In die Bresche stehen

Wie treten Christen betend für ihr Land ein? Je nach biblischen Anhaltspunkten, kirchlicher Bindung und Verständnis der nationalen Geschichte bekommt das Beten ein anderes Gepräge. Mit dem Nationalen Gebetstag und der ökumenischen Versammlung „«Ein Gebet voraus»“ am Bettagssamstag, 19. September, haben Schweizer Christinnen und Christen in dieser Jahreszeit zwei Gelegenheiten, in der Bundesstadt miteinander betend auf den Gang der Dinge einzugehen.

Der Nationale Gebetstag wurde nach zweimaliger Pause vom evangelischen Netzwerk Gebet für die Schweiz (GfS) und Partnern wieder am Nationalfeiertag durchgeführt. Auf dem durch Regen aufgeweichten Gelände des Nationalen Pferdezentrums in Bern -– die Allmend steht nicht zur Verfügung –- versammeln sich schätzungsweise 3000 Beterinnen und Beter aus allen Teilen der Schweiz für fünf Stunden.

Das Land schützen
Die Bundeshausbeterin Annette Walder, die den Tag mit einem Team organisiert hat, begrüsst die Teilnehmenden in den vier Landessprachen und Englisch. Zu Beginn liest GfS-Präsident Hans-Peter Lang die Worte aus Ezekiel 22,30-31: Gott sucht Menschen, die vor ihm "„in die Bresche springen für das Land"“, dessen Volk sich mit den Verantwortungsträgern von ihm abgewandt hat.

Lang betont, fürs Wohl der driftenden Schweiz sei Gebet notwendig. "„Dort wo die geistlichen Mauern um unsere Lebensbereiche Lücken haben, wächst der antichristliche Geist".“ Die Versammelten werden aufgerufen, für die Nation zu beten "„und gegen Verletzungen der Gesetze und Ordnungen Gottes in den Riss zu stehen"“.

Mit Israel verbunden
Die Gebetszeiten, mit Lob und Anbetung eingeleitet, verbinden Dank und Fürbitte. Verantwortliche in Politik und anderen Lebensbereichen werden gesegnet. Die Teilnehmenden, unter ihnen mehrere hundert Fahnenträger (Beter für einzelne politische Gemeinden, seit dem Christustag 2004) lassen sich von mehreren leichten Regenschauern nicht beirren. Sie singen miteinander die vier Strophen der Landeshymne und beten für die Einheit der Sprachregionen. Die ganze Veranstaltung wird ins Französische, Englische und Italienische übersetzt.

Wo setzt das Gebet fürs Land an? Im Vordergrund steht diesmal die Verbundenheit der Christen mit "„Israel"“. Unter den Fahnen ist der Davidsstern nicht zu übersehen. „"Gott hat uns beschenkt durch die Juden"“, sagt Pfr. Christoph Meister, Präsident der ins Gebetsnetzwerk eingebundenen Israel-Werke Schweiz. Nun seien die Christen gerufen, "„mit Israel zu stehen"“ und sich mit Gottes jüdischem Bundesvolk zu verbinden. Der Aaronitische Segen (4. Mose 6) wird in Hebräisch, Deutsch und Französisch gesprochen.

Gebet für Lehrer und Senioren
Cornelia Amstutz, Landeskoordinatorin der Moms in Prayer, dankt für den Segen Gottes, der durch Bildung dem Volk zukommt, und betete für Schulen und Lehrpersonen. Unter Leitung von Roland Laubscher vom Gebetshaus Amden wird für Kirchen und Gemeinden gebetet. Man dankt für die Senioren, „"die so viel für unser Land getan haben"“. Und betet für jene, die sich in Alter und Schwäche nutzlos fühlen.

Vor der Mittagspause stehen die Teilnehmenden zu zweit und dritt zusammen, um für die Schweiz zu beten. Hanspeter Lang betont, Gott habe den Christen Autorität gegeben, wegweisend zu wirken. Durch sie leuchte Gottes Licht, "„auch wenn Finsternis zunimmt"“. Gott solle die leeren Hände der Christen füllen.

Kirche als Sondergruppe
Der Nachmittag beginnt mit den hebräischen Anbetungsliedern "„Kadosh"“ und „"Baruch HaBa"“ (Offenbarung 4,8 und Psalm 118,26). Dann trägt Hans-Peter Lang einen Abriss der Kirchengeschichte unter dem Aspekt der Trennung von Juden- und Heidenchristen vor. Die neutestamentliche Gemeinde habe ihren Auftrag "„in der Verbindung zu Israel dem Volk Gottes"“, sagt der Aargauer Sozialunternehmer (Stiftung Wendepunkt).

Nichtjüdische Christen seien von den messianischen Juden in den neuen Bund aufgenommen worden. Doch schon im 2. Jahrhundert hätten Theologen die an Israel ergangenen Verheissungen auf die Kirche übertragen. Diese Ersatztheologie habe zum scharfen Antijudaismus der Kirche geführt. Kaiser Konstantin, so Lang, habe das Christentum instrumentalisiert und in Nicäa "„gemeinsam mit den Kirchenfürsten die Aufgaben der Kirche im Kaiserreich geregelt"“. So sei die von Jesus im Heiligen Geist gestiftete Gemeinschaft der Jünger durch die Institution Kirche ersetzt worden.

Von der Wurzel getrennt
Als negative Folgen dieser frühen Weichenstellungen nennt Hans-Peter Lang: Trennung von geistlicher und materieller Welt, abgehobene Theologie, geistige Müdigkeit, Oberflächlichkeit und Selbstbezogenheit, Aktivismus –- und schon im 1. Jahrtausend Judenverfolgung. Durch sie sei die Kirche „"selbst zur erbitterten Widersacherin der Juden, der Heiligen Schrift und des Reiches Jahwes"“ geworden – bis zur Shoa der Nazi-Zeit.

Auf Gottes Treue hoffen
Doch Gott habe gute Gedanken über die Christen aus den Völkern, „"auch wenn wir uns ohne Wissen seit 1700 Jahren auf dem falschen Weg befinden“". Sie könnten sich durch Gebet demütigen -– Lang zitiert 2. Chronik 7,14 und erwähnt den Buss- und Fürbittegottesdienst von Hallauer Christen 2014 angesichts der Kirschenessigfliege. Im Ganzen könnten Christen durch Gebet und aus dem hebräischen Denken geschöpfte Lehre wahre Jünger Jesu werden und „"den Duft des Himmelreiches in diese Welt tragen“."

Langs Ausführungen unterstreicht auf seine Weise der 92-jährige Baroslav Ehrlich, der die Shoa überlebte und 1970 von Polen in die Schweiz einwanderte. Er berichtet vom Grauen, das er unter den Nazis erlebte.

Bei diesem Schwerpunkt verwundert es nicht, dass die Verantwortlichen drängende politische Fragen -– Konkordanz, Europa, Sozialstaat, Migration -– nicht im Einzelnen ansprechen. Zum Abschluss segnen vier Jugendliche die Besucher des Gebetstags in den Landessprachen.