Kirchgemeinden: ... und sie bewegen sich doch!

Die Zusammenarbeit mit Nachbarn ist kein Allheilmittel für Kirchgemeinden und nicht schmerzlos, doch öffnet sie erfreuliche Perspektiven. Acht Kurzberichte und zwei Inputs einer Impulstagung am 28. Oktober 2010 in Zürich zeigten Licht und Schattenseiten auf.

Vier Kirchgemeinden im Zürcher Wehntal haben seit neustem einen Kinderchor. Im Berner Jura arbeiten Pfarrer von acht Gemeinden im Team; ihre Einsätze sind koordiniert; ein grosser Teil der Arbeit wird ausserorts und für den Verbund geleistet.

Im unteren St. Galler Rheintal ist man froh über den A-Treff, in dem sozial Benachteiligte dreimal wöchentlich Lebensmittel erhalten und sich aussprechen. Der Treff, von drei Kirchgemeinden organisiert, wird von der Kantonalkirche unterstützt. Die Zürcher Quartierkirchgemeinden Fluntern und Oberstrass brachen den Fusionsprozess ab, nachdem der Wille lange bekundet und die Vorbereitungen weit gediehen waren.

Zwei Gemeinden – ein Seelsorgegebiet
Im Norden des Kantons Glarus, wo die politischen Gemeinden zu dreien fusionieren, bilden Kirchgemeinden erfolgreich einen Verbund. Im oberen Tösstal ist eine Pfarrunion entstanden: Zwei Pfarrer arbeiten mit zwei Kirchenpflegen in einem Seelsorgegebiet. Im Weinland entlastet die Bezirkskirchenpflege die örtlichen Vorsteherschaften mit zwei übergemeindlichen Rechnungsprüfungskommissionen.

Im 100-jährigen Verband der reformierten Kirchgemeinden der Stadt Zürich kontrastiert der Reichtum an Geld und Gebäude mit dem Mitgliederrückgang (auf ein Drittel in 50 Jahren) und dem Mangel an Familien; er sucht darum nach zeitgemässen Strukturen.

Umbau statt Abbau?
Die erwähnten acht Projekte, an der Impulstagung der Zürcher reformierten Landeskirche am 28.Oktober vorgestellt, gaben einen Eindruck von Chancen und Schwierigkeiten der übergemeindlichen Kooperation. Gibt es in der Zukunft der Reformierten Umbau statt Abbau, eine Bündelung der Ressourcen, bessere Zusammenarbeit von Pfarrern, attraktivere Kinder- und Jugendarbeit?

Der Tagungsleiter Karl Flückiger, Beauftragter der Zürcher Landeskirche für Gemeindeentwicklung, der diese Frage einleitend stellte, machte das weite Spektrum deutlich, in dem die Reformierten mit ihrer jahrhundertealten Territorialstruktur sich bewegen. Die Fusion von vier Kirchgemeinden im Kleinbasel, habe 15 Jahre in Anspruch genommen.

Berichte 011

Fördern, nicht erzwingen
Kirchgemeinden sind durch ihren öffentlich-rechtlichen Status nicht so frei sind wie Freikirchen. Den Rahmen fürs Zusammengehen skizzierte der für Gemeindedienste zuständige Zürcher Kirchenrat Andrea Bianca. Er gab zuvor seiner Betroffenheit über die schwere Krankheit von Kirchenratspräsident Ruedi Reich Ausdruck, der selbst hatte sprechen wollen. (Am Vortag war der Rücktritt Reichs bekannt geworden.)

Bianca betonte mit Verweis auf die Kirchenordnung (Art. 174, 175, 151), dass der Kirchenrat zwar Zusammenarbeit fördern, aber nicht Gemeinden fusionieren wolle. Die Initiative soll von den Gemeinden ausgehen; falls eine Fusion beabsichtigt wird, hat die Kirchensynode das letzte Wort.

Das Lernen lernen
Andrea Bianca sprach sich für ein interkantonales Lernen aus. Er zitierte die Vorschläge des Religionssoziologen Jörg Stolz im Buch „Die Zukunft der Reformierten“: gemeinsame Anlässe, Absprachen über Schwerpunkte der Tätigkeit, Angebote mit Ausstrahlung in der Region, Arbeitsstellen auf kantonaler Ebene. Nach deutschen Erfahrungen (Dieter Pohl) werde Kooperation nur gelingen, wenn zuerst die Identität bestimmt und zweitens geklärt werde, für wen die Kirchgemeinden da sein wollen. „Wir müssen, um umbauen zu können, zu einer lernenden Organisation werden.“

Pfarrer im Team
Was erschwert und hindert Kooperation? In den Kurzberichten kam der hohe Aufwand für Koordination zur Sprache – und dass Pfarrer sich querlegen oder doch Mühe mit dem Teamwork haben. „Pfarrer sind Bedenkenträger“, drückte sich der Regensberger Pfarrer Martin Schärer aus. Der Wille zur Zusammenarbeit kann sich kreativer entfalten, solange der Druck von aussen nicht gross ist.

Im Berner Jura baute der Staat, der die Pfarrer bezahlt, auf einen Schlag sechs von 14 Pfarrstellen ab. Die Umstellung auf eine regional koordinierte Arbeitsweise gestaltete sich harzig. „Pfarrer sind Individualisten“, sagte der Berichterstatter Pfr. Jean-Marc Schmid. Die Mitarbeitenden müssten ihre Gewohnheiten überwinden. Unter jüngeren Gemeindegliedern findet das Zusammengehen eher Zustimmung. Neu bietet die ‚Paroisse8‘Ehevorbereitungs- und Taufeltern-Kurse an.

Rechtzeitig agieren
Ralph Marthaler, in der Berner Landeskirche für Gemeindeentwicklung zuständig, lud die Kirchgemeindevertreter ein, dann zu agieren, „wenn der Kochtopf noch nicht dampft. Dann kann ich noch nach Motiven fragen.“ Die Berner Kirche versucht bei Kooperationsprojekten den regionalen Wandel zu begleiten. Kirchgemeinden im Gebiet des Naturparks Gantrisch lernen einander kennen, indem sie parkbezogen zusammenarbeiten.

Neue kirchliche Bezirke haben die Förderung regionaler Kooperationen als Hauptaufgabe. Marthaler konstatierte: „Die meisten Kirchgemeinden kooperieren in irgendeiner Weise, wollen aber keine Strukturen.“ Und lud dazu ein, für Kooperation gemeinsame Ziele rechtzeitig zu suchen.