Respekt und das Evangelium für Muslime

Der in Ostafrika aufgewachsene Mennonit Dr. David W. Shenk findet den Zugang zu Muslimen, indem er ihnen respektvoll begegnet. Im Dialog gelingt es ihm, den Kern des Evangeliums zu vermitteln, ohne Abstriche zu machen. Einem Imam legte er nahe, Allah, über alles erhaben, könnte ihn überraschen. Wir trafen den weltreisenden Fachmann des interreligiösen Gesprächs bei einem Besuch in der Schweiz.

LKF: Wie gehen Sie auf Muslime zu?
David W. Shenk:
1. Petrus 3,15.16a fasst es zusammen: «Den Herrn, den Messias, haltet heilig in euren Herzen. Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. Begegnet ihnen freundlich und mit Respekt.» Vor Jahren wurde ich von einer Organisation muslimischer Studenten in Grossbritannien eingeladen, während sechs Tagen mit einem ihrer prominenten Theologen an verschiedenen Orten Dialoge zu führen. Als ich ankam, fragte ich meine Gastgeber, warum sie mich eingeladen hatten. Sie hätten meine Bücher gelesen, sagten sie, und darin Glauben an Jesus und Respekt für Muslime gefunden. Sie wollten den Dialog mit gläubigen Menschen führen, die wüssten, wo sie stehen.

In der Moschee im Zentrum von London hatten wir einen dreistündigen Marathon. Mein Begleiter fragte mich später, ob ich bemerkt hatte, dass niemand die Faust machte oder dazwischenrief. Ich hätte ihnen das Evangelium klar vorgelegt, ohne um den heissen Brei herumzureden. Niemand habe den Raum verlassen. «Man respektierte dich. Und dies darum, weil du uns liebst.»

Was steht der Offenheit, die Sie hier beschreiben, regelmässig im Weg? Die christlich-islamische Geschichte mit Gewalt, Angst, Vorurteilen...
Ja, die Erfahrung der Kolonialherrschaft, die Kreuzzüge und anderes verstellen den Blick aufs Evangelium. Als in den 1990er Jahren Serben im Zeichen des Kreuzes in Kosovo Dorfbewohner umbrachten, sprach ich in Deutschland über den Frieden von Jesus. Die Muslima, die darauf reagieren sollte, war ganz ungehalten: Nie habe sie gehört, dass das Kreuz irgendetwas mit Liebe für den Nächsten und für Feinde zu tun habe; es stehe doch fürs Töten von Muslimen, von Feinden.

Es stimmt: Mit Kaiser Konstantin wurde das Kreuz Zeichen des Sieges im Krieg -– extrem schädlich für das christliche Zeugnis! Als die Amerikaner im Irak einmarschierten, gab es Christen, die damit neue Möglichkeiten für die Verbreitung des Glaubens gekommen sahen. Kurz darauf traf ich einen jordanischen Prinz. Er machte klar: Die Gewaltrhetorik verdunkelt das Evangelium. Doch die eigentliche Herausforderung liegt auf einer tieferen Ebene.

Wie meinen Sie das?
Muslimen gehen fehl in ihrer Wahrnehmung dessen, was Christen glauben. Notorisch ist die Meinung, mit der Dreieinigkeit sei gemeint, dass Gott eine Frau und ein Kind habe. Das ist Unsinn. Aber diese irrige Behauptung -– und die Forderung, ihr zu widerstehen -– fand irgendwie Eingang in den Koran. Und ich höre sie überall auf der Welt, wohin ich auch reise.

Kein Muslim wird das Evangelium ernsthaft in Betracht ziehen, wenn dieser Unsinn nicht berichtigt wird. Wir müssen diese Fehlwahrnehmung direkt ansprechen. Ebenso wie andere irrige Meinungen, etwa dass die Bibel verfälscht wurde. Wir müssen klarstellen, dass Gott für uns keine Frau hat, dass die Dreieinigkeit etwas völlig anderes bedeutet. Und dass Christen die Heilige Schrift mit grösster Sorgfalt überliefert haben. Im Dialog kommt man nirgendwohin, solange dies nicht klargestellt ist.

Regelmässig besuche ich daheim in den USA Moscheen. Zuerst sprach ein junger Imam. Bevor ich dran war, ging ich zu ihm hin und sagte ihm, laut dem Koran werde Allah nicht zulassen, dass die Schrift verfälscht werde – und die Bibel sage dasselbe. Sollten wir uns nicht darauf verständigen anzunehmen, was sowohl Koran wie Bibel sagen? Er stimmte zu.

Was erreichen Sie damit?
So kommen wir zum Kern der Sache. Als wir in Somalia lebten, schenkte ich einem Einheimischen die Bibel. Am folgenden Tag kam er wieder, legte sie auf den Tisch und sagte bedrückt, das sei keine Heilige Schrift, sondern ein Geschichtsbuch. Für ihn war Offenbarung Weisung, die vom Himmel herabgesandt wurde, wo ein Ur-Koran ewig existiert. Der Somalier sagte, er habe am Abend 1. Mose gelesen –- das sei Geschichte, nicht Offenbarung.

Nun besteht aber das Evangelium darin, dass Gott uns Menschen so liebt, dass er herunterkommt und uns begegnet und mit uns leidet. Im Islam kommt Gott nie herunter zu uns. Allah identifiziert sich nie mit unserem Leiden. Er ist erhaben und nicht davon betroffen. Das ist der Kern der Meinungsverschiedenheit.

Wie überbrücken Sie die Kluft?
Amerikanische Täufer führen einen Dialog mit schiitischen Theologen im Iran. In diesem Rahmen stellte ich vor fünf Jahren das Kreuz als Erweis der erlösenden Liebe Gottes vor. Da bemerkte ein Iraner, immer spräche ich vom Kreuz, wenn es ums Stiften von Frieden gehe. Ich solle das Kreuz weglassen -– Jesus habe gar nicht gekreuzigt worden können; dies habe ihm als Messias nicht zustossen können, da Allah ihn in seiner Herrlichkeit bewahrt habe.

Ich antwortete mit einer Geschichte: In der sudanesischen Hauptstadt Khartum hatte ich in einer Gemeinde mit vielen Witwen und Waisen gepredigt und ihnen versichert, dass Gott im Leiden bei ihnen sei. Ihre Männer waren verstümmelt und an Bäumen aufgehängt worden -– Jesus auch. Freunde ihrer Kinder waren vor ihren Augen abgeschlachtet worden -– dasselbe geschah in Bethlehem. Sie waren Flüchtlinge -– er auch. Ich rief die Frauen auf, sich vom Auferstandenen verwandeln und von ihrer Bitterkeit freisetzen zu lassen. So könnten sie in seiner Kraft weitergehen. Nach dem Gottesdienst standen Frauen noch lange im Hof und priesen Jesus mit Liedern.

Und dies erzählten Sie Ihren schiitischen Gesprächspartnern?
Ja. Wie hätte das geschehen können, fragte ich sie, wenn der Messias seiner Herrlichkeit wegen nicht gelitten hätte? Hätte Jesus nicht das Leiden auf sich genommen, hätte es in jenem Hof in Khartum weder Lied noch Tanz gegeben. Das Kreuz ist die Mitte des Evangeliums. Wir haben es als überraschende Gute Nachricht zu erzählen. In Philadelphia waren wir im Gespräch mit einem Imam. Er betonte, der Islam sei auf den natürlichen Menschen zugeschnitten; Überraschungen gebe es da keine. Ich erwiderte, das könne auf den Islam zutreffen –- das Evangelium sei anders: Gott liebt uns so, dass er zu uns kommt, mit uns leidet, sich unsertwegen kreuzigen lässt und uns durch seine Auferstehung ermächtigt, das neue Leben zu leben. Da rief der Imam aus: «Shenk, unmöglich kann Gott so lieben!» Ich antwortete: «Sie sagen, dass Allah über alles erhaben ist. Lassen Sie ihn wirklich erhaben sein! Warum ihn in die Schublade stecken und ihm diese Liebe absprechen? Lassen Sie zu, dass er Sie überrascht!»

Sie sprechen an Konferenzen und ermutigen Christen zum Bezeugen des Glaubens. Wird das angesichts der Gewalt in der islamischen Welt von Tag zu Tag schwieriger?
Jedenfalls wird die Herausforderung immer grösser. Und dringlicher. In der Amtszeit von Präsident G.W. Bush besuchte ich vor einer Reise in den Iran im Aussenministerium in Washington den zuständigen Abteilungsleiter. Ich bat ihn dringend, Gespräche zu beginnen. An jenem Tag konnte der Afghanistan-Kenner Douglas Johnston, ein Anthropologe, auf Einladung von Condoleezza Rice über das Stiften von Frieden referieren. Er sagte, bei den Taliban stelle er sich als Mann des Buches vor. Als solcher werde er von ihnen geachtet. Laut Johnston ist der Konflikt eine Sackgasse, aus der wir militärisch nicht herauskommen. Aber auch nicht philosophisch -– mit westlichem Denken oder der Unabhängigkeitserklärung der USA. Anzugehen ist der Konflikt auf der theologischen Ebene! Und dies in persönlichem Engagement.

Douglas Johnston setzt sich mit den Taliban hin und studiert mit ihnen Koran und Bibel. Er sagt ihnen, dass Allah nach dem Koran darauf abzielt, dass die Vielfalt von Religionen und Kulturen Muslime lehrt, friedlich in einer pluralistischen Welt zu leben. Und er lädt die Taliban ein, das in ihren Medressen zu lehren! Laut Johnston wird derzeit ein Traktat mit diesem Inhalt -– mit Koranstellen -– tausendfach in Pakistan verbreitet. Diese Arbeit braucht viel Dialog, Engagement und ernsthafte Interaktion. Und sie muss aufgrund der Bibel geschehen.

So säkular wie der Westen sich gibt, scheint er nicht fähig, im Dialog die Ebene zu finden, auf der Muslime zuhören?
Absolut. Im Aussenministerium riet Johnston den Beamten, Christen als Berater beizuziehen. So könnten Blockaden überwunden werden. Christen haben die Diplomaten ermutigt, das offene Gespräch zu suchen. Wir kennen die tiefere Ebene, auf der es zu führen ist. Das Folgende erzählte ich im Aussenministerium: Als ich für den täuferischen Dialog im Iran weilte, fragte ich am Ende einer Sitzung, ob wir beten sollten. Der Leiter des Ayatollah-Khomeiny-Instituts stimmte zu und bat mich zu beginnen. Nachher umarmte er mich und sprach mich als «Lieber Bruder David» an. Kurze Zeit nach jenem Treffen in Washington sass Condoleezza Rice in Sharm-el-Sheikh erstmals dem iranischen Aussenminister gegenüber.

Wie entschärfen Christen Konflikte?
In Nigeria haben Christen eine unbewaffnete Miliz gegründet. Teenager gehen oder fahren in Gebiete, welche die Boko Haram kontrolliert, und singen Loblieder. Wenn sie von den Islamisten gefragt werden, was sie tun, sagen sie: «Wir wollen, dass ihr wisst, dass Gott euch liebt -– und wir lieben euch auch. Und wir verstehen nicht, warum ihr weiter mordet. Warum tut ihr das?» Diese Frage ist ihre Waffe. Ich sprach mit dem Kirchenleiter, der diese Jungen motiviert. Er ist guter Hoffnung, dass die Botschaft ankommt. In Kenya besuchen christliche Gruppen Gebiete, in denen die Al-Shabaab-Miliz ihr Unwesen treibt. Auch sie singen, schütteln Hände und führen Gespräche.

Muslime sind der Überzeugung, dass die islamische Gemeinschaft die endgültige Offenbarung des einen Gottes hat und zugleich die ursprüngliche Gottesverehrung der Menschen realisiert. Wie gehen Sie damit um?
Es ist an den muslimischen Freunden, klar zu machen, was sie meinen. Ich halte mich da zurück. Als der junge Somalier, von dem ich sprach, die Bibel vor mich hinlegte und als Geschichtsbuch abwertete, war er von dieser Überzeugung geleitet. Ich sagte ihm einfach: Gott hat uns Christen die Bibel anvertraut. Wenn ich sie lese, sehe ich seinen grossen Plan, die Menschheit zu erlösen. Gott weiss, dass wir Erlösung brauchen. Der Erlöser ist Jesus. Ihm diene ich. Ich bin mit meinen muslimischen Freunden respektvoll unterwegs. Ich höre ihnen zu.Aber meine Mitte ist Jesus.

Nach Bischof Kenneth Cragg treffen sich im interreligiösen Dialog Gemeinschaften mit zwei unterschiedlichen Mitten: Christus und der Koran. Und er fand: Wenn wir aufeinander eingehen, finden wir immer Übereinstimmendes (convergence) -– aber in eben diesen Übereinstimmungen finden wir Unvereinbares (divergence). Diese Unvereinbarkeiten sind nicht aufzulösen. Das irritiert. Koran bedeutet: Gott sendet Weisung herab. Jesus bedeutet: Gott kommt als Erlöser. Der Koran gilt, indem der Imam lehrt, die Weisung zu befolgen. In Christus, so Cragg, lernen wir Gott als den guten Hirten kennen, der die verlorenen Schafe sucht

Erleben Sie, dass Muslime, wenn sie mit Christen länger im Gespräch sind, sich nach einem Gott, der erlöst, zu sehnen beginnen?
Ja. Das Sehnen kommt namentlich in der Sufi-Bewegung auf. Sufis (auch als islamische Mystiker bezeichnet; Red.) finden sich nicht ab mit dem Bild Allahs, wonach gute und böse Taten gesammelt und am Jüngsten Tag gegeneinander gewogen werden. Vorher ist offen, ob du ins Paradies kommst. Sufis streben danach, Allahs Nähe jetzt zu erfahren. Sie sagen: Wir brauchen einen Fürsprecher (intercessor), einen, der loskauft und befreit.

Legen Sie den Hebräerbrief Sufis dar; für sie ist er revolutionär und ein Anstoss, an Fürsprache bei Gott zu glauben. Nach dem Koran gibt es keinen Fürsprecher, es sei denn mit Allahs Erlaubnis (10,3). Ich habe in manchen Gesprächen Muslime tief bewegen können, wenn ich ihnen sagte: Überraschung! Gott hat einen Fürsprecher bestimmt, den Messias.

Sind die Salafisten angetreten, dieses bei Sufis aufbrechende Sehnen, diese Offenheit auszutilgen?
Ja. Darum treten Sufis gern ins Gespräch mit freundlichen Christen ein. Sie sind eine Gruppe mit alternativen Anschauungen, wir auch. Als wir nach Nairobi zogen, suchten wir bewusst ein Haus in der Nähe einer Sufi-Moschee. Wir konnten da gute, vertrauensvolle Beziehungen aufbauen.

Sie betonen, dass es auf die innere Haltung ankommt. Doch muss man auch viel vom Islam wissen, um das Gespräch mit Muslimen zu führen.
Ich stimme Ihnen zu. Doch am meisten bringen mir muslimische Gesprächspartner bei. Im Dialog frage ich sie, wie sie sich dies und das erklären, und bitte, es mir zu erläutern. Bis zum nächsten Mal haben sie einiges überlegt. Ich bin immer noch am Lernen.

 

David W. Shenk gehört zum Team für christlich-muslimische Beziehungen der Eastern Mennonite Missions. Er lebt in Pennsylvania, USA.
Buch von David W. Shenk: Christen begegnen Muslimen. Wege zu echter Freundschaft
Das von Shenk mit dem Kenyaner Badru D. Kateregga verfasste Dialogbuch «Woran ich glaube. Ein Muslim und ein Christ im Gespräch» ist in arabischer Übersetzung in Ägypten erschienen –mit dem Imprimatur der Al-Azhar-Universität–, um zur Ausbildung von Imamen zu dienen und interreligiöses Verständnis zu fördern.