Kirchenentwicklung – nicht ohne Mission
Wenn die Qualität der Krisenbewältigung der Kirchen im deutschen Sprachraum an der Zahl hochkarätiger Veröffentlichungen zum Thema ablesbar wäre, stünde es gut um die Zukunft der Kirchen. Die vier hier besprochenen neuen Bücher nehmen sich des Themas mit grosser Kompetenz, mit Liebe zur Kirche und mit ehrlicher Wahrnehmung der Situation an. – Ein Gastbeitrag von Wilfried Bührer, der die Thurgauer Kirche während 19 Jahren geleitet hat.
Hans-Hermann Pompe
Kirchensprung – Warum Kirchenentwicklung und Mission einander brauchen
Hans-Hermann Pompe schöpft aus dem Vollen: Er war viele Jahre Gemeindepfarrer, hatte sodann die Leitung des Amtes für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste der Evangelischen Kirche im Rheinland inne, bevor er die Leitung des EKD-Zentrums «Mission in der Region» übernahm. Er ist darüber hinaus unglaublich belesen und kann theologische Aussagen genauso gut und locker zitieren wie Autoren der Weltliteratur. Er platziert an passender Stelle Hinweise auf Bibelstellen. Zudem hat er Humor und baut gelegentlich auch einen Witz in seine Darlegungen ein.
Allen hier besprochenen Autoren gemeinsam ist, dass es ihnen leichter fällt, die Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten der derzeitigen kirchlichen Situation aufzuzeigen als die Möglichkeiten und Chancen. Was Pompe für die Situation der Mission sagt, gilt für die ganze Kirche: «Es fällt uns leichter zu sagen, welche Mission wir nicht wollen, als zu sagen, welche Mission wir stattdessen wollen. Die Negation, der Beichtspiegel, ist leichter zu formulieren als die Position, die gelingende Mission».
Es ist verdienstvoll, dass Pompe, wie es schon der Untertitel sagt, Kirchenentwicklung nicht ohne Mission fördern will. Dabei entlarvt er auch verschiedene falsche Alternativen, so z.B. die Forderung nach einer Geh-Struktur anstelle einer Komm-Struktur. Dass sich beides ergänzen muss, illustriert er am englischen «Back to Church Sunday»: Menschen werden persönlich und aktiv zum Gottesdienst eingeladen, die ohne solche Kontakte nicht kommen würden. Gelegentlich Redundanzen im Buch, gerade der Hinweis auf die genannten Bemühungen in England, schmälern insgesamt nicht den Erkenntnisgewinn für den Leser.
Ebenfalls aus England stammt das im Buch enthaltene Zitat von Bischof John Finney: «Ich glaube nicht, dass uns die zurückgehenden Finanzmittel wirklich gefährlich werden: Es kann sogar sein, dass Gott seine Kirche auf Diät setzt, weil sie zu fett und zu unbeweglich geworden ist». – Wie wahr, nicht zuletzt im Blick auf Deutschland und die (Deutsch-)Schweiz!
Die Frage bei allen hier rezensierten Veröffentlichungen ist: Gelten die Beobachtungen und Empfehlungen nur für Deutschland oder unverändert auch für die Schweiz? Nein, so anders sind die Verhältnisse in der Schweiz nicht. Gewiss, in der (Deutsch-)Schweiz gibt es nicht die Situation von grossen nahezu völlig entkirchlichten Landstrichen wie in jenem Teil Deutschlands, in dem Jahrzehntelang antikirchliche Religionspolitik von höchster Stelle betrieben wurde. Dieser Unterschied scheint da und dort durch.
Der Blick auf die kirchlichen Verhältnisse in den neuen Bundesländern kann aber für Leser und Leserinnen in der Schweiz durchaus erhellend sein. Gelegentlich scheint auch durch, dass in Deutschland Kirchenleitung mehr von oben nach unten funktioniert als in der Schweiz, mit allen Vor- und Nachteilen. Die Vorbehalte gegenüber einer Kirche, die missioniert, dürften in der Schweiz eher noch grösser sein als in Deutschland. Umso verdienstvoller und für die hiesige Situation bedenkenswerter ist, dass der Autor es wagt, Kirchenentwicklung und Mission als unverzichtbares Miteinander zu sehen.
Gerhard Wegner
Substanzielles Christentum – Soziotheologische Erkundungen
Die Unterschiede innerhalb des deutschen Sprachraums sind gering im Vergleich zu anderen Ländern. Diese Feststellung macht Gerhard Wegner schon auf den ersten Seiten seines Buches und stellt Vergleiche zur US-amerikanischen Kirchensituation an. Der Schwerpunkt des 376 Seiten starken Buches liegt aber auf dem Verhältnis von Theologie und Soziologie in Vergangenheit und Gegenwart.
Der Autor, bis 2019 Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, definiert das komplexe Verhältnis von Theologie und Soziologie so: «Die Theologie ist die beständige Arbeit im, am und mit dem Mythos – die Soziologie aber sucht ihn zu erklären und so letztlich zu ersetzen. Wenn man es so sehen will, könnte dennoch gelten: Im Grunde genommen bleiben beide Wege aufeinander angewiesen. Genau dies durchzuspielen, ist Soziotheologie.»
Dieses Durchspielen geschieht im Buch auf vielen Seiten auf hohem Niveau. Nicht immer fällt es leicht, den dichten Gedankengängen zu folgen, insbesondere auch, wenn Wegner frühere Veröffentlichungen namhafter Forscher zitiert. Wenn man sich die Mühe nimmt, sich einzulesen und dranzubleiben, kann der Erkenntnisgewinn aber beträchtlich sein. Die gewonnenen Erkenntnisse haben durchaus Sprengkraft. «Rein sozialwissenschaftlich lässt sich deutlich zeigen, dass der Rückgang von Religion und Kirche mit einer Zunahme von Ego-Orientierungen und damit an Solidarität und sozialem Zusammenhalt verbunden sein wird. (…) Damit lässt sich Kirche nicht rechtfertigen. Niemand kommt zum Glauben, weil er sich sozial engagieren will; das geht einfacher. Aber: Engagement ist Teil der Teilhabe an Gottes Wirklichkeit.»– Was bedeutet das für das missionarische und diakonische Handeln der Kirche?
Breiten Raum nimmt im Buch die Übersicht über die Diskussionen an der Schnittstelle von Theologie und Soziologie in den 1960er Jahren ein. Es war die Zeit schon stark spürbarer Tendenzen von Säkularisierung; diese Herausforderung wurde auf verschiedene Weise angenommen. Wegner illustriert dies unter Anderem an den Versuchen des Schweizer Theologen Walter Neidhardt, die Konfirmation neu zu positionieren («Bedeutung der nicht-theologischen Faktoren für die Konfirmation»). Aus heutiger Sicht fällt auf, wie die Theologie damals auf Augenhöhe mit den Wortführern der Zeit, insbesondere der Soziologie, korrespondierte, aber auch wie kühn sie die sich damals schon abzeichnenden letztlich für die Kirche bedrohlichen Entwicklungen ins Positive zu wenden versuchte.
Heute zeigt sich, dass viele der damit verbundenen Erwartungen sich nicht erfüllten. Dass die Kirche in Westdeutschland auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch relativ stabil dastand, schreibt der Autor aber trotzdem genau diesen Bemühungen zu, «denn diese Stabilität beruht bei der Masse der Mitglieder nicht auf ihrer Beteiligung an religiöser Kommunikation, sondern vielmehr auf einer allgemeinen Wertschätzung insbesondere der sozialen und kulturellen Funktionen der Kirche».
Das soziale Engagement bleibt wichtig; Wegner widmet ein grosses Kapitel dem Thema Armut. Er plädiert für eine Vernetzung der kirchlichen Akteure mit andern engagierten Gruppen, wobei «die Risiken darin bestehen, dass sich das religiöse Leben vergleichsweise verdünnt und das vorhandene grosse Interesse an sozialen Aktivitäten auch in den Kirchengemeinden alles überdeckt.»
«Was fehlt, wenn Religion fehlt?» Wegner antwortet: «Es fehlt das Gegenüber zur Gesellschaft, wie sie nun einmal ist, mit all ihren Rollen und Masken, Zwängen, ihren Hierarchien und Machtverhältnissen.»
Gegen den Schluss des Buches entfaltet der Autor in zehn Thesen den «Grundgedanken vom Geist Gottes als das Gesetz der Welt transformierender Kraft». Und ganz zum Schluss stellt er, eher überraschend, die Frage, ob er selbst oder seine Generation nicht etwa doch schuld sei am Bedeutungs- und Mitgliederschwund der Kirche in den vergangenen 50 Jahren. Er will sich nicht leichtfertig damit zufriedengeben, dass gegen den genannten Megatrend nun mal nicht anzukommen sei.
Aber «nüchtern betrachtet wird die Kirche nicht in der Lage sein, gegen sie gerichtete gesellschaftliche Trends wirklich umkehren zu können. Es ist vielmehr notwendig, sich unter diesen Bedingungen mit Energie daran zu machen, Menschen für die Bindung an die Kirche zu gewinnen.(…) Schon vor mehr als 50 Jahren war der Begriff dafür ‹eine missionarische Kirche›»!
Alexander Garth
Untergehen oder umkehren – Warum der christliche Glaube seine beste Zeit noch vor sich hat
Bedeutend einfacher zu lesen und zu verstehen als das Buch von Wegner ist jenes von Garth. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und liefert Erklärungen, warum es um die Landeskirchen in Deutschland (bezogen auf die Schweiz käme er wohl zu ähnlichen Schlüssen) so schlecht steht. Viele Menschen in Deutschland hätten so etwas wie eine Herdenimmunität gegen das Christentum entwickelt. Hauptgrund dafür sieht er in der vorherrschenden liberalen Theologie. Er spricht vor allem von einer «reduktiven Christologie». Besonders desaströs wirke sich das liberale Paradigma auf zwei Gebieten aus: in der Mission und im Dialog mit dem Islam. «Theologen im liberalen Denkraster mit einer beschädigten Christologie sind keine geeigneten Dialogpartner für den Islam. Nur ein Gegenüber, das für den andern berechenbar ist, ist ein guter Dialogpartner.»
Mag sein, dass Garth den einen oder andern Denkern des liberalen Protestantismus, was die Ernsthaftigkeit von deren Denkarbeit betrifft, nicht gerecht wird, aber insgesamt dürfte er mit seiner Analyse Recht haben. Von den Um- und Neudeutungen von Jesu Auferstehung hält er wenig: Die Aussage, Auferstehung heisse «Die Sache Jesu geht weiter» erinnert ihn an Transparente aus der DDR-Zeit mit der Aufschrift «Lenin lebt durch unsere Taten». Aber Lenin sei «mausetot». Zu einer andern berühmten Neudeutung der Auferstehung sagt er: «Theologie befähigt auch, den eigenen Unglauben hinter theologischen Phrasen zu verbergen, von denen eine lautet: Jesus ist in das Kerygma auferstanden.»
Trotz seinen überdeutlich kritischen Worten zu einer Bibelforschung, die nicht mit dem Eingreifen Gottes rechnet, fällt Garth nicht ins andere Extrem und plädiert nicht für einen «Biblizismus und Fundamentalismus, der in der Theorie von der Verbalinspiration ausgeht». Besonders lesenswert sind seine Ausführungen über das Wirken des Heiligen Geistes. Über sich selbst schreibt er: «Ich selbst hatte in meiner Glaubensgeschichte eine liberal-deduktive Phase. Ich bin aber durch mehrere übernatürliche Erlebnisse, die ich als Eingreifen Gottes wahrgenommen habe, in meinem liberal gewordenen Glauben erschüttert worden.»
Den Zusammenhang von liberaler und am gesellschaftlichen Mainstream orientierter Theologie und kirchlichem Niedergang illustriert er an den Verhältnissen in den USA, wo die sog. mainline churches in den vergangenen Jahrzehnten einen beispiellosen Niedergang erlebten, während andere aufblühten. Auch in Deutschland müsse man sich darauf einstellen, in einem freien religiösen Markt zu bestehen.
Man kann sich fragen, ob der Vergleich mit den Verhältnissen in den USA so genau stimmt. In Deutschland (und in der Schweiz) besteht im Unterschied zu den USA ein wesentlicher Teil der Bevölkerung, insbesondere unter den Kirchentreuen, aus «Alt-Eingesessenen». Sie anzusprechen bedarf anderer Mittel, vor allem in ländlichen Gegenden. Die jahrhundertelange Präsenz der Kirchen wirkt, trotz allem Traditionsabbruch, nach. In der Tendenz dürfte der Autor aber Recht haben.
Dass in vielen Teilen der Welt das Christentum boomt und Kirchen wachsen (insbesondere die pentekostalen), erläutert Alexander Garth an Beispielen aus ganz verschiedenen Ländern: USA, Korea, Kenia, Indien und nicht zuletzt Grossbritannien.
Die vielversprechenden Aufbrüche in Grossbritannien trotz starkem Säkularisierungsschub sind ja auch in der Schweiz wahrgenommen worden. Garth schildert sie als Musterbeispiel für das, was auch den Grosskirchen im deutschsprachigen Raum bevorsteht – sofern sie diese Herausforderung annehmen. Darum der Untertitel: «untergehen oder umkehren».
Trotz allem kann Garth auch von gelingenden Beispielen in Deutschland, selbst im urbanen Umfeld, sprechen, so zum Beispiel in Erfurt oder in der Millionenstadt Berlin. Im Osten Berlins hat er 1999 selbst die Junge Kirche Berlin gegründet. Er berichtet von einer weiteren Neugründung im Osten Berlins, die ihrerseits aus der von ihm aufgebauten Arbeit herausgewachsen ist. So endet das Buch, trotz vielen pessimistisch stimmenden Bemerkungen zum Ist-Zustand der deutschen Grosskirchen doch zuversichtlich.
Thomas Schlegel / Julian Kleemann (Hrsg.)
Erprobungsräume – andere Gemeindeformen in der Landeskirche
Die beiden Herausgeber unternehmen den Versuch, nach fünf Jahren «Erprobungsräume in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM)» eine erste Auswertung vorzunehmen. Dass dies (zu?) früh ist, sind sich die Herausgeber selber bewusst. Es scheint auch ein gewisser Druck zu bestehen: «Was habt ihr denn erprobt? Und: Hat es funktioniert? Relativ häufig hören wir diese Fragen; sogar schon nach wenigen Monaten Programmlaufzeit. Der Wunsch, Ergebnisse zu sehen, ist gross. Dahinter steckt wohl die Sehnsucht nach Erkenntnissen, die in der derzeitigen Kirchenkrise helfen könnten.»
Die EKM umfasst ein riesiges Gebiet ausschliesslich auf ehemaligem DDR-Territorium. Dazu gehören rund 3’000 Kirchgemeinden mit etwas mehr als 600'000 Mitgliedern und fast 4000 Kirchen und Kapellen. Die Statistik weist im Buch folgendes aus: «26,5 %, über ein Viertel unserer Kirchgemeinden, sind kleiner als 100 Gemeindeglieder. Die nächste Gruppengrösse ist die grösste Gruppe in unsrer Kirche: 934 Gemeinden haben eine Grösse zwischen 100 und 300 Gemeindegliedern, das sind 40,1 %. Zwischen 300 und 1000 sind es 25, 8%, und nur 162 Gemeinden, die restlichen rund 7 %, haben eine Grösse von über 1000 Mitgliedern.»
Die Situation ist nicht nur bezüglich Gemeindegrösse anders als im Westen oder in der Schweiz, sondern auch, was den Traditionsabbruch betrifft. Dieser liegt teilweise schon 3-4 Generationen zurück. Es gibt Orte, «an denen christliches Leben vielleicht in Spuren, kirchliche Präsenz aber gar nicht erlebbar wird, also zum Beispiel in Plattenbaugebieten (…). Oder man denke an Dörfer, in denen keinerlei gemeindliches Leben mehr anzutreffen ist, obwohl vielleicht ein Kirchengebäude noch davon kündet.»
Die Reflexion folgt weitgehend den sieben definierten Kennzeichen und ist sehr konsequent, nicht selten auch selbstkritisch formuliert. Man kann sich fragen, ob so viel Gedankenarbeit auf der Meta-Ebene für die noch sehr im Angangsstadium befindlichen Projekte tatsächlich hilfreich ist. Für den Aussenstehenden, der sich vielleicht überlegt, ob er sich auf Ähnliches einlassen will, können sie aber durchaus hilfreich sein und dazu beitragen, Anfängerfehler zu vermeiden.
Die Schwierigkeiten, in den neuen Bundesländern kirchliche Pionierarbeit zu leisten, werden nicht verschwiegen, insbesondere auch die Schwierigkeit, die Adressaten eines Erprobungsraumes am Glaubensleben der anfänglichen Akteure teilhaben zu lassen. «Besonders in ruralen Kontexten fällt auf, dass Menschen sich durchaus bereit zeigen, sich für ‹ihre Kirche› zu engagieren. Meistens verstehen sie darunter das Engagement für das Kirchengebäude, seine Erhaltung und Nutzung. Andere widmen sich dem Dorf und entwickeln beachtliche Angebote (…). Glaubensäusserungen wie das Gebet oder der Umgang mit biblischen Texten sind stattdessen nicht eingeübt. (…) Kirchliches Leben erscheint somit oft nur als eine mögliche Form ehrenamtlichen Engagements unter vielen andern.»
Zwischen den Kapiteln mit vielen Grundsatzüberlegungen sind dann aber doch, bewusst nicht an der Nummerierung der Kapitel festgemacht, ermutigende Erfahrungsberichte zu lesen, mit Farbfotos illustriert, so z.B:
- «Juchu, heute ist wieder mobile Kirche»: Mit diesem Projekt in der Umgebung von Eisleben werden Kinder angesprochen, vor allem an Orten, wo kein Religionsunterricht stattfindet. Pfarrer(in), Gemeindepädagog(in) und Kirchenmusiker(in) spannen zusammen. Die Angebote finden in Schulräumlichkeiten statt und werden von den Instanzen der Schule zugelassen oder sogar unterstützt. Dies ist ein «wichtiges Signal für die Eltern und nach aussen. Mit Skepsis, Anfragen und Zurückhaltung gegenüber Kirche von Seiten der Erwachsenen rechnen wir in diesem weitestgehend konfessionslosen Umfeld und bei unsern weltanschaulich neutralen Kooperationspartnern immer wieder. Bei den Kindern müssen wir uns da keine Gedanken machen.»
- «Engel am Zug»: Unter diesem Namen ist eine neuartige Bahnhofmission in Erfurt im Entstehen. Kern des Projekts ist eine ökumenisch zusammengesetzte Gruppe, die sich im Bahnhofscafé zu Gebet und Bibellese getroffen hatte. Sie wollen auch weiterhin nicht eine Bahnhofmission herkömmlicher Art sein, sondern «vor allem offene geistliche Angebote für die Menschen am Bahnhof machen, in der Hoffnung, dass unsere Gemeinschaft weiter wachsen sollte.»
- «Experimente»: Der Kirchenkreis Henneberger Land ist sehr klein. Und die Zahlen gehen zurück. Das könnte zu Untergangsstimmung führen. Dem widersteht aber eine motivierte Gruppe, die das Miteinander pflegt. Es geht nicht nur um Projekte (solche wurden längst schon lanciert, bevor sie als Erprobungsraum anerkannt wurden). «Und weil es eben nicht nur um Projekte geht, sondern um eine aufbrechende, motivierte Atmosphäre, war uns auch die Zeit der Coronaisolation weniger eine Zeit, die uns ausgebremst hätte, als eine Zeit, in der wir unter immer wieder neuen Bedingungen weiter gemacht haben.»
Dieses letztgenannte Beispiel – so unspektakulär es klingt – kann den Weg weisen: Es geht beim Bewältigen oder Leben mit der «Kirchenkrise» nicht einfach um Aktivismus («Projekte»), aber auch nicht einfach um reine Denkarbeit («Kirche neu denken»), sondern um motiviertes Miteinander. Die Kirche ist also wieder dort, wo sie einmal war: Christus ruft Jünger und Jüngerinnen in die Nachfolge. Gemeinsam sind sie unterwegs und leben ihren Glauben. Die hier besprochenen Veröffentlichungen reden nicht von flächendeckenden erfolgreichen Aufbrüchen, aber immerhin vom Dranbleiben engagierter Christinnen und Christen, auch unter schwierigen Bedingungen. Das ist nicht wenig und kann uns in der Deutschschweiz, wo die Rahmenbedingungen (noch?) besser sind, ermutigen.
Hans-Hermann Pompe
Kirchensprung
Warum Kirchenentwicklung und Mission einander brauchen
EVA Leipzig, 2022, 978-3-374-07050-3
Gerhard Wegner
Substanzielles Christentum
Soziotheologische Erkundungen
EVA Leipzig, 2022, 978-3-374-07014-5
Alexander Garth
Untergehen oder umkehren
Warum der christliche Glaube seine beste Zeit noch vor sich hat
EVA Leipzig, 2022, 978-3-374-06915-6
Thomas Schlegel, Juliane Kleemann (Hrsg.)
Erprobungsräume
Andere Gemeindeformen in der Landeskirche
EVA Leipzig, 2022, 978-3-374-06886-9