Grenzen für den Geist

Versetzt Positives Denken Berge? Eine Tagung am 13. November in Aarau erhellte die Anfänge, Entwicklungen und neuere Formen der aus den USA stammenden Strömung, welche hierzulande vor allem Migrationskirchen beeinflusst.

«Positives Denken führt dazu, dass Brustkrebs zu einem Übergangsritual mutiert – er wird weggelächelt.» Der Churer Historiker Christian Ruch machte im Eingangsreferat deutlich, dass das Positive Denken gerade für Kranke lockende Verheissungen bereithält. Er skizzierte die Ursprünge des Positiven Denkens in der Neugeist-Bewegung (New Thought Movement). US-Amerikaner versuchten im 19. Jahrhundert, Krankheiten geistig zu heilen (Prinzip: mind over matter). Dabei stützten sie sich allerdings, so Ruch, auf Gedanken zweier Europäer, Emanuel Swedenborg und Franz A. Mesmer.

Gottes Leben in mir
Phineas P. Quimby und seine Schülerin Mary Baker Eddy, die «Christian Science» gründete, gaben der Strömung, die sich als christlich verstand, das Gepräge. Joel S. Goldsmith verband später New Thought mit asiatischen Gedanken («The Infinite Way», 1948). Das Wort Jesu «Ich und der Vater sind eins» (Johannes 10,30) deutete Goldsmith als Mantra, mit dem der Mensch sich vergewissert, dass sich in ihm das Leben Gottes entfaltet. Christian Ruch nannte in seinem Überblick weitere Vertreter der Bewegung, die mit N.V. Peale, L. Hay, D. Carnegie und J. Murphy in den Mainstream mündete. Ein esoterischer Hintergrund ist auch bei Essek W. Kenyon erkennbar, der Kenneth W. Hagin beeinflusste.

Einflussreiche Prediger
Eingeladen zur Tagung in Aarau hatte die Kommission «Neue Religiöse Bewegungen» des Kirchenbundes. Der Religionswissenschaftler Georg Otto Schmid (relinfo) skizzierte die Bewegung «Wort des Glaubens», die von Hagin in Tulsa, Oklahoma, begründet und geprägt wurde und mit dem Koreaner Paul Yonggi Cho ihren weltweit (auch in Pfingstgemeinden) einflussreichen Prediger fand. Charakteristisch: «Konsequente Wort-des-Glaubens-Lehrer bitten nicht um Heilung –- sie proklamieren die geschehene Heilung.» In der Schweiz vertritt laut Schmid eine deutliche Mehrheit der Migrationskirchen heute die Wort-des-Glaubens-Lehre.

«Name It! Claim It!»
Die drei Workshops drehten sich um aktuelle Gestalten des Positiven Denkens. Im ersten besprach Georg Otto Schmid Buchauszüge von Hagin, Yonggi Cho und vom Westafrikaner Dag Heward Mills, Gründer der Lighthouse Chapel International (Buchtitel: «Name It! Claim It! Take It!»), eine evangelikale Kritik und drei Seiten von Leo Biggers «Löwenherz». Im zweiten Workshop diskutierten die Teilnehmenden mit Christian Ruch Texte aus Rhonda Byrne’s esoterischem Longseller «The Secret». Im dritten Workshop mit dem Pfarrer und Buchautor Peter Schulthess ging es um Erfahrungen mit Engeln.

Unrealistische Ziele
Die Psychologin Susanne Schaaf (infosekta) beschrieb in ihrem Referat das Positive Denken als mentales Pendant zu medizinischen Enhancement-Versuchen. Attraktiv sei es durch die Erfolgsorientierung. Doch es vereinfache die komplexen Zusammenhänge des Lebens, bediene narzisstische Persönlichkeitsstrukturen und passe zur individualisierten, leistungsorientierten Gesellschaft. Den Kriterien ernsthafter Psychologie genügt es nicht.

Gemäss Schaaf werden bei exzessiven Formen des Denkens Probleme ausgeblendet (Vermeidungsstrategie) und unrealistische Ziele angepeilt. Dadurch drohe ein Realitäts- und Identitätsverlust. Das Positive Denken kann zwanghaft werden; eine Schattenseite ist, dass negativen Gedanken zugeschrieben wird, krank zu machen. Die Positive Psychologie (Martin Seligman, Mihaly Csikszentmihalyi) hat sich zwar an einigen Universitäten etabliert; laut der Kritikerin Barbara Ehrenreich ist sie als akademisches Mäntelchen für Positives Denken einzustufen.

Umfassendes Vertrauen
Pfr. Joachim Finger (Beringen) machte deutlich, was christlichen Glauben vom Positiven Denken unterscheidet: Das Bild vom Glauben, der Berge versetzt, stammt von Jesus. Er rief seine Jünger auf, im Glauben zu bitten, und verhiess ihnen, dass sie es empfangen (Matthäus 21,22). Doch ist der Mensch Geschöpf «und nur bedingt und in irdischen Grenzen Schöpfer». Im biblischen Kontext ist Glaube eine Vertrauensbeziehung zu Gott, nicht eine Strategie, um etwas (Erfolg, Heilung) zu erwirken.

Finger betonte: Gott denkt positiv -– «das enthebt mich dem Zwang, ständig selbst positiv denken zu müssen». Positiv ist das Modell des barmherzigen Dienens, das Jesus vorlebte und auf das er seine Jünger verpflichtete (Matthäus 25,35-40). So, schloss Finger, können wir auch in belastenden Zeiten gelassen sein und positiv denken.

Hände aufs Herz -– und schon wird’s warm
Die Veranstalter gaben auch einem Vertreter des Positiven Denkens Gelegenheit zum Vortrag. Der deutsche Motivationstrainer hatte den Teilnehmenden ein Armbändchen auf die Stühle gelegt. Er lud sie ein, sich vorzunehmen, während drei Wochen auf Schimpfen und Klagen ganz zu verzichten. Bei Versagen sei neu zu beginnen, mit dem Band am anderen Handgelenk. Mohr versicherte, im Schnitt werde das Ziel innert vier Monaten erreicht. Wer im Kontakt mit dem Universum sei, den werde das Leben beschenken.

Der deutsche Autor erwähnte seine 2010 verstorbene Frau Bärbel Mohr, die 1998 den Bestseller «Bestellungen beim Universum» geschrieben hatte. Er wies die Teilnehmenden auf weitere Übungen und Strategien hin. Bei einem «Vergebungsritual», das Mohr in Hawaii entdeckt haben will, werden die Hände auf die Brustmitte gelegt. Die entstehende Wärme sei als Liebe im Herzen zu deuten, die das umhülle und auflöse, was in ihm an Ungutem, in Entsprechung zu einem äusserlichen Konflikt, da sei. «Ich verbinde mich einfach mit der Liebe in meinem Herzen.» Sie sei die höchste Kraft, die wisse, «wie sie diesen Teil in meinem Herzen identifiziert und heilen kann».

Eloquent lud Mohr die Anwesenden ein, den Kontakt zum eigenen Herzen zu suchen. «Das Universum möchte, dass du ganz wirst.» Er erwähnte die Gewaltfreie Kommunikation (Marshall B. Rosenberg) und sprach vom Wünschen und Segnen. Es komme darauf an, in welcher inneren Haltung gewünscht werde, und natürliche Grenzen seien einzuhalten. «Wenn der Wunsch im Einklang mit dem Universum war, wird er erfüllt, denn er war der Wunsch des Universums.»