Für Junge und Junggebliebene
Zu meinen Schwerpunkten als Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Samedan gehören „Kirche und Tourismus“, „Kirche für Junge und Junggebliebene“ wie überhaupt die Fragestellung nach einem anderen kirchlichen Image. Die darin entstehenden Angebote, bisweilen (eher zu Unrecht) mit „Eventmentalität“ verpönt, sind gut besucht. Jenseits einer Zeitgeistanbiederung stellen sie, in Ergänzung zum traditionellen Spektrum einer Kirchgemeinde, andere Zugänge dar: Menschen werden erreicht, die sich von einem klassischen Angebot eben gerade nicht ansprechen lassen.
Mit ansprechender Verpackung…
In diesem Sinn hat ein bisschen Eventcharakter wohl noch nie wirklich geschadet, ist doch der Inhalt der guten Botschaft Jesu Christi der gleiche. Aber die andersartig ansprechende Verpackung ist’s, die Lust auf mehr vom besten Inhalt macht, den es überhaupt gibt. In dem Sinn versuche ich alles, ausser gewöhnlich sein zu lassen, und darin alles aussergewöhnlich zu machen.
…Lust auf mehr machen
Mit dem seit 2007 laufenden neuen Gottesdienstformat „HEAVEN ON EARTH“ wird dies beispielhaft umgesetzt. Seine Form spricht vor allem ein junges bzw. junggebliebenes Publikum im Engadin an. Es ist ein Angebot, das zusätzlich zum traditionellen Gottesdienst und in Ergänzung zu diesem mehrmals im Jahr stattfindet. Moderne Musik, multimediale Präsentation, Theater, Snacks und Drinks gehören ebenso dazu wie eine knackige Predigt, die die Alltagsrelevanz des christlichen Glaubens deutlich werden lässt und für jüngere Menschen durchlässig machen möchte.
Das erste Thema war „FACTORY? – Oder: Vom ewigen Alltagstrott und echten Alternativen!“ In der Plakatanzeige hiess es: „Du willst was Besonderes erleben ... Schule, Job, Geld und coole Freunde, Spass & Fun, Parties, mal auf den Putz hauen ... Jedoch erlebst Du dabei auch nicht mehr als die anderen auch!!! Willst Du mehr oder gehst Du weiter im Trott wie die Milchflasche?“ Zur Illustration diente eine Milchflaschenabfüllstrasse einer Fabrik. Die Musik kam von meiner hauseigenen Gruppe „G.A.T.E.“, was für „Give Attention To Eternity“ steht, einer Jugendband ehemaliger Konfirmandinnen und Konfirmanden aus Samedan und Umgebung.
„O Happy Day…“
Es geht uns darum, Menschen echt zu berühren und herauszufordern, über ihr Leben und dessen Gestaltung nachzudenken und sich anregen zu lassen, neu oder wieder anders mit Gott in Berührung zu kommen, dem Wirken seines Geistes Raum zu geben. Ohne zu bevormunden, lassen wir die Botschaft Jesu Christi mit möglichst allen Sinnen gemeinschaftlich erfahrbar und erlebbar werden.
Mittlerweile sprechen zahlreiche Veranstaltungen der Kirchgemeinde die Menschen in ungewohnter Weise auf „Kirche, Glaube, Gott, Leben“ an. Ein weiteres Beispiel dafür ist das jährlich stattfindende „OUT OF THE BLUES“-Festival, das mit einem ökumenischen Gottesdienst in der dann vollbesetzten Dorfkirche beschlossen wird.
Der Gottesdienst, der in modern anmutender Verpackung daherkommt, begeistert in Wort und Form vor allem auch durch die fantastische Stimme von Gospel- und Bluesmusikern, die den Gottesdienst musikalisch bereichern und die Menschen (im wahrsten Sinne des Wortes) in Bewegung versetzen: Der Gospel, das Evangelium von Jesus Christus, geht in Herz und Hand, Kopf und Fuss – und wird gepredigt, gebetet, bedacht und miteinander gesungen: „O happy day“.
Höhere Hinweise auf Gott
Dass es dafür auch ganz andere Formen und Orte gibt, mag das Beispiel von „KIRCHE IM GRÜNEN“ bzw. „KIRCHE IM WEISSEN“ verdeutlichen. Berggottesdienste und andere Gottesdienste im Freien sind öffentliche Veranstaltungen im Schnittbereich von kirchlichem und touristischem Interesse. Die Kirchgemeinde kann als Leistungsträger in der Region ihren spezifischen Beitrag leisten und auch mit einem kleinen Mosaiksteinchen auf ihrer eigenen Visitenkarte bei Einheimischen wie Feriengästen neuen Glanz entwickeln.
„Viele Wege führen zu Gott, einer geht über die Berge.“ Berge als Wegbereiter des Glaubens? Berge als Hinweisschilder auf Gott? Jedenfalls vermögen sie bisweilen auf Horizonte jenseits aller irdischen Grenzen verweisen, aus denen sich dann Lebensmut und Zuversicht schöpfen lassen. Wird die Zukunftsfähigkeit des Christentums sich vielleicht gerade auch darin erweisen, dass sie sich ganz unverschämt an den Bergen als Schöpfung Gottes zu freuen vermag?
Michael Landwehr ist Pfarrer in Samedan GR.