Wenig Mut zur Neuordnung bei Berner Reformierten

Die Berner Kantonsregierung will den Landeskirchen mehr Freiheit geben und sich Sparmöglichkeiten eröffnen. Pfarrerinnen und Pfarrer sollen von den Kirchen angestellt und bezahlt werden. Die Regierung hat von Experten darstellen lassen, wie das Verhältnis des Kantons Bern zu den Kirchen sich historisch entwickelte und heute darstellt. Am 27. März informierte Regierungsrat Christoph Neuhaus die Medien. Die Kirchenvertreter markierten Vorbehalte, der Präsident des reformierten Pfarrvereins lehnte die Übergabe der Pfarrschaft in die Personalverantwortung der Kirche ab.

Bern hat seit dem 19. Jahrhundert keine Staatskirche mehr, doch besoldet der Staat als Entschädigung für das Kirchengut, das er 1804 an sich nahm, die Geistlichen. Und er hat die Aufsicht über Organisation und Finanzen. Nach dem Willen des Regierungsrates soll die Lohnzahlung aufhören, die Aufsicht gelockert und die Verflechtung gemindert werden, da der Bevölkerungsanteil der Landeskirchen schrumpft. Berns Besonderheit ist, dass die Reformierten noch immer die Bevölkerungsmehrheit stellen (2013: 57 Prozent, Katholiken 16 Prozent).

Vom Juristen Rudolf Muggli und dem Ökonomen Michael Marti hat die Regierung eine Auslegeordnung machen lassen. Im 145-seitigen Bericht erinnern die Experten an den konfessionellen Gegensatz, der für die eidgenössischen Stände noch im 19. Jahrhundert bestimmend und identitätsstiftend war (obwohl das reformierte Bern 1815 mit dem Jura einen „"katholischen Kantonsteil“" erhielt).

Enger verflochten

Heute gibt es laut Bericht in der Schweiz vier Typen des Verhältnisses, drei mit öffentlich-rechtlicher Anerkennung (inkl. Steuerprivilegien) von Kirchen durch den Staat:

  • Verflechtung und teilweise Finanzierung (VD, VS, BE) •
  • Aufsicht und erhebliche Finanzhilfen (ZH, BL) •
  • Oberaufsicht und geringe oder keine Finanzhilfen (BS, SG) •
  • Vordergründige Trennung, aber Erwähnung der Kirche als Gruppierungen von öffentlichem Interesse und administrative Unterstützung ohne Finanzhilfen (NE, GE)

In Bern wirkt das einstige Staatskirchentum bisher nach in einer "„sehr engen Partnerschaft“" (Rudolf Muggli), in Form vielfacher Verflechtung der Kirchen mit der Staatsverwaltung und territorialer Fixierung der Kirchgemeinden durch den Staat, detaillierter Gemeindeaufsicht und staatlich geregelter Anstellungspensen der Pfarrschaft. Letztere wurden 2013 Gegenstand politischer Auseinandersetzung, als der Grosse Rat den Rotstift ansetzte.
Expertenbericht Muggli-Marti

Bedächtige Regierung
Laut dem Regierungsrat gilt es, das Verhältnis des Staats zu den Landeskirchen „"mit Bedacht den neuen gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen und weiterzuentwickeln"“. Er will dies ohne Verfassungsänderung mit einer Totalrevision des Kirchengesetzes erreichen. Die historischen Rechtstitel will er nicht ablösen. Die Autonomie der Landeskirchen soll gestärkt werden. Dass der Grosse Rat die Gemeindepfarrstellen bestimmt, sei nicht mehr zeitgemäss. Die Versorgung der Kirchgemeinden mit Pfarrern sei eine "„innerkirchliche Angelegenheit"“. Daher will der Kanton ihre Anstellung, Besoldung und Führung den Landeskirchen übergeben.
Dokumentation des Regierungsrates

Komfortable Finanzierung
Die Finanzierung der drei Landeskirchen steht auf vier Säulen und ist komfortabel: Die Berner Reformierten erhalten jährlich 160 Mio. Fr. Kirchensteuern natürlicher und juristischer Personen. Die staaatlichen Pfarrgehälter betragen 60 Mio. Fr. Der Kanton trägt an die Pfarrerausbildung und den Gebäudeunterhalt bei. An eigenen Mitteln generieren die Reformierten 30 Mio. Fr. (inkl. Spenden).

Offenbar hat die Grossratsdebatte von 2013 die Landeskirchen erschüttert. Synodalratspräsident Andreas Zeller sagte vor den Medien, sollte die "„Hauruck-Sparübung“" wiederholt oder gar üblich werden, würde „"das Vertrauen der Kirchgemeinden und der Pfarrschaft in den Staat“" zerstört.

Als Sprecher der Landeskirchen betonte Zeller, ihre Leistungen für die Gesellschaft überstiegen die vom Staat eingesetzten Mittel deutlich. (Die fast 900'‘000 Stunden unentgeltlicher Arbeit bei den Reformierten werden im Expertenbericht mit je 48.90 Franken bewertet.) Er kritisierte die Absicht der Regierung, zugunsten der „"berechtigten Interessen des Kantons"“ ihren "„finanziellen Handlungsspielraum"“ zu erweitern. Zeller sagte, die Kirche wolle nicht Arbeitgeberin von gegen 500 Pfarrerinnen und Pfarrern werden, "„ohne entsprechend ausgestattet zu sein"“.
Medienmitteilung der Landeskirchen

Pfarrverein: interreligiösen Brückenbau fördern
Der Präsident des Pfarrvereins Michael Graf äusserte sich schärfer: Die Pfarrer wollten Angestellte des Staates bleiben. Der Grosse Rat solle dies beschliessen. Der Regierungsrat betrachte die Pfarrschaft, die seit über 200 Jahren für die Menschen im Bernbiet da sei, neu als „"Kostenfaktor"“. Statt Kürzungen ins Auge zu fassen, sollte der Kanton "„in die Arbeit der Pfarrschaft investieren"“, ist im Communiqué des Vorstands des Pfarrvereins zu lesen. Der Kanton solle eine „"aktive und verantwortungsbewusste Religionspolitik betreiben"“. Dafür seien die Landeskirchen mit ihrer "„langjährigen Arbeit im interkonfessionellen und interreligiösen Dialog... die idealen Delegierten und Partner"“.

Der Vorstand des Pfarrvereins fordert den Grossen Rat auf, den "„hohen materiellen und immateriellen Beitrag"“ der Pfarrschaft zum Gemeinwohl anzuerkennen: nicht nur "„Seelsorge, Verkündigung und Beistand"“, sondern auch Brückenbau zwischen Konfessionen und Religionen. Das Kantonsparlament solle die Position der Pfarrschaft stärken und weitere Mittel zur Verfügung stellen, „"um Spezialstellen für den interreligiösen Dialog und die Einbindung anderer religiöser Gemeinschaften ins Gemeinwesen zu schaffen"“. Der Vorstand des Pfarrvereins wünscht eine Umbenennung der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion in Justiz-, Gemeinde- und Religionsdirektion.

Der Bericht des Regierungsrates soll im September vom Grossen Rat behandelt werden. Seine vorberatende Kommission wird auch Kirchenvertreter anhören. Im Mai wird die reformierte Synode darüber beraten.