Kritischer Blick auf den eigenen Glauben

Was trägt die wissenschaftliche Theologie bei, wenn wieder öffentlich über Gott debattiert wird? Der XIV. Europäische Kongress für Theologie in Zürich zeigte die Zunft in der Spannung zwischen dem biblisch-christlichen Erbe und den Göttern und Götzen der Postmoderne. Der Zürcher Systematiker Ingolf U. Dalferth betonte: „"Wenn man Gott denkt, wird nicht nur Gott, sondern alles in bestimmter Weise gedacht, und zwar anders als zuvor".“

Auf den Tag genau zehn Jahre nach 9/11 begann an der Uni Zürich der XIV. Europäische Kongress für Theologie. Im Eröffnungsvortrag hielt Wolfgang Huber, alt Ratsvorsitzender der EKD, fest, die religiös motivierte Gewalt des 11. September habe Religionskritik in „"neuer Massivität“" ausgelöst. Bei der aktuellen Kritik von aussen bleibe theologische Selbstkritik aufgegeben: Die Theologie habe die eigene christliche Tradition und Glaubenspraxis kritisch unter die Lupe zu nehmen. Die Kritik, die Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer (religionslose Zeit) zu ihrer Zeit an Religion geübt hatten, bewertete Wolfgang Huber kurzerhand als überholt.

Religion ist mehr als Kultur
Doch auch ein Blick auf die gelebte Religiosität, der sie in den kulturellen Gesamtstrom einordne, sei unzureichend, sagte Huber in der Aula der Universität Zürich. „"Wer von Religion in einem spezifischen Sinn reden will, muss Religion und Kultur unterscheiden".“ Religion reagiere auf Sinnprobleme, unerklärliches Leiden und moralisches Versagen. Laut Huber muss eine zeitgemässe Religionskritik die Formen gelebten Glaubens daraufhin befragen, wie sie mit Fremdem umgehen.

Der Berliner Alt-Bischof endete mit einer scharfen Kritik des „"Finanzialismus"“ nach Walter Benjamin. Die Verwirklichung des Reiches Gottes werde mit Mitteln der Finanzmärkte erhofft. Doch "„Geld ist kein Weg zum Heil"“. Der religionskritische Auftrag, nichts Menschliches zu Gott zu machen, habe grösste Aktualität. Mit der Botschaft von der Menschwerdung Gottes sollten Christen vom „"Vergötzungswahn des Menschen"“ befreien.

Fussballgötter?
Der viertägige Kongress der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, die Theologen mit universitärer Lehrberechtigung als Mitglieder einlädt, stand unter dem Gesamtthema "„Gott, Götter, Götzen"“. Die über 200 Teilnehmenden tagten im Hauptgebäude der Uni Zürich zeitweise in fünf Fachgruppen. Da kamen alttestamentliche Gottesbilder, der Umgang mit Götzen in der Urkirche und früher Atheismus nach der Reformation zur Sprache, auch Fragen des Dialogs mit anderen Religionen („"Glauben wir an denselben Gott"?“) und die Anfragen aktueller Kulte, vom westafrikanisch-haitianischen Voodoo bis zu religionsähnlichen Emotionen in Fussballstadien.

Der eine Gott und die Welt
Der Mittwoch Morgen war interreligiösen Fragen gewidmet: Wie denken Juden, Christen und Muslime die Einheit Gottes gegenüber der Welt? Die Islamwissenschaftlerin Mona Siddiqui (Bild oben, mit Walter Homolka und Peter Hünermann) blickte zurück ins erste Jahrtausend, als islamische und christliche Denker aufeinander Bezug genommen hätten. Sie sprach von einem „"muslimisch-christlichen Ringen, Gott zu verstehen“". Der reformjüdische Rabbiner Walter Homolka wies auf die strukturellen Parallelen zwischen Judentum und Islam hin. Jüdisches und islamisches Denken hätten einander über Jahrhunderte befruchtet. In beiden Religionen gehe es darum, den Willen Gottes zu tun. Er zitierte den Gelehrten Leo Baeck: „"Gott rückt in den Hintergrund, wenn wir an einen mythischen Erlöser der Welt glauben".“

Tiefe Unterschiede -– gegenseitige Beeinflussung
Der katholische Theologe Peter Hünermann empfahl, für das Gespräch über Gott den Dreieinen beim mittelalterlichen Spitzendenker Thomas von Aquin anzuknüpfen. Nach Thomas ist Gott höchste Einfachheit und höchste Fülle der Vollkommenheit. Aus ihm geht die Vielheit hervor, die in dieser Fülle beschlossen ist. In der Diskussion bezeichnete Siddiqui das Christentum als Religion des Geistes –- im Unterschied zu den beiden anderen, aufs Tun gerichteten. Nie habe eine Tradition allein gestanden, es habe in der Geschichte immer gegenseitige Beeinflussung und Stimulierung gegeben. Auf eine Frage gab sie zu verstehen, dass Muslime das Leiden nicht in ihr Bild Gottes integrieren können, da sonst Gott von Menschlichem betroffen wäre.

"Nicht die Endlichkeit des Menschen, sondern die Sünde ist das entscheidende Problem des Denkens Gottes": Prof. Ingolf U. Dalferth am Theologiekongress in Zürich.

Götzen-Dämmerung
Den Kongress beschloss der Zürcher Dogmatikprofessor Ingolf U. Dalferth (Bild) mit Gedanken über „"Götzen-Dämmerung"“. Dalferth formulierte die These: „"Wenn man Gott denkt, wird nicht nur Gott, sondern alles in bestimmter Weise gedacht, und zwar anders als zuvor. Und wie man Gott denkt, zeigt, wie man alles neu und anders versteht".“ Der Theologe kritisierte neuere Versuche, den Gottesglauben vor der Wissenschaft in Schutz zu nehmen. Er verwies anderseits auf Nietzsches Versuch eines befreienden Atheismus. Dieser sei "„nicht schon dort realisiert, wo man sich zum Freidenker aufplustert und im Namen der Wissenschaft Religion und Theologie attackiert"“. Auch die wissenschaftliche Erklärungswut sei als Götzendienst zu durchschauen, sagte Dalferth.

Gegen religiöse Gleich-gültigkeit
Aktuell werde „"die Rückkehr der Götter gefeiert, aber es fehlen Kriterien zur Unterscheidung zwischen akzeptablen und inakzeptablen Formen der Götterverehrung: ... Weil keiner seine Götter für besser halten darf als die Götter der anderen, spricht man das Problem der Entscheidung zwischen ihnen nicht mehr an, sondern zieht sich auf politische, soziale und moralische Korrektheiten zurück...… Jeder kann glauben, was er oder sie will, solange es das Zusammenleben mit den anderen nicht stört".“ Religiöse Gleichgültigkeit werde damit normal, kommentierte Dalferth: "„Man meint, alle Religionen gleich-gültig behandeln und als private Skurrilitäten betrachten zu können -– und steht dann fassungslos vor der explosiven Urkraft, mit der religiöse Überzeugungen im Leben aufbrechen und alles durcheinander wirbeln können".“

Gott nicht mit Gedankending verwechseln
Der Zürcher Theologieprofessor wandte sich gegen neuere Begründungen des Gottesglaubens. Dazu komme es etwa, wenn man Gott verstehen wolle "„als die bessere Antwort auf letzte Woher-, Warum- oder Wozu-Fragen als die Wissenschaften sie zu geben vermögen"“. Ein solcher Denkansatz (metaphysischer Theismus) verwechsle unkritisch das „"Gedankending, das er ‚'Gott’' nennt, mit dem Gott, zu dem im Gottesdienst gebetet wird"“.

Dann fragte Ingolf Dalferth nach der konkreten Situation in der Menschen Gott zu denken versuchen: "„Wie würde sich ein Leben ändern, wenn der gesuchte Beweis der Existenz Gottes geführt ist? Was wäre dann anders -– nicht für irgendjemanden, sondern für mich? Kann man mit einem Hauch von Seriosität von Gott reden und sich selbst aus dem Spiel lassen"?“

In theologischer Sicht sei nicht die Endlichkeit des Menschen, sondern die Sünde das entscheidende Problem des Denkens Gottes. "„Endlichkeit ist ein Merkmal der Schöpfung und Geschöpf zu sein trennt uns nicht von Gott, sondern verbindet uns mit ihm. Sünde dagegen trennt von Gott, weil im konkreten Lebensvollzug mit Gottes Gegenwart auch das eigene Geschöpfsein ignoriert wird. Man lebt, aber man versteht nicht, wer man in Wahrheit ist".“

Ein aus dem Glauben geändertes Leben
Von daher fordert Dalferth eine "„Reform des Denkens"“; diese setze ein aus dem Glauben geändertes Leben voraus. „"Wer meint, Gott denken zu können, ohne sein Leben ändern zu müssen, denkt nicht Gott, sondern etwas, was er sich als Gott ausdenkt".“ Positiv formulierte der Gelehrte: „"Um wirklich Gott zu denken, ist daher das Leben und nicht nur das Denken ins Zentrum zu stellen, genauer: Der Wechsel von einem Leben und Denken im Unglauben zu einem Leben und Denken im Glauben, von einem Leben, das Mitmenschen kennt, zu einem Leben, das Nächste kennt -– Menschen, denen Gott eben so nahe kommt wie einem selbst, deren Würde daher nicht in dem besteht, was wir ihnen zusprechen, sondern was Gott in ihnen sieht"