Ökumene und Politik
Wenn die Eidgenossenschaft eine Botschaft beim Heiligen Stuhl errichtet, ist dort die schweizerische Wirklichkeit, ihre ökumenische Vielfalt und demokratische Kultur zur Geltung zu bringen. Dies forderte die EKS-Präsidentin Rita Famos an der nationalen Synode. Bundesrat Ignazio Cassis wie Kardinal Pietro Parolin verwiesen auf die kraftvolle Spiritualität des Friedensstifters Niklaus von Flüe.
101 Jahre nach der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Eidgenossenschaft und dem Heiligen Stuhl hat der Bundesrat am 1. Oktober beschlossen, eine Botschaft beim Heiligen Stuhl zu errichten (die auch für die dimplomatischen Beziehungen zu Malta und San Marino zuständig sein soll).
Der vatikanische Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der deswegen am Montag Aussenminister Ignazio Cassis in Bern besuchte, wurde von EKS-Präsidentin Rita Famos in die Synode eingeladen. Die EKS gestaltete den kurzen Besuch des Aussenministers, des Kardinals und der Delegation der Schweizer Bischofskonferenz mit Bischof Felix Gmür als ökumenisches Treffen.
Lang vergangener Kulturkampf …
Rita Famos hatte zuvor die Synodalen eingestimmt – nachdem sie in der sonntäglichen Tagesschau den reformierten Vorbehalt gegenüber dem bundesrätlichen Vorhaben bekräftigt hatte. Die EKS-Präsidentin beschrieb den Kulturkampf des 19. Jahrhunderts als Ringen um Gewissens- und Religionsfreiheit im demokratischen Staat, gegen das Nein der Päpste jener Zeit.
Der (freisinnige) Bundesrat habe «konsequent auf den freiheitlich-demokratischen Werten beharrt, ohne konfessionelle Ausnahmen», sagte Famos. Dabei wurde 1873 der Nuntius ausgewiesen (seit 1870 existierte der Kirchenstaat nicht mehr). Die diplomatischen Beziehungen wurden erst 1920 wieder aufgenommen (Nuntiatur statt in Luzern in Bern). 1991 sandte der Bundesrat einen Sonderbotschafter in den Vatikan, damit in der Causa Haas die «schweizerische Wirklichkeit» nicht nur vom Nuntius rapportiert werde.
«Schweizerische Wirklichkeit»
Von einem Schweizer Botschafter beim Heiligen Stuhl forderte Famos daher, er müsse diese «schweizerische Wirklichkeit dort vertreten», wozu das ökumenische Miteinander der beiden grossen Konfessionen und dasjenige «fast aller christlichen Konfessionen» innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen AGCK gehöre.
Kirche und Schweizer Staat hätten sich «in der Entwicklung der parlamentarischen Kultur seit der Reformation gegenseitig inspiriert», äusserte Famos. Die öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften hätten synodale, demokratische Strukturen (in der katholischen Kirche neben der bischöflichen Struktur; Red.). Über die Zukunft der Kirchen werde von Ordinierten und Nichtordinierten, Frauen und Männern, Jüngeren und Älteren demokratisch entschieden. Diesem Modell eigne «mindestens so viel Swissness» wie der päpstlichen Schweizergarde, meinte Famos.
«Helvetische Tradition»
Diese Gedanken legte die EKS-Präsidentin dann auch den hohen Gästen vor, als diese nach halb zwölf Uhr im Ratssaal Platz genommen hatten. Sie sprach von der «helvetischen Tradition» gemeinsamer Entscheide von Ordinierten und Nichtordinierten, von der «Entwicklung der parlamentarischen Kultur seit der Reformation». Die Friedensförderung und die nachhaltige Entwicklung, Hauptziele des EDA, seien auch für die Reformierten prioritär. Die Reformierten begrüssten, dass die Zusammenarbeit mit dem Vatikan diesem Anliegen diene. Zugleich stellten sie ihr Netzwerk zur Verfügung (ÖRK, reformierte Weltgemeinschaft, Werke und Missionen).
Famos äusserte die Erwartung, der Bundesrat werde im Dialog mit dem Vatikan auch «die Schweizerischen Grundwerte» – sie nannte die Gleichstellung der Geschlechter – thematisieren. Den Einbezug der Basis übe die katholische Kirche ja in ihrem aktuellen synodalen Prozess.
Weiter forderte die EKS-Präsidentin, die Politik solle auch auf nationaler Ebene «die Religionsgemeinschaften als gesellschaftliche und religionspolitische Tatsache wahrnehmen». Namens der anwesenden Kirchenvertreter (auch der AGCK-Vorsitzende Milan Kostrešević hielt ein Grusswort) äusserte sie den Wunsch nach kreativer Beziehungspflege zwischen den nationalen Behörden und den Kirchen, etwa in der Gestalt eines formalisierten Austauschs.
Bereitschaft zum Dialog
Bundesrat Ignazio Cassis betonte in seiner Ansprache im Blick auf die 1873-1920 unterbrochenen Beziehungen zum Vatikan die Bedeutung des Dialogs; dieser sei «weder naturgegeben noch in Stein gemeisselt». Die Kultur des Dialogs bestehe darin, auf den andern zuzugehen und den Widerspruch nicht zu scheuen. «Die Bereitschaft zum Dialog ist die Essenz unseres Zusammenlebens.» So würden in der Schweiz politische Entscheide getroffen. Der Bundesrat spiegle die Vielfalt der Schweiz, indem «unsere Pluralität uns dazu zwingt, uns in die Lage des anderen zu versetzen».
Dazu setzte Ignazio Cassis den ökumenischen Dialog in Parallele. Er zitierte aus dem Brief von Bruder Klaus an den Rat von Bern 1482: «Darum sollt ihr schauen, dass ihr einander gehorsam seid.» Der vielfältig interpretierte Satz halte dazu an, aufeinander zu hören, Toleranz zu üben und miteinander gnädig zu sein. Diese Leitlinien seien auch heute für die Politik gültig; Cassis verwies auf seine Reisen in den Nahen Osten.
«Gemeinsames Engagement für geteilte Werte»
Die Schweiz und der Vatikan feierten nicht nur hundertjährige Beziehungen, fuhr Cassis fort, sondern «vor allem das gemeinsame Engagement für geteilte Werte». In diesem Sinne hätten der Bundesrat und die Aussenpolitischen Kommissionen der Eidgenössischen Räte den Beschluss zur Errichtung einer Botschaft gefasst.
Sie schliesse eine enge Zusammenarbeit mit anderen religiös inspirierten Akteuren überhaupt nicht aus. «Im Gegenteil: Konflikte und Krisen fordern dringend eine enge Zusammenarbeit bei der Friedensstiftung in dieser Welt; dazu zählen auch religiöse Einrichtungen in ihrer gesamten Vielfalt.» Das «interreligiöse Treffen» wertete Cassis als starkes Signal fürs gemeinsame Eintreten für «Frieden auf der Grundlage von Dialog und Integration».
«Irreversibles» Ja Roms zur Ökumene
Der Kardinalsstaatssekretär würdigte in seinem Grusswort eingangs die konfessionelle Vielfalt der Schweiz. Er unterstrich den von Johannes Paul II. 1995 als «irreversibel» bezeichneten Entschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils zum ökumenischen Gespräch. Mit den Protestanten Europas habe man einen vertieften Konsens im Verständnis der kirchlichen Gemeinschaft gesucht. Papst Franziskus habe 2018 anlässlich des Besuchs beim ÖRK in Genf den Willen zur Wiederherstellung der Einheit der Christen bekräftigt.
Der Kardinal griff nun die damals vom Papst geäusserte Losung auf: miteinander gehen, beten und arbeiten. Zum synodalen Prozess der katholischen Kirche seien auch andere Konfessionen eingeladen, sagte er und dankte Rita Famos für ihr Angebot. Parolin verwies auf den gesellschaftlichen Auftrag, den die EKS laut ihrer Verfassung (Artikel 2) wahrzunehmen sucht, den Einsatz «für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung».
Bruder Klaus als Inspiration
Nach Cassis verwies auch Parolin – er hatte am Vortag Einsiedeln, Flüeli und Sachseln besucht – auf Bruder Klaus. Der «patron de la Suisse» habe politische Verantwortung aus tiefem Glauben wahrgenommen und so 1481 Frieden gestiftet. Der Kirchenfürst zitierte aus seinem Brief an den Rat von Bern: «Fried ist allweg in Gott, denn Gott ist der Fried, und Fried mag nicht zerstört werden, Unfried aber würde zerstört. Darum sollt ihr schauen, dass ihr auf Fried abstellt.»
Den Reformator Zwingli erwähnte der Kardinal in seiner freundlichen Ansprache ebenfalls positiv, um mit der Bemerkung zu schliessen, Diplomatie und ökumenische Arbeit hätten dasselbe Ziel: das Zusammenleben der Menschen in Gerechtigkeit und Frieden «in der Macht des dreieinen Gottes, dessen Verehrung alle Christen eint.»
Wie geschieht Mission in der Schweiz?
Die ordentliche Herbstsynode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz stand sonst im Zeichen der Finanzen – und eines Vorstosses, Fragen der Mission «von der Schweiz aus» und «in der Schweiz» vertieft zu erörtern, dabei auch die Rolle der Missionsorganisationen (mission 21 und DM) und die Verantwortung der Kirchen in den Blick zu nehmen. Jean-Luc Blondel zog den Vorstoss, den er mit Gerhard Bütschi und Mitunterzeichnenden als Postulat eingereicht hatte, zurück, um ihn in anderer Form traktandieren zu lassen. Er wurde dann mit grossem Mehr angenommen.
Voraussichtlich im Sommer 2023 soll sich eine Synode des Themas annehmen. Die beiden Missionswerke gestalteten ihren Auftritt (anlässlich der Abnahme ihrer Jahresberichte) kreativ und griffen dabei auch Grundfragen der Mission auf.
Seit 75 Jahren am Werk
Daniel Reuter, Vizepräsident des Rats, gratulierte den Hilfswerken HEKS und «Brot für alle» zu ihren Jubiläen von 75 bzw. 60 Jahren. Aus der kirchlichen Hilfs- und Wiederaufbauarbeit in Europa nach 1945 sei heute ein weltweites Engagement für eine menschlichere und gerechtere Welt geworden. Reuter dankte den Mitarbeitenden für ihren Einsatz: «Ihre Überzeugungen und ihr Einsatz hatten einen positiven Einfluss auf das Leben unzähliger Menschen.» Im Foyer des Rathauses war die Wanderausstellung «75 Jahre HEKS» zu besichtigen.
Personelles
Dass nach dem Abgang des GPK-Präsidenten Johannes Roth – als sein Nachfolger wurde der Vaudois Guy Liagre gewählt – für den fünften Sitz keine Kandidatur vorlag, erregte in der Synode einigen Unmut. In die Nominationskommission wählte sie die Berner Synodalratspräsidentin Judith Pörksen Roder. In einem Jahr ist der Rat der EKS neu zu wählen. Ausser dem Glarner Ulrich Knoepfel stellen sich alle bisherigen Mitglieder zur Wiederwahl.
Finanzen
Die Synode diskutierte den Umgang mit dem Beitragsschlüssel der Mitgliedkirchen – dies nachdem man den Baslern Ende 2019 zugestanden hatte, einen tieferen, fixen Betrag zu entrichten. Den Bedenken, die Esther Gaillard namens des Rats äusserte, schloss sich der GPK-Sprecher Peter Andreas Schneider an. «Was vermeidlich solidarisch daherkommt, kann sich in späteren Jahren als Bewährungsprobe herausstellen.» Der Schlüssel bestimme nicht nur die Beiträge der Kantonalkirchen für die Tätigkeit der EKS (knapp 6 Mio. Franken), sondern auch die Finanzierung weiterer Aktivitäten im Raum des Protestantismus (10 Mio. Franken).
Die Synode beschloss laut Medienmitteilung, das neue Finanzreglement auf Neujahr mit dem bisherigen Beitragsschlüssel in Kraft zu setzen.
Im Budget 2022 ist über eine Drittelmillion Franken für die Vollversammlung des ÖRK, die im kommenden Sommer in Karlsruhe stattfinden soll, vorgesehen. Der GPK-Sprecher Philippe Kneubühler registrierte, dass der Rat das Engagement bei den Bundesbehörden verstärken will; zudem soll die Präsidentin eine persönliche Mitarbeiterin erhalten. Rolf Berweger bedauerte namens der Innerschweizer Kirchen, dass er Rat nach (teils pandemiebedingten) Ertragsüberschüssen 2019 und 2020 die Beiträge nicht kürzen wolle. Ihrem Wunsch, künftig im Herbst übers laufende Jahr informiert zu werden, gab Esther Gaillard gleich statt. Das Budget passierte mit einer Gegenstimme.
Der Finanzplan 2023-2026, der von gleichbleibenden Beiträgen der Kantonalkirchen an die EKS ausgeht, wurde kurz besprochen. Der Rat wünsche eine Diskussion über inhaltliche Prioritäten, sagte Daniel Reuter und verwies auf das grosse Gefälle zwischen jenen Kirchen mit und jenen ohne Kirchensteuern. «Wir hören auch Appelle, noch intensiver Synergien zu suchen und Arbeiten zu bündeln.» Guy Liagre (GPK) vermutete, dass die Kirchenbudgets schrumpfen werden. Namens der Nordwestschweizer Kirchen forderte Laurent Perrin eine Überarbeitung des Finanzplans, um die Ausgaben pro Jahr um 1-2 Prozent zu senken.
Freikirchen im Rat der Religionen
Michel Müller hatte Auskunft verlangt über die Meinung des Rats zur Vertretung der Reformierten im Rat der Religionen, nach der im September erfolgten Aufnahme von Jean-Luc Ziehli als Vertreter des Deutschschweizer Freikirchenverbands, des Réseau évangelique suisse und der Schweizerischen Evangelischen Allianz (welche auch Reformierte und Kirchgemeinden unter ihren Mitgliedern hat).
Rita Famos sagte, gerade die Juden und (doppelt vertretenen) Muslime hätten im Rat die Mitgliedschaft der Freikirchen nach zweijährigem Gaststatus befürwortet. Eine Doppelvertretung der Reformierten sei nicht gegeben; Ziehli vertrete die Freikirchen. «Die Vertretung der Reformierten ist ganz klar durch mich gewährleistet.» Überdies fälle der Rat der Religionen nur einstimmige Entscheide. Der Zürcher Kirchenratspräsident zeigte sich nicht zufrieden mit der Antwort.
Website der nationalen Synode mit den Traktanden
Bilder: EKS/Stefan Wermuth, Nadja Rauscher; LKF