Hochschätzung von Ehe und Familie.

Ein Text von 1524 verdeutlicht, so Jung,: Die Reformation «förderte die Breitenbildung und verbesserte die Elitenbildung». Luther forderte das Recht der Gemeinde, ihren Pfarrer zu wählen, entwickelte die Lehre von den zwei Reichen und kritisierte das Grosskapital und Grosshandel («daher kommt es, dass man in aller Welt die Gewürze so teuer kaufen muss, wie sie wollen … wenn der Ingwer verdirbt oder fehlt, so erholen sie sich am Safran und umgekehrt, damit sie ihres Gewinnes sicher bleiben»).

Das Büchlein dokumentiert auch Luthers Hoffnung, viele Juden würden, wenn man mit ihnen «freundlich umgeht und sie aus der Heiligen Schrift sorgfältig unterweist», Christen werden. Und den Frust, als dies nicht geschah: Luther schrieb 1543, man solle die Synagogen verbrennen, die begüterten Juden enteignen und sie vertreiben.  


Am Anfang: die Mystik

Während die Kirchen und die meisten Wissenschaftler die Linien von der Reformation zur Moderne ziehen, lässt Volker Leppin der Biografie von Martin Luther nun einen Band über seine Wurzeln in der spätmittelalterlichen mystischen Frömmigkeit folgen. Die fremde Reformation setzt beim Umfeld ein, in dem Luther aufwuchs. Staupitz und andere beweisen laut dem Autor: «Die reformatorische Frömmigkeit entstammt dem Mittelalter und lässt sich von diesem nur gewaltsam lösen.» Luther schloss mit seiner Lehre vom Heil durch den Glauben, sola fide, an seinen Beichtvater Staupitz an. Nach dem Vorbild von Johannes Tauler beschrieb er 1517 die Busse als Geschehen zwischen Gott und Mensch, ohne priesterliche Vermittlung.

Leppin schildert die Spannung zwischen dem «mystisch beeinflussten Frömmigkeitstheologen“ und dem streitlustigen Akademiker und zeichnet detailliert nach, wie ab 1518 aus dem Gelehrtenstreit ein scharfer kirchlicher Konflikt mit politischer Dimension wurde, wie Luthers Schriften in den Städten, bei Fürsten und Bauern gelesen und aufgegriffen wurden.Der Autor sieht die «subversive Kraft der Mystik» am Werk auch beim frühen Weggefährten Karlstadt und bei Spiritualisten, auch beim Chiliasten Thomas Müntzer: Der Geist animiert nicht zu passiver Erwartung des Reichs Gottes, sondern zu seiner aktiven Gestaltung auf Erden. Aus den Auseinandersetzungen der 1520er Jahre resultierte das Nein des Luthertums zu mystischer Frömmigkeit, das bis heute nachwirkt, auch in grosskirchlicher Abgrenzung gegen Pietisten.
Weitere Hinweise zu Büchern über die Reformation
 

Luther und Melanchthon mit dem sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich I. Gemälde von Lucas Cranach d.Ä.

Überblicke

Einen Überblick verschaffen zwei Bändchen, die seit Jahren erhältlich sind: Die Reformation von Luise Schorn-Schütte und Der Protestantismus von Friedrich Wilhelm Graf. Graf beschreibt sechs protestantische Konfessionsfamilien, von den Lutheranern bis zu den Pfingstlern. Er verortet das Protestantische in Innerlichkeit und Individualität, in «religiöser Verweltlichung der Welt» und Moralisierung des Politischen. Der EKD rät der liberale Theologe zur «Pflege des überkommenen protestantischen Profils» – auch im Blick auf die dynamischen aussereuropäischen Protestantismen, die sich hier in Migrationskirchen manifestieren.


Verwandelte Stadt

Stärker als Zürich strahlte nach 1555 Genf. Die Rhonestadt zahlte für ihren phänomenalen Aufstieg zum reformierten Rom einen Preis. In Die Tyrannei der Tugend, zu Calvins 500. Geburtstag erschienen, verschränkt Volker Reinhardt die innere, geistliche Dynamik mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen. Durch Migranten verdoppelte sich Genfs Bevölkerung in wenigen Jahren. Die flüssig geschriebene Darstellung macht nachvollziehbar, wie es im Gebälk der Stadt krachte und warum Calvins Schar den Sieg davontrug. Die Geistlichen waren – bei aller Strenge – glaubwürdig, weil sie lebten, was sie verkündigten; «diese Deckungsgleichheit von Wort und Tat ist in ihrer Anziehungskraft kaum zu überschätzen».

Entdeckungen im theologischen Werk Jean Calvins hat Eberhard Busch über Jahrzehnte gemacht, wie er im Eingang zum neuen Band Zum Zusammenleben geboren schreibt. In ihm sind einige kostbare Funde versammelt und gelehrt beleuchtet. Der Herausgeber der Calvin-Studienausgabe beginnt mit dem zuversichtlichen Gebet des (seiner Sünde wohl bewussten) Gläubigen und thematisiert dann «das ergreifende Buch“. Die Schrift ist «das Mittel, durch das der Mensch, der Gott sonst nicht erkennt, dennoch Gott erkennen kann». Auf 15 Seiten wird das reformatorische Schriftverständnis Calvins erläutert.

Busch situiert dann Calvins Katechismus in der Zeit und stellt seine Grundzüge und Besonderheiten dar. Von der Hochschätzung der Gebote Gottes und der «verantwortlichen Gemeinde», der Verkündigung und dem Kirchenverständnis handeln die folgenden Studien. Eberhard Busch stellt heraus, wie Calvin, Reformator der zweiten Generation, Luther wertschätzte. Er schildert die Ermächtigung der Armen (gegen das Vorurteil vom Geist des Kapitalismus) und Calvins Freude an der Musik. Der aufschlusssreiche Band endet mit Betrachtungen zum erhebenden Hauptmotiv calvinscher Theologie: der Herrlichkeit Gottes.
 

L'esprit de la Réforme an der Fusterie in Genf



Roland Gröbli, Thomas Wallimann-Sasaki, Heidi Kronenberg, Markus Ries (Hg.)
Mystiker Mittler Mensch. 600 Jahre Niklaus von Flüe
TVZ/NZN, Zürich, 2016. 978-3-290-20138-8

Fritz Gloor
Bruder Klaus und die Reformierten
Der Landesheilige zwischen den Konfessionen
TVZ, Zürich, März 2017. 978-3-290-17891-8

Thomas Kaufmann
Erlöste und Verdammte
Eine Geschichte der Reformation
C.H. Beck, München, 2016, 20172. 978-3-406-69607-7

Martin Ernst Hirzel, Frank Mathwig, Amy Nelson Burnett, Emidio Campi (Hg.)
Die schweizerische Reformation
Ein Handbuch
TVZ, Zürich, April 2017. 978-3-290-17887-1

Ueli Dill / Petra Schierl (Hrsg.)
Das bessere Bild Christi
Das Neue Testament in der Ausgabe des Erasmus von Rotterdam
Schwabe, Basel, 2016. 978-3-7965-3557-4

Christine Christ-von Wedel
Erasmus von Rotterdam. Ein Porträt
Schwabe, Basel, 2016. 978-3-7965-3523-9

Sabine Scheuter, Rebecca A. Giselbrecht (Hg.)
«Hör nicht auf zu singen»
Zeuginnen der Schweizer Reformation
TVZ, Zürich, 2016. 978-3-290-17850-5

Lea Gafner
Die Nonne tanzt
Cosmos, Muri b. Bern, 2015. 978-3-305-00457-7

Peter Opitz
Ulrich Zwingli
Prophet, Ketzer, Pionier des Protestantismus
TVZ, Zürich, 2015. 978-3-290-17828-4

Amt der VELKD (Hg.), Martin H. Jung
Luther lesen
Die zentralen Texte
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2016 2. 978-3-525-69005-5

Volker Leppin
Die fremde Reformation
Luthers mystische Wurzeln
C.H. Beck, München, 2016. 978-3-406-69081-5

Friedrich Wilhelm Graf
Der Protestantismus
Geschichte und Gegenwart
C.H. Beck, München, 2010 – 2. 978-3-406-46708-0

Luise Schorn-Schütte
Die Reformation
Vorgeschichte, Verlauf, Wirkung
C.H. Beck, München, 2016 -6. 978-3-406-69358-8

Volker Reinhardt
Die Tyrannei der Tugend
Calvin und die Reformation in Genf
C.H. Beck, München, 2009, 20172. 978-3-406-70822-0

Eberhard Busch
Zum Zusammenleben geboren
Johannes Calvin – Studien zu seiner Theologie
TVZ, Zürich, 2016. 978-3-290-17874-1