Deutsches Reformationsjubiläum: Luther für heute

Was bewirkt das Reformationsjubiläum? In Deutschland lassen es Verlage und die Evangelische Kirche nicht fehlen an Büchern, Medien und Events. Die revidierte Lutherbibel wurde an der Frankfurter Buchmesse vorgestellt. Ob damit das frische Wasser des Evangeliums neu sprudelt? Der Schweizer Besucher hofft es. – Neue Bücher zur Reformation zeigen, wie Luther, mit der Frömmigkeit seiner Zeit verwoben, im Studium der Bibel zum Rebell wurde und dann eine neue Ordnung etablieren half.

Zum Abschluss der von der EKD ausgerufenen Reformations-Dekade hat sich die Produktion von Büchern und anderen Medien nochmals gesteigert. Unvermeidlich steht Martin Luther im Mittelpunkt, der um Gnade ringende Mönch aus Sachsen, Kämpfer gegen den Ablass, genialer Sprachschöpfer, tiefschürfender Theologe, galliger Polemiker, Ratgeber von Fürsten. Rechtzeitig zum Beginn des Abschlussjahrs der Dekade am 31. Oktober 2016 hat die Deutsche Bibelgesellschaft die sanft revidierte Lutherbibel herausgebracht.

In der Halle 3.1 der Frankfurter Buchmesse (Sachbuch, Religion) ist Luther nicht zu übersehen. Der Besucher fragt sich: Was bewirken der Versuch, die damaligen Ereignisse darzustellen, das Bemühen, die Grundanliegen der Reformation ins säkulare Heute hineinzusprechen, die mediale Popularisierung des führenden Reformators? Trägt der Luther-Fokus über die Feier hinaus zur Strahlkraft der Kirche in der Gesellschaft bei? Was bewirkt dieses Reformationsjubiläum im Traditionsabbruch, im fortschreitenden Verlust von Glauben und religiösem Wissen?

Epochale Gestalt
Eines leisten die heutigen Luther-Biografen jedenfalls: Sie würdigen, jeder auf seine Weise, eine epochale Gestalt der europäischen Geschichte. Die Bücher erlauben dem, der sie nicht bloss überfliegt, einen tiefen Blick in die Seele des Mannes, der das Licht des Evangeliums für sein Land, seinen Sprachraum neu entdeckte. Dabei sind Licht und Schatten gemischt: Luthers Ringen um den gnädigen Gott, das Aufstehen gegen Ablass-Exzesse und Roms Extravaganzen, der Glaubensmut und das Bekenntnis zur Autorität der Schrift über Papst und Konzilien beeindrucken noch heute. Doch im Bauernkriegsjahr 1525 verlor die Reformation ihre Unschuld und wurde, so sehr sie religiöse Bewegung blieb, eine Sache von Fürsten.

Frankfurter Buchmesse

Rebell in einer Zeit des Umbruchs
Die neuen Werke profitieren von Heinz Schillings grosser Biografie, 2012 erschienen. Er stellte den «welthistorischen Rebell» in seine Zeit, um «das Andere und Fremde an ihm» zu zeigen. Willi Winkler («Luther, ein deutscher Rebell») schildert nun den Reformator im Kontext der Renaissance. Auch Volker Leppin blickt rückwärts. «Die fremde Reformation» nimmt Luthers Wurzeln in der spätmittelalterlichen Mystik in den Blick. Joachim Köhler hat die «Biografie eines Befreiten» verfasst. Er schildert den Weg des Reformators aufgrund seiner existentiellen Glaubenserfahrungen. Reinhard Schwarz konzentriert sich auf die Theologie Luthers und lässt ihn zu seinen grossen Themen sprechen.

Luther privat
Zu den deutschen Schwergewichten unter den Biografen gesellt sich die in Oxford lehrende Austalierin Lyndal Roper. «Der Mensch Martin Luther» wird in seinen Widersprüchen gezeigt. Die Religionshistorikerin folgt psychoanalytischen Ansätzen (Erik Erikson) und schliesst von Luthers Konflikt mit seinem Vater auf seine zwiespältigen Positionsbezüge zu Freiheit und Autorität. Sein Umgang mit Freunden und Feinden kommt zur Sprache – und eheliche Freuden. Privates über Luther findet sich auch in der gediegenen Biografie seines überragenden Mitstreiters Philipp Melanchthon aus der Feder von Heinz Scheible.

Die Frauen der Reformatoren gehen in der Fülle der Publikationen beinahe unter. Ursula Koch schildert neun von ihnen in «Verspottet, geächtet geliebt». Eleonore Dehnerdt portraitiert Katharina von Bora als die starke Frau an Luthers Seite.

Die andere Sicht
Wem dies alles zu eng evangelisch ist, der mag zu Volker Reinhardts «Luther, der Ketzer» greifen. Der in Fribourg lehrende Theologe bringt die römische Seite ausführlich zur Sprache und interpretiert die Kirchentrennung auch als Folge der kulturellen Differenzen der Völker nördlich und südlich der Alpen. (Vom selben Autor ist ein Buch über Calvin und die Genfer Reformation erschienen, unter dem scharfen Titel «Die Tyrannei der Tugend».)

Kardinal Walter Kasper plädiert mit einem Essay mit dem Untertitel «eine ökumenische Perspektive» dafür, Luther von früheren Vereinnahmungen zu befreien und ihn in seiner Fremdheit zu lesen, um seine Aktualität neu zu entdecken. «Die Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes war Luthers Antwort auf seine persönliche Frage und Not wie auf die Fragen seiner Zeit; sie ist auch heute die Antwort auf die Zeichen der Zeit und die drängenden Fragen vieler Menschen.» In der Menge der Autoren fehlt, wen wundert’s, auch der Kirchenkritiker Eugen Drewermann nicht: «Luther wollte mehr» – was Evangelische wie Katholiken herausfordert.

Katholische Sicht auf Luther

Die Kritik an den Zuständen bezahlte damals Thomas Müntzer mit dem Leben. Hans Jürgen Goertz stellt den «Revolutionär am Ende der Zeiten» vor. Siegfried Bräuer und Günter Vogler erläutern aus den Quellen Müntzers Werdegang.

Über Deutschlands Grenzen hinaus
Sabine Appel unterhält mit der Auseinandersetzung zwischen «König Heinz und Junker Jörg»: Luthers Thesen kamen dem englischen König Heinrich VIII. in den falschen Hals und er wetterte dagegen in einer Streitschrift (bevor er wegen seiner Ehen mit Rom brach).

Weiter schlägt Thomas Kaufmann den Bogen mit seiner 500-seitigen Geschichte der Reformation. «Erlöste und Verdammte» bezieht Wirtschaft und Kultur ein und widmet den nichtdeutschen Zweigen der Bewegung grössere Abschnitte. Auf andere Weise stellen Irene Dingel und Volker Leppin im «Reformatorenlexikon» die Hauptpersonen vor und versuchen so ein Panorama der reformatorischen Strömungen. Von Tim Dowley gibt es einen handlichen Atlas zur Reformation in Europa.

Leichtere Kost
Neben den Wälzern und hochgelehrten Werken finden sich auf dem Markt Einführungen, Überblicke und Unterhaltsames. Unter ihnen:

Zurück zu den Quellen
Den Impulsen der Reformation für den persönlichen Glauben heute spüren Christina Brudereck und Jürgen Mette nach: «Reformation des Herzens» regt an zu einer vierwöchigen Reise zu den vier Entdeckungen der Reformation: Gnade, Bibel, Christus und Glaube. Unverblümt «Zurück zu Luther» will Norbert Bolz. Auf 140 Seiten beansprucht er, knapp und klar zu schildern, was vom Reformator «nach wie vor greifbar und nachvollziehbar» ist. Und was heute – so sagte er an der Buchmesse – von Theologen, die das Kreuz verrieten, um das Gutmenschentum zu befördern, nicht mehr vermittelt werde. – Ob die vielen Bücher diesem Mangel abhelfen?

Mehr Bücher über Luther und die Reformation in Deutschland und der Schweiz

Zurück zu Luther: Norbert Bolz