Erhellendes über Freikirchen
Die Studie „Le phénomène évangélique. Analyses d’un milieu compétitif“ (Genf, 2013) liegt mit wenigen Anpassungen in deutscher Übersetzung vor. Das Buch konstatiert Wachstum gegen den Trend: „In einem von wachsender religiöser Indifferenz und Vielfalt geprägten Kontext stellen die Evangelisch-Freikirchlichen – anders als das katholische und das reformierte Milieu – eine erstaunliche Resistenz unter Beweis.“
Die Forscher (Jörg Stolz und Mitarbeiterinnen seines Lausanner Instituts sowie der Neuenburger Soziologe und Freikirchenpastor Olivier Favre) erklären dies mit der Wettbewerbsstärke. Sie ergebe sich daraus, dass „die Mitglieder sämtliche Bedürfnisse (Spiritualität, Beziehungen, Seelenhaushalt, Freizeit, Sinngebung) innerhalb des gleichen Milieus befriedigen“ können. Zudem strukturierten Normen das Milieu und stärkten die Zugehörigkeit des Individuums zur Gruppe – säkulare Angebote seien weniger verlockend.
Die Autoren entkräften Vorurteile und falsche Annahmen über Freikirchen. Sie bilden keinen Block Klassische, konservative und charismatische Gemeinden und Verbände bilden drei deutlich unterscheidbare Strömungen. Weiter ist zu lesen, dass immerhin die Hälfte der Evangelisch-Freikirchlichen die Bibel für göttlich inspiriert hält, ohne dass „alles wörtlich genommen werden sollte“.
In gesonderten Kapiteln werden Bekehrung, Glaubensüberzeugungen und Normen, Gemeinsinn, Autoritätsausübung und Konformismus, Paarbildung, Erziehung, Evangelisation, Gemeindewechsel, Rückzug aus dem Milieu und Entwicklungstrends abgehandelt. 20 Seiten sind zudem der „Minderheit mit evangelisch-freikirchlichem Frömmigkeitsstil in den reformierten Kirchgemeinden der Schweiz“ gewidmet – die Verfasser haben keine bessere Bezeichnung; das Wort evangelikal wird mit guten Gründen vermieden.
Die Bilanz lautet, dass sich das freikirchliche Milieu behaupten und bei grosser säkularer Konkurrenz sogar ausbreiten kann, weil es „sich vor dieser Konkurrenz zu schützen weiss, indem es um sich herum Grenzen errichtet“, aber zugleich Antworten für die Probleme in der Ich-Gesellschaft anbietet. Individualisierende Tendenzen würden positiv aufgenommen, wenn junge Christen „Gemeinschaft anders zu leben“ versuchten und nach „mehr Nähe, Intimität, Wohlbefinden und persönlicher Entfaltung“ strebten.
Wie schützt sich das Milieu vor dem Einfluss der säkularen Gesellschaft? „Indem es auf eine starke Identität baut; diese ist durch ein Ensemble von zugleich sehr modernen und sehr konservativen Werten, Normen, Praktiken und Glaubensüberzeugungen klar definiert.“
Jörg Stolz, Olivier Favre, Emmanuelle Buchard, Caroline Gachet:
Phänomen Freikirchen. Analysen eines wettbewerbsstarken Milieus
Pano Verlag Zürich, 2014, 392 Seiten, 978-3-290-22025-9