Berner Gesprächssynode zur «Trauung für alle»

Der Berner Synodalrat will die Synode 2022 über die Fragen zur «Trauung für alle» entscheiden lassen. Vorab sollten die Kirchenparlamentarier am 16. Oktober an einer Gesprächssynode debattieren. An ihr wurde deutlich: Die Empfehlung der nationalen Versammlung der Reformierten und das Volks-Ja vom 26. September werden als wegweisend hingenommen. Das Papier der Kirchen-
leitung brachte im Mittelteil nur noch die Pro-Argumentation.

Die Berner Synodalratspräsidentin Judith Pörksen Roder erwähnte vor den Medien die Nein-Mehrheiten am 26. September in Berner Oberländer Regionen. Sie verdeutlichte damit, dass unter Wertkonservativen und Pietisten namentlich in Landgebieten die Abneigung gegen die «Ehe für alle» gross ist. Pörksen betonte, die Regelung der «Trauung für alle» liege allein in der Kompetenz der kantonalen Kirchen. Karin Spiess, die mit einer synodalen Kommission die Gesprächssynode vorbereitet hatte, bezeichnete es als deren Hauptziel, einen «gemeinsamen Weg» in der Frage zu finden. Ob dies gelingt, wird die Synodedebatte im nächsten Jahr zeigen.

Diskussionspapier …
Das 24-seitige Diskussionspapier «Kirchliche Trauung für alle», das Theologen der Kirche für die Synodalen erstellten, leitet aus der Polarität der Meinungen eingangs die Notwendigkeit respektvollen Gesprächs ab. «Jede Kirche steht vor der Frage, wie sie angesichts von Spannungen, die im Zusammenhang mit dieser Thematik entstehen, ihre Einheit erhalten kann. (…) Wie sorgen wir dafür, dass wir einander auch mit diesen Differenzen ernsthaft als Christenmenschen respektieren?»

Bei Fragen um Liebe, Ehe und Sexualität spiele das Bibelverständnis eine wesentliche Rolle. Die Einstellungen zu Lebensformen seien in den Kirchen «stark von der jeweiligen Auslegung der biblischen Schriften abhängig». Die Bibel sei auch für die Reformierten «die Grundlage für Glauben und Leben». Als die wissenschaftliche Bibelauslegung, auf welche die Theologen der bernischen Landeskirche verpflichtet seien, bezeichnet das Papier dann aber nur die in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts entstandene bibelkritische Auslegung.

… mit einseitigem Hauptteil
Im Hauptteil des Papiers, der sich mit der Bibel befasst, werden deren Aussagen zu (Homo-)Sexualität und Ehe und ihre Relevanz für heute bloss nach dem «historischen Zugang» erhoben. So liest man zu 1. Mose 2,18-24: «Dass diese enge Gemeinschaft normativ auf Mann und Frau begrenzt wäre, liegst ausserhalb der Aussageabsicht des Textes; er gibt jene Sozialform wieder, die er in seinem antiken Umfeld vorfindet.» Insgesamt werde man den alttestamentlichen Texten nicht gerecht, wenn man «aus ihnen ein ‹biblisches›, gar ein ‹gottgewolltes› Eheverständnis ableiten» wolle.

Epheser 5,21-33 spreche – mit Verweis auf die Liebe Christi – in erster Linie von einer Beziehungsqualität und lasse sich nicht «als normativ im Blick auf die Ausschliesslichkeit der Ehe für Mann und Frau lesen». Zu praktizierter Homosexualität findet sich in der Bibel keine positive Wertung – die Berner Theologen räumen dies ein. Zugleich wird behauptet: «Auf Dauer angelegte verbindliche Liebesbeziehungen zwischen Menschen gleichen Geschlechts sind in keinem der Fälle im Blick.» In Römer 1,26f gehe es um eine «falsche Ausrichtung des sexuellen Begehrens». Aus dem Kapitel sei zu lernen, dass sich auch in der menschlichen Sexualität «gemeinschaftszerstörende, egozentrische Tendenzen ausleben» könnten.

Rückblick
In die Gesprächssynode führte der für Theologie zuständige Synodalrat Iwan Schulthess mit einem Rückblick ein. Er bemerkte, nach der Änderung des Zivilrechts werde von den Reformierten die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare erwartet. Die reformierte Landeskirche sei bisher staatlichen Neuerungen und Veränderungen stets gefolgt, konstatierte Schulthess. «Nicht die Kirche hat formende Wirkung auf den Staat, der Staat formt
die Kirche.»

Die Ehe als verbindliche Lebensgemeinschaft zweier Menschen, der Ehebund, sei nach gesellschaftlichen Debatten «wieder zurück im Spiel», äusserte Schulthess. Er zitierte in seinem Rückblick die Empfehlung der nationalen reformierten Abgeordnetenversammlung vom Herbst 2019 und folgerte, gemäss reformiertem Selbstverständnis sollten «verschiedene Eheverständnisse in der Kirche Platz haben». Schon 1995 sei in Bern ein erstes Homo-Paar gesegnet worden. «In vielen Pfarrhäusern leben gleichgeschlechtliche Paare, ohne dass die Kirchgemeinde Anstoss nimmt.»

Iwan Schulthess in der SEK-Abgeordnetenversammlung, 2017.

Respekt bei bleibenden Differenzen
Weiter verwies Schulthess auf das Positionspapier, das Theologen der Berner Kirche mit Vertretern ihrer evangelischen Gemeinschaften (Evangelisches Gemeinschaftswerk EGW, Jahu, Vineyard) Anfang Jahr erstellten. Die beiden Seiten halten gründlich unterschiedliche Bibelverständnisse fest, bekräftigen aber den Willen, auch bei bleibenden Differenzen respektvoll und ohne Verurteilungen miteinander weitergehen zu wollen.

Danach referierten vor den etwa 100 teilnehmenden Synodalen der Neutestamentler Prof. Jörg Frey und die Systematikerin Prof. Christiane Tietz von der Uni Zürich. Frey suchte nach einem Überblick über biblische Aussagen zu Sexualität, Ehe und Homosexualität herauszuschälen, was «in der Linie der biblischen Gottes- und Christusoffenbarung» liegt und evangeliumsgemäss ist, was grundlegend und was zeitbedingt ist.

Geschlechter auf Augenhöhe
Jörg Frey verwies darauf, dass im Alten Testament Sexualität und Eheleben vornehmlich aus männlicher Sicht geschildert werden. Viele Aussagen spiegelten die damalige Kultur. Im Schöpfungsbericht (Gen 1) seien Mann und Frau in auffallender Weise gegenseitig aufeinander bezogen, im Sinn einer Bipolarität. «Gottebenbildlichkeit wird dem Menschen in Zweigeschlechtlichkeit, Mann und Frau gleich, zugesprochen.»

Jörg Frey, Uni Zürich, 2017.

Bei Jesus, der Frauen unkonventionell an sich heranliess, sieht Frey eine ungewöhnliche «Tendenz zur Gleichberechtigung oder Gleichverpflichtung» in der Ehe. Der Rabbi aus Nazareth wandte sich scharf gegen Ehebruch (auch durch die Frau, Mk 10,12). Insgesamt seien sexuelle Lebensformen «eschatologisch relativiert», die Ehe als «etwas Vorletztes und Irdisches» gesehen. Beide Charakteristika seien auch bei Paulus zu finden, das zweite noch verstärkt, so dass in den Briefen des Apostels kein wirklich positives Verständnis der Sexualität zu erkennen sei. Gleichgeschlechtliche Beziehungen, wie sie heute gelebt würden, habe Paulus nicht im Blick.

Jörg Frey fand, ein kirchliches Trauritual für gleichgeschlechtliche Paare sei aus seelsorglichen Gründen heute theologisch begründbar. Angesichts der «klar entgegenlautenden biblischen Aussagen» könnten ihm manche Christen hier nicht folgen; dies sei zu respektieren. Zögernde zu bedrängen, sei ebenso fehl am Platz, wie Aufgeschlossenen vorzuwerfen, sie gäben damit die biblische Wahrheit preis. Wie bei allen Kasualien dürfe niemand gegen sein oder ihr Gewissen gezwungen werden, schloss Frey.

«Der Andere ist auch von Christus angenommen»
Christiane Tietz begann mit Bemerkungen zur Bibel als Gottes Wort, mit Bezug auf Karl Barth. In der Kirche sei Platz für unterschiedliche Sichtweisen. Ihre Einheit werde dadurch gefährdet, dass man andere Zugänge zur Bibel und Auslegungen abwerte. Die historisch-kritische Interpretation sei so wenig neutral wie die Verbalinspiration. Christen sollten nicht bloss Toleranz üben, sagte Tietz, sondern jene annehmen, die die Texte anders auslegen. «Der Andere ist mir gleich in dem, dass er auch von Christus bedingungslos angenommen ist.» Die Professorin mahnte, nicht zu richten. «Während Gott mit seinem Urteil immer im Recht ist, trifft das für unser Urteil nicht zu. Das Gericht steht Gott zu.»

Christiane Tietz bei einem Vortrag in Zürich.

Pro und Contra
Auf einem Podium kamen die Meinungsunterschiede zur «Trauung für alle» zum Ausdruck. Roland Weber vom Verein Zwischenraum Schweiz hob das Bedürfnis von gleichgeschlechtlichen Paaren hervor, gesegnet zu werden. Pfrn. Claudia Haslebacher, Methodistenpfarrerin und EKS-Ratsmitglied, wartet darauf, dass sie solche Paare trauen kann. Die Delsberger Pfarrerin Sarah Nicolet bestritt Unterschiede zwischen Trauung und Segnung.

Marc Jost von der Schweizerischen Evangelischen Allianz sah dies anders. Zu Gen 1,27 las er Vers 28: Mann und Frau ist Gottes Verheissung gegeben. Das Diskussionspapier der Kirche bewertete er als einseitig. Mit der Trauung gleichgeschlechtlicher Paare werde der Weg zur Auflösung der Ehe beschritten. Jost kritisierte zudem, dass die Reformierten auf nationaler Ebene 2019 der «Ehe für alle» zustimmten – bevor die Vorlage in den Eidgenössischen Räten behandelt und mit der Samenspende befrachtet wurde.

Was fürs Miteinander wichtiger ist
Die Zürcher Pfarrerin Viviane Baud äusserte zum Miteinander in der Kirche, viele Fragen seien für dieses wichtiger – etwa wer Jesus Christus sei. Sie lehne die «Trauung für alle» ab in der Hoffnung, dass man in der Kirche im Dialog bleibe. Claudia Haslebacher vermutete, man werde auch in zehn Jahren Einigkeit nicht gefunden haben, doch käme es zu einer Trennung, würde viel Segen verloren gehen. Roland Weber sagte, er wünsche sich mit seinen Gaben in die Gemeinde einzubringen.

Roland Weber (links) und Marc Jost vor den Medien.

Nach engagierten Gruppengesprächen, in denen auch die Gewissensfreiheit der Pfarrerinnen und Pfarrer und die Gemeindeautonomie Thema waren, trafen sich die 100 Synodalen zu einem Plenum. Die Medienvertreter wurden nach dem Ende der Gesprächssynode informiert. Neben Judith Pörksen Roder und Regina Spiess nahmen Roland Weber, Marc Jost und der leitende Theologe der Kirche Prof. Matthias Zeindler teil.

Test für die Gewissensfreiheit
Als Vertreter von LGBTQI-Christinnen und Christen äusserte Roland Weber, für sie sei es wichtig, im kirchlichen Kontext sichtbarer zu werden. Marc Jost hatte auf dem Podium dafür plädiert, dass für gleichgeschlechtliche Paare nicht dieselbe Liturgie verwendet wird. Zur Gewissensfreiheit hielt er vor den Medien fest, sie bedeute, dass man nicht nur andere ethische Ansichten haben, sondern auch von Handlungen zurücktreten könne.

Laut Matthias Zeindler ist die reformierte Kirche gut gerüstet für den Umgang mit Vielfalt. Die Wahrheit der Bibel gebe es nur in der Vielfalt der einzelnen Auslegungen. Gemeinsam als Kirche weiterzugehen, sei möglich im Vertrauen auf den Heiligen Geist. Dieses Verständnis von Einheit verpflichte zum Gespräch und zum Dialog. Zeindler bestätigte Josts Statement: Wenn die Synode die Trauung für gleichgeschlechtliche Paare einführe, müsse die Gewissensfreiheit der Pfarrpersonen gewährleistet sein. Die Liturgie werde sich aber nicht unterscheiden.

EMK vor der Spaltung: Claudia Haslebacher.

Auf eine Frage zur erweiterten Antirassismus-Strafnorm meinte Matthias Zeindler, die Gerichte würden die Rechtsgüter (Nichtdiskriminierung vs. Gewissensfreiheit) abzuwägen haben.

Methodisten vor der Spaltung
In der weltweiten Methodistenkirche ist wegen der Uneinigkeit in diesen Fragen eine Spaltung absehbar. Claudia Haslebacher machte kein Hehl daraus. In der Schweiz solle es den einzelnen Gemeinden und Pfarrpersonen überlassen bleiben, wie sie handeln, sagte die ehemalige EMK-Distriktsvorsteherin. In der Kirchenordnung werde es keine ausschliessenden Formulierungen mehr geben.

Website der Berner Kirche zum Thema

Bilder Medienorientierung: refbejuso/Adrian Hauser