Missionale Theologie: Miteinander auf dem Weg

Wie ermächtigt Christus die Kirche, ihre Sendung zu leben und den Auftrag umfassender zu erfüllen, den er ihr gegeben hat? Die Frage stand Mitte Januar 2011 im Zentrum einer theologischen Tagung im Aargau.

Dass die Kirche ihre Bestimmung klarer erfasst und ihr Handeln darauf ausrichtet: dies erstrebt eine neuere Denkrichtung, die unter der Flagge '‚missionale Theologie‘' segelt. Es geht dabei nicht um Nabelschau, sondern um die Fokussierung auf die Menschen in einer Zeit des Traditionsabbruchs, da die Gesellschaft sich zunehmend postchristlich darstellt und in Milieus mit eigener Dynamik zerfällt.

Gott hat sich in seinem Sohn Jesus Christus uns Menschen zugewandt. Wie die Kirche diese Sendung weiterführt, wie sie die Fülle von Christus Menschen heute vermittelt, beschäftigte am 18. und 19. Januar 20 Personen auf dem Herzberg bei Aarau. Das Zürcher Institut für Gemeindebau und Weltmission (IGW) hatte einen Kreis von Theologen zu einem zweiten „"Think Tank"“ eingeladen, um den Fokus von "„missionaler Christologie"“ zu präzisieren. Dies geschah in der Diskussion der Thesen von drei Referenten.

Das Bild von Christus im Wandel
Das Bild von Jesus Christus ändert sich in der Geschichte: Die Christologie, die Lehre von seiner Person und seinem Werk, spiegelt die kulturelle und soziale Entwicklung. Der Erlanger Kirchenhistoriker Peter Aschoff erläuterte vier Thesen aus neutestamentlicher Sicht. Er sprach von der Gefahr, der jede Generation unterliegt, wenn sie die Bibel liest: ihre eigenen Sehnsüchte und Konzepte auf Jesus zu projizieren. So mag der ungezähmte, ‚'radikale'‘ Jesus der letzten Jahrzehnte eine neo-romantische Projektion sein: Entwächst er den Sehnsüchten jener, die innerlich unerfüllt als brave Rädchen der Dienstleistungsgesellschaft funktionieren?

Zeit zum Gespräch am IGW-Think Tank.

Genauer hinsehen
Aschoff betonte den Zusammenhang zwischen der Lehre von Christus und der Lehre der Kirche: Aus einer vertikalen Christologie, die den irdischen Weg von Jesus zugunsten von Kreuz und Auferstehung ausblendete, erwuchs eine statische Ekklesiologie, die die Hierarchie betont. Dagegen will eine missionale Christologie genauer hinsehen, wie der Wanderprediger Jesus die Messias-Sehnsüchte seiner Zeitgenossen (nicht) erfüllte. „"Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten"?“ Die Frage, die auf den Kern seiner Sendung ging (Matthäus 11,3), beantwortete Jesus indirekt mit dem Verweis auf Zeichen und Wunder -– und dass Armen die Frohbotschaft verkündigt wird.

Gottes Gesandter –- Gottes Weisheit
Die Gruppe bejahte Aschoffs These, dass aufgrund des Handelns von Jesus als Messias die Wirklichkeit heute "„im Blick auf den kommenden, sich erbarmenden Gott und seinen verheissenen Schalom“" zu deuten ist. Jesus enttäuschte populäre Erwartungen, als er sich für den Anbruch der befreienden Herrschaft Gottes selbst hingab; diesem "„eigensinnigen Entschluss Jesu“" sei zu folgen. Eine weitere These Aschoffs wurde auf dem Herzberg dahingehend zugespitzt, dass die ersten Christen in Jesus "„sowohl den geschichtlichen Messias als auch die menschgewordene Schöpferweisheit Gottes erkennen"“. Mit seiner Auferstehung bricht die neue Schöpfung an; dies hat Folgen auch fürs gesellschaftliche Leben. Jesus ist durch den Heiligen Geist in seiner Gemeinde präsent, wird in ihr sichtbar und erlebbar.

Bogen zur Neuschöpfung
Der IGW-Dozent Rainer Ebeling forderte in seinem Vortrag, die christliche Dogmatik (Glaubenslehre) sei von der missionalen Christologie her neu zu erarbeiten und zu gliedern. Ihr Ansatzpunkt ist nicht im Menschen, "„sondern im sendenden und gesandten Gott begründet und somit transzendent“". Missionale Christologie „"spannt den Bogen der Geschichte Gottes mit der Welt von der Schöpfung bis zur Neuschöpfung"“; ihre Mitte hat sie im geschichtlichen Leben und Handeln von Jesus. Dies ergebe, so IGW-Rektor Fritz Peyer, ihren Mehrwert. Betont wird auch der spezifisch kulturelle Kontext, in dem die Sendung Jesu, in Erfüllung alttestamentlicher Verheissungen, geschah.

Als Gemeinschaft auf dem Weg
Björn Wagner, IGW-Studienleiter in Karlsruhe, trug Thesen aus praktisch-theologischer Sicht bei. Christus habe, indem er die Gemeinschaft mit dem Vater im Himmel hielt, seine Sendung erfüllt. "„So ist die Gemeinde aufgerufen, Gemeinschaft zu sein und zugleich den Sendungsauftrag zu erfüllen".“ In der Spur von Jesus gehen (Nachfolge) sei kein individuelles Geschehen, sondern eine "„gemeinschaftlich gelebte, kulturübergreifende Lebensweise"“, führte Wagner aus.

Die auf dem Herzberg erarbeiteten Thesen werden nun weiter reflektiert. Sie sollen im März 2011 veröffentlicht werden. IGW-Studienleiter Michael Girgis, der durch die zwei Tage führte, zog eine positive Bilanz: „"20 Leitungspersönlichkeiten miteinander reden, lachen, diskutieren, essen, trinken und feiern zu sehen, und dabei zu erleben, was zustande kommen kann, wenn Menschen kooperieren und gemeinsam an etwas arbeiten: faszinierend und phantastisch".“