Öffentlich glauben und überzeugen
Die säkulare Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass Christen ihre Vision gelingenden Lebens öffentlich kundtun und leben. Für ein kantiges, bekennendes Engagement hat der Yale-Professor Miroslav Volf an der Uni Fribourg plädiert.
Die sechs Vorlesungen, die Volf auf Einladung des Studienzentrums Glaube und Gesellschaft am 10.-12. Juni 2015 in der Aula der Universität hält, weisen die Relevanz des Religiösen in der Postmoderne auf. Ohne Scheu spricht Volf die Klüfte der multireligiösen Gesellschaft an, mit Verve bezieht er Position. Er zitiert einen Muslim: "Wie können wir Leuten, von denen wir glauben, dass sie von Gott verurteilt werden, gleiche Rechte zugestehen?" Und konstatiert die polar entgegengesetzte Verachtung seitens säkularer Pluralisten: man könne als Mitglied einer offenen Gesellschaft nicht exklusiv glauben. Zwischen diesen Polen öffnet sich ein Weg, wenn die Religionsfreiheit als "wichtigste aller Freiheiten", ja als Grund aller Freiheiten verstanden und hochgehalten wird.
Religion im Pluralismus
Vierzehn Jahre nach dem 11. September plädiert Miroslav Volf dafür, Ressourcen der Weltreligionen zu nutzen, um den politischen Pluralismus zu stärken. Den christlichen Beitrag legt der Moltmann-Schüler in Freiburg dar, jenen der anderen Traditionen erwähnt er. Volf stammt aus dem ostkroatischen Osijek, das beim Zerfall Jugoslawiens umkämpft war. Sein Plädoyer entspringt seiner Biografie; es ist, als wollte er Balsam auf die gewaltversehrte und nun von Islamisten verschreckte Seele Europas träufeln.
Mit einem Doppelpostulat stemmt sich Volf gegen die Meinung, exklusiver Glaube sei im multireligiösen Kontext überholt und untragbar: Die wahrhaft offene Gesellschaft schliesst die Menschen ein, für die ihr Glaube alleinseligmachend ist. Und die Exklusivisten sollen sich in der pluralistisch grundierten Öffentlichkeit einbringen. Sehr wohl, sagt der Systematiker aus Yale, kann man religiös-exklusiv sein und dabei zu politischem Pluralismus beitragen, ihn mittragen.
Intoleranz in Europa
Er erinnert in Freiburgs Aula daran: Jeder Weltreligion eignet der Anspruch, universal wahr zu sein, "für alle Menschen zu allen Zeiten". Die Unterscheidung von wahrer und falscher Gottesverehrung ist für sie grundlegend (1. mosaisches Gebot). "Der offenbarte Charakter dieser Religionen verstärkt den Exklusivismus." Dementsprechend glauben die meisten Menschen auf dem Globus exklusiv. Und jene, die alle Religionen als gleichwertig ansehen, seien nicht vor Exklusivismus gefeit; nicht selten wollten sie traditionell Gläubige ausschliessen. Volf erinnert an Rousseau. Dieser forderte unverblümt, Exklusivisten um des politischen Pluralismus willen aus dem öffentlichen Leben zu verbannen.
Der Intoleranz in Europa setzten Puritaner in der Neuen Welt ihr Gegenmodell entgegen: Roger Williams gründete schon um 1640 Rhode Island als Gemeinwesen mit umfassender Glaubensfreiheit, und dies aufgrund der Schrift: weil er Gottes Barmherzigkeit, die Gewaltlosigkeit Jesu und die Goldene Regel ernst nahm - ein Exklusivist als Pionier politischer Freiheit. Auf dem Podium verdeutlicht Volf, dass er die inklusive als die schlechteste Position einschätzt: Wer die Religionen über einen Leisten schlägt, vereinnahmt andere, statt ihr Selbstverständnis zu respektieren.
Zwei Vorlesungen sind der Globalisierung gewidmet. Wider die eingängige These des Soziologen Peter Berger, dass Globalisierungsprozesse an sich zu religiösem Pluralismus beitragen und den Relativismus fördern, spricht laut Volf die Entwicklung in den USA und Indien: Da gehe ein grosser Pluralismus mit unvermindert starken Überzeugungen einher.
Derselbe Gott?
Für die Frage, wie Christen und Muslime "unter demselben politischen Dach zusammenleben", hat die Gottesvorstellung eminente Bedeutung. Miroslav Volf hat 2008 das Yale-Statement entworfen, eine christliche Antwort auf eine Erklärung führender Muslime nach der Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. Glauben Christen und Muslime an denselben Gott? Volf grenzt ein, will nur über die Gottesvorstellung, nicht über den Gott zugeschriebenen Charakter, auch nicht über Gottesverehrung und Heilsvorstellungen reden. Bei den monotheistischen Religionen meint er aufgrund "genügender Ähnlichkeit" (sufficient similarity) dieselbe Gottesvorstellung konstatieren zu können: "Das Objekt des Glaubens ist dasselbe". Für Christen wie Muslime sei Gott gerecht und barmherzig.
Ein wesentlicher Unterschied bestehe darin, dass der Gott des Islam liebt, der christliche Gott in der Trinität jedoch Liebe ist und auch liebt, was nicht liebenswert ist (Feindesliebe). Gleichwohl könnten Christen Muslimen beistimmen: Es gibt keinen Gott ausser Gott. Volf zitiert Nikolaus von Kues (+1464): Was Muslime an der Trinität bestreiten, sollten Christen nicht glauben. "Christen und Muslime unterscheiden sich nicht in der strengen Einzigkeit (singleness) Gottes, sondern wie Gott in sich differenziert gedacht wird". Der Ähnlichkeit der beiden Gottesvorstellungen zugetan, stuft Volf die Inkarnation als "nicht wesentlich" für die christliche Gottesvorstellung herab. Die jüdischen und islamischen Einwände gegen die Trinität sieht er auf derselben Linie - und mit den Juden wollten doch die Christen die Gottesvorstellung gemein haben...
Religion und Gewalt
Volf scheut nicht vor der zentralen Anklage zurück, mit der Säkularisten die Religionen generell zu erledigen meinen: dass sie Gewalt verursachen. Die Ursachen der Gewalt habe Hobbes 1651 im "Leviathan" benannt. Weder jene, denen Religionen die Quelle von Zwietracht und Gewalt sind, noch jene, die sie als von bösen Menschen manipuliert sehen, haben laut Volf recht: Ihre Sichtweisen seien zu statisch, würden dem positiven wie dem Gefahrenpotenzial nicht gerecht.
Als Hauptfaktor sieht Volf, in der Spur von Hobbes und David Martin, die Verbandelung von Religion und Politik (auch in fernöstlichen Religionen: auf Sri Lanka der buddhistische Mönch mit Gewehr). Mächtige wollten Abweichler unterwerfen und auf Linie bringen. Umso wichtiger ist die Unterscheidung zwischen politisierter Religion und im politischen Raum engagierter Religion. Verdünnt sich Religion zu einer äusserlichen, nationalistischen Praxis - Volf verweist auf die Serben - , ist sie leichter politisch zu missbrauchen.
Am Ende der Vorlesung steht die Frage, ob Religionen die Ressourcen haben, um Konflikte zu bewältigen, in welche sie verwickelt sind. Miroslav Volf schärft in Freiburg ein, dass Religion dafür da ist, das Gute des Lebens öffentlich zu artikulieren, damit es gedeihe. "Jede Religion muss der anderen zugestehen, dass sie ihre Vision lebt" und in die Öffentlichkeit trägt.
Versöhnung praktisch
Die Vorlesungen rundet Miroslav Volf mit nüchternen Ausführungen über Versöhnung ab. Sie verwehrt einer von Unrecht geprägten Vergangenheit, "die Zukunft zu kolonisieren". Ohne sie brennen sich Schuld, Scham, Ressentiment und Hass in die persönliche und gemeinschaftliche Erinnerung ein und vergiften den weiteren Weg. Versöhnung schliesst laut Miroslav Volf fünf Aspekte ein, die alle "leicht zu benennen, aber schwer zu leben" sind:
- gemeinsam, auch öffentlich wahrhaftig erinnern
- vergeben, das Unrecht zwar bezeichnen, aber nicht anrechnen, nicht vergelten
- ohne Berechnung um Entschuldigung nachsuchen, ehrlich und reuig,
- soweit möglich Schaden wiedergutmachen
- einander umarmen ("embrace").
Volfs Ausführungen lassen erahnen, wie viel die Kirche zur politischen Kultur beitragen kann, wenn sie aufgrund des Vorbilds Jesu und seiner Weisungen Versöhnung selbst kultiviert, sorgfältig vermittelt und nachdrücklich einfordert. Man möchte sich von der Zuversicht des Yale-Professors anstecken lassen. Auch wenn sich manche seiner Argumente im verunsicherten Westeuropa leichtfüssig ausnehmen - seine Analysen sind zu diskutieren.
Miroslav Volf ist Professor an der Yale Divinity School und Gründer und Direktor des Yale Center for Faith and Culture.
Erläutert hat er seine Thesen im Buch: A Public Faith. How Followers of Christ Should Serve the Common Good, Grand Rapids, USA, 2011, in deutscher Übersetzung: Öffentlich glauben in einer pluralistischen Gesellschaft
Webseite des Studenzentrums für Glaube und Gesellschaft an der Uni Fribourg