Dem Geheimnis des Christus auf der Spur

Christus ist Gott und Mensch. Gott ist dreieinig: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die zwei Kernstücke des christlichen Glaubens sind neu zu buchstabieren. An einem Studientag mit Wolfgang Bittner wurde das Hören auf die Bibel geübt, das Paradoxa stehen lässt.

"Muss ich das glauben?"“ Die Frage, mit der die Fritz Blanke Gesellschaft für den 11. April nach Rüschlikon eingeladen hatte, warf ihr Studienleiter Pfr. Dr. Wolfgang Bittner zu Beginn in die Runde. Die Kirche stehe unter Verdacht, etwas ganz Kompliziertes erfunden zu haben: "„Wie kommt man in der Kirche zu dieser Überzeugung, dass man von Christus nicht anders reden kann? Und dass Gott einer ist und drei sind?“"

Genau hinsehen
Laut Bittner gibt es in der Bibel Überzeugungen, „"die nahe an dem sind, was uns die Vernunft klar machen kann. Es geht aber darum, wie gesprochen und wie argumentiert wird."“ In einem längeren Exkurs grenzte der Referent das Hören auf die Bibel ab vom gängigen religionsphilosophischen Konzipieren von Gottesvorstellungen (vgl. den Bericht). Dann kam er zum Kern der Sache: "„Wie reden die biblischen Texte von Jesus von Nazareth als dem Gott, der uns begegnet?“"

Jesus: Mensch, nicht Engel
Der Autor des Hebräerbriefs weist die (heute wieder populäre) Annahme ab, Jesus sei als Engelwesen zu verstehen. Denn ein Engel bleibt ein Engel. Jesus aber ist Mensch geworden. Daran lassen die Evangelien keinen Zweifel und der Hebräerbrief fasst es im Blick auf das priesterliche Amt Jesu drastisch zusammen (2,17): „"Er musste in allem den Brüdern und Schwestern gleich werden, um ein treuer und barmherziger Hoher Priester vor Gott zu werden und so die Sünden des Volkes zu sühnen. Denn dadurch, dass er gelitten hat und selber versucht worden ist, vermag er denen, die versucht werden, zu helfen.“"

Der Versuchung ausgesetzt
Christen neigten dazu, die Versuchungen Jesu gering einzuschätzen, äusserte Bittner in Rüschlikon. „"Wir denken: Er hatte es einfach -– er war ja auch Gott.“" Der Hebräerbrief stehe dem entgegen. Mit ihm sei die von Christen erfundene Kunstfigur des Halbgotts nicht zu vereinbaren. "„Jesus war kein Halbgott, sondern ganz Mensch."“ Der Referent setzte noch einen drauf: "„Hatte Jesus auch eine Pubertät, eine Sexualität? Ja, natürlich. Sonst hätte er den Weg in dieser Klarheit und Stärke nicht gehen können."“ Hebräer 4,15 zeigt, wie sehr Jesus Mensch war. "„In der Versuchung hätte er fallen können; er weiss, was das ist."“ Für Bittner liegt hier ein Deutungsmuster der ersten Generation vor. „"Wir können uns darauf einlassen, um zu sehen, ob es sich bewährt oder nicht bewährt.“"

Jesus verzichtete
Wie war Jesus Gott und Mensch? Kein Abschnitt des Neuen Testaments wird so deutlich wie der Hymnus, den Paulus in Philipper 2,5-11 zitiert. Die Frage: Hat Jesus auf dem Weg seine Gottheit zurückgelassen, um sie wieder zu erlangen? Bittner stellte eine Arbeitshypothese zur Diskussion: Jesus blieb nach wie vor Gott, aber er deponierte (wie in einem Safe) die Fähigkeiten und Möglichkeiten, die ihm als Gott zu Gebote standen, um auf seinem Weg Mensch und nur Mensch zu sein.

Er griff auf dem Weg, der als Erniedrigung beschrieben wird, nicht auf die Möglichkeiten zurück, die er als Gott hatte, aufgrund seines Entschlusses, nicht mit ihnen umzugehen. (Am Rande merkte Bittner an, der Hymnus, innert 20 Jahren nach der Kreuzigung entstanden, beweise, dass schon die ersten Christen Jesus als Gott anbeteten. Die sogenannt hohe Christologie ist kein späteres Konstrukt, wie unermüdlich behauptet wird.)

Wundertäter...
Das Johannesevangelium lässt deutlicher als die anderen Evangelien erkennen, dass Jesus mit dem Vater lebte als der Sohn, der Gott ist, aber dabei auf das verzichtete, was im Gott-Sein an Möglichkeiten angelegt ist. Wolfgang Bittner verwies in dem Zusammenhang auf die Wunderberichte des Neuen Testaments. „"Wenn er auf die Möglichkeiten des Gott-Seins nicht zurückgegriffen hat, kann man aus den Wundern nicht auf sein Gott-Sein schliessen."“ Zur selben Zeit wirkten auch andere Menschen Wunder. „"Aber einen, der so mit Wundern identifiziert wurde, gibt es nur einmal: Jesus.“" Sie lassen auf seine besondere Nähe zu Gott schliessen.

...mit dem Vater
Johannes 5,17-19 kann als Schlüssel gelesen werden: Jesus nimmt das Recht, das Gott hat, für sich in Anspruch. Was er den Vater (am Sabbat!) tun sieht, wirkt er im Einklang mit ihm. Von sich aus kann er nichts tun. Dasselbe liest Bittner aus der Begegnung mit der kananäischen Frau heraus (Matthäus 14,21ff): Jesus entdeckt, dass der Vater in ihrem Glauben am Werk ist, und wird willens, mit dem Vater zu arbeiten. „"Die Wunder Jesu sind Zeichen seiner Aufmerksamkeit auf den Vater, sein Einstimmen in das, was der Vater tut."“ Dieses Achten auf Gottes Wirken lehrte Jesus seine Freunde, als er sie aussandte, Gottes Herrschaft zu proklamieren (Matthäus 10,14): Wenn sie aufgenommen werden, sollen sie bleiben. "„Dann ist der Vater dran. Sonst macht es keinen Sinn, dran zu sein.“"

Das Bewusstsein Jesu
Wie wurde Jesus gewahr, dass er Gott ist? Auf diese Frage gibt es laut Wolfgang Bittner im Neuen Testament keine klare Antwort. Jeder Jude habe sich als Sohn Gottes verstanden. Die Aussage des Zwölfjährigen im Tempel, er müsse in dem sein, „"was meines Vaters ist"“, sprenge den Rahmen des jüdischen Denkens nicht. Der Studienleiter der Fritz Blanke Gesellschaft liess im Nidelbad zahlreiche Fragen von Teilnehmenden zu. Manche zitierten andere Bibelworte und äusserten weitere Gesichtspunkte. Im Austausch und den Bemerkungen des Theologen deutete sich der Reichtum des biblischen Zeugnisses an, das die Theologen der Alten Kirche mit der Zweinaturen-Lehre (verbindlich formuliert vom Konzil von Chalcedon 451) auf den Punkt brachten.

Der Reichtum Gottes...
So blieb am 11. April wenig Zeit für die Trinitätslehre. In ihr vermittelte Wolfgang Bittner manch Erhellendes. Auch die Trinitätslehre beruht auf genauem Lesen der biblischen Texte. Sie ergibt sich aus dem Hören, das nicht übers Reden der Zeugen hinausgehen will, die von Gott reden als einem, als mehreren. In der Bibel findet sich sowohl die Aussagereihe, dass Gott einer ist (die islamische Anklage trifft nicht zu) als auch die andere Reihe: Die Zeugen im Alten und Neuen Testament reden von verschiedenen, unterscheidbaren Figuren/Personen als Gott (Philipper 2,10). Und dies kann nicht modalistisch gedeutet werden, als sei Gott mal so, mal so. Denn der Sohn spricht mit dem Vater. Zudem sind die drei nicht austauschbar: Der Vater sendet den Geist. Nie ist der Vater dem Sohn gehorsam.

...in einem langen Prozess in Worte gefasst
Wolfgang Bittner riet zugleich, triadischen Aussagen (Matthäus 28,19, 2. Korinther 13,13) nicht einen trinitarischen Sinn beizulegen. Sie markierten den „"Anfang eines Erkenntniswegs“", ohne zu sagen, dass die drei eins sind. Die Kirchenväter hätten die Aussagen vorgefunden, griechische Denker und lateinisch geprägte Juristen gemeinsam einen Weg finden müssen. Für Augustinus bezeichnet das Sohn-Sein Jesu seine Beziehung, die er zum Vater hat. Für den grossen Kirchenvater meinte Person Relation! Bittner: "„Der eine Gott ist, je nachdem in welcher Beziehung er steht, Vater oder Sohn oder Geist."“ Die Sprache sucht sich mit Bildern dem Geheimnis zu nähern: "„Gott ist ein Gott, der in sich drei Standpunkte hat, und diese können miteinander reden.“"

Gespräch der Liebe
Es ist ein Gespräch der Liebe, wie Bittner sagte: "„Die Liebe hat nie nur einen Standpunkt, sie sehnt sich nach mehr als nur einen Standpunkt."“ Kennte Gott nur einen Standpunkt, würde er zwar Stabilität versprechen –- "„man weiss, woran man ist. Aber er ist unbeweglich."“ Mit der Trinitätslehre habe sich die Kirche ein tieferes Verständnis von Gott erarbeitet: Er ist ein Gott der Liebe, die voraussetzt, dass man verschiedene Standpunkte hat. Der Referent schloss mit einer Bemerkung zum Gebet. Es könne als vierter Standpunkt, als Hinzutreten zum Gespräch, das Gott mit sich selbst führe, verstanden werden: "„Die drei sagen: Wir sind dabei miteinander zu reden. Komm, nimm einen Stuhl, setz dich zu uns.“"