Schätze im Alten Testament

Die Bedeutung des Alten Testaments ist umstritten. Gelingt der Wissenschaft der Paradigmenwechsel? Neuere Forschungen legen eine bewusste kanonische Zusammenstellung der Bücher nahe. Hebräische Grundwörter erschliessen das Denken der Israeliten. Der Realismus des Alten Testaments bewahrt vor gnostischer Verwüstung und hilft im Niedergang hoffen. Werke, von hiesigen Autoren verfasst, zeigen den Reichtum des ersten Testaments.

M. Armgardt u.a. (Hg.): Paradigm Change in Pentateuchal Research
B. Kilchör: Jahwetora und Mosetora
H.J. Koorevaar u.a. (Hg.): Theologie des Alten Testaments
H. Egelkraut: Das Alte Testament
P. Veraguth: Nach links geschrieben – Nach rechts gelesen
J. Thiessen, H. Seubert (Hg.): Die Königsherrschaft Jahwes
B. Weber: Werkbuch Psalmen I-III
X. Bischof, N. Seeger: Psalmen destillieren – Alte Gebete neu lesen
A. Schellenberg: Kohelet
B. Kilchör: Wiederhergestellter Gottesdienst
T. Bänziger: Wiederherstellung
T. Bänziger: «Jauchzen und Weinen»: Ambivalente Restauration in Jehud
 

Die Mosebücher als Ganzes neu sehen: Paradigmenwechsel gefordert
Die alttestamentliche Wissenschaft ist durch Julius Wellhausen nach 1878 in eine Sackgasse geraten Dies verdeutlichte eine interdisziplinäre Fachtagung an der STH Basel im März 2017. Die Papers sind im Sammelband «Paradigm Change in Pentateuchal Research» publiziert worden. Jahrzehnte nachdem Wellhausens Quellenscheidungshypothese als nicht zielführend erkannt wurde, halten Fachleute immer noch daran fest, dass die hypothetische Priesterschrift erst zur Zeit des Babylonischen Exils oder danach verfasst wurde, das heisst mindestens 750 Jahre nach dem Exodus.

Der Band mit 17 Beiträgen von Autoren aus neun Ländern weist Wege aus der Sackgasse; dabei spielen empirische Ansätze eine wichtige Rolle. Einige Hauptpunkte: Rechtshistorisch gehören die Fluchandrohungen am Ende von 5. Mose nicht ins 1. vorchristliche Jahrtausend; sie könnten 1000 Jahre älter sein. In der Sintfluterzählung und in der Abrahamgeschichte kreiert die Quellenscheidung viel mehr Probleme, als sie erklärt. Sie hat den Blick auf die Originalität der Texte insgesamt vernebelt.

Jerusalem kommt in den fünf Mosebüchern gar nicht vor! Die Stiftshütte hätte im 6. oder 5. Jahrhundert nicht imaginiert werden können. Das fünfte Buch Mose ist aus seiner «babylonischen Gefangenschaft» herauszuholen und dem (zuvor amputierten) Pentateuch zurückzugeben.  
Beiträge des Sammelbands

5. Mose als Auslegung und vorausblickende Anwendung der Tora
Benjamin Kilchör, Professor für Altes Testament an der STH Basel, lud zur Tagung von 2017 ein. Mit seiner Dissertation hat er dem Paradigmenwechsel vorgearbeitet: «Jahwetora und Mosetora» beleuchtet das Gefüge des Pentateuchs neu.

Kilchör untersucht die Beziehungen zwischen den Gesetzestexten in Ex 25-Nu 36 und jenen in Dtn 12-26 und zeigt, dass letztere von den ersten literarisch abhängig sind – entgegen der verbreiteten Annahme. Das deuteronomische Gesetz «will diese älteren Texte freilich nicht ersetzen, sondern setzt sie als bekannt und gültig voraus, wendet sie aber teils auf neue Situationen hin neu an, oder ergänzt sie und schliesst Gesetzeslücken.» Zudem sind die Kapitel Dtn 12-26 nach den Zehn Geboten von Ex 20 strukturiert.  
Mehr zur Mosetora

Das Alte Testament als gestaltete Ganzheit
Das Alte Testament kann als Ganzes besser verstanden werden, wenn das Zueinander der Bücher im ursprünglichen hebräischen Kanon ernstgenommen wird. Aufgrund dieser These haben Forscher einen «kanonischen» Ansatz entwickelt. Sie legen ihn in einer neuen «Theologie des Alten Testaments» dar.Nach einleitenden Kapiteln und grundlegenden Erwägungen werden die Nahtstellen zwischen den drei Teilen Priesterkanon, Prophetenkanon und Weisheitskanon untersucht. Aussagen zu Exil und Rückkehr stehen prominent an diesen Stellen. Im Durchgang durch die drei Teile zeigt sich die Kontinuität und Entwicklung grosser Themen. – Das Gemeinschaftswerk mit 350 Seiten Text lohnt die Lektüre in vielerlei Hinsicht.  
Mehr zu kanonischen Schlüsseln
 

Lehrbuch zum Alten Testament
Ein grundlegendes Werk zum Studium des AT ist das Lehrbuch «Das Alte Testament». Es stellt die Entstehung, die Geschichte und die Botschaft jedes Buchs mit einer Fülle von Informationen dar. Das Werk, ursprünglich von den US-Gelehrten William S. LaSor und David A. Hubbard verfasst, wurde von Helmuth Egelkraut für die fünfte deutsche Auflage 2010 grundlegend überarbeitet; es liegt mittlerweile in sechster Auflage vor.

Das Werk informiert über die Geschichte Israels, Bibelkunde, Einleitungs- und theologische Fragen. Nach einleitenden Kapiteln zur Bedeutung des AT, zu Offenbarung und Inspiration, zum Werden und zum Kanon des AT und zur biblischen Geografie werden alle Bücher eingehend beschrieben; Erkenntnisse zahlreicher Theologen sind aufgenommen, wissenschaftliche Debatten erwähnt.

Egelkraut stellt auch Wesentliches zur Dichtkunst und Weisheitsliteratur, zur Prophetie und den messianischen Weissagungen zusammen. – Ein grosses Studienbuch in 55 Kapiteln, mit Fragen zum Weiterstudium und Literaturhinweisen.

Das zerrissene Band wieder knüpfen
«Nach links geschrieben, nach rechts gelesen»: So hat der Berner Pfarrer Paul Veraguth sein Buch über «biblisch-hebräisches Denken und griechisch-humanistische Bildung» überschrieben. Süffig, in scharfen Antithesen und mit kühnen Bögen skizziert er das gebrochene Verhältnis der abendländischen Kirche zum jüdischen Welt-, Menschen- und Geschichtsbild und zu seiner alttestamentlichen Bezeugung.

Die Philosophen der Neuzeit und die dem Zeitgeist verbundenen Bibelkritiker bekommen ihr Fett ab. Mit Ausführungen zur hebräischen Wortfamilie dwr/dbr (Wort/sprechen/Tat/Sache) tritt der Autor gegen den Dualismus, die Abwertung der irdischen, materiellen Welt in der westlichen Denktradition an. Das eigentliche Anliegen Veraguths scheint überall durch: die grandiose Geschlossenheit von Gottes Willen und Tun zum Heil der Menschen im Alten Testament neu offenzulegen.

Fast zwei Drittel des originellen Buchs sind der Erläuterung von zwölf hebräischen Grundworten gewidmet, von «atmen» und «erkennen» bis zu «umkehren» und «sich erbarmen». Auch wer Veraguth in seinen überraschenden, teils salopp skizzierten Assoziationen nicht immer folgen mag – Denkanstösse wird er aus der Lektüre ziehen.  
Mehr zum hebräischen Denken

Gott, Israel und gute Herrschaft
Im unerschöpflich reichen Alten Testament können sich Leserinnen und Forscher verlieren. Sammelbände geben davon eine Ahnung; die Festschrift «Die Königsherrschaft Jahwes» zur Emeritierung von Herbert H. Klement an der STH Basel gehört zu ihnen. Zwar ist kein einziger alttestamentlicher Aufsatz diesem Kernthema des Forschers Klement gewidmet. Doch erhellen die Beiträge aus den Bibelwissenschaften, der systematischen und der praktischen Theologie wichtige Aspekte des Alten Testaments und zeigen seine unersetzliche Bedeutung für Theologie und Kirche.

Hier einige Hinweise: Stefan Fischer erörtert den alttestamentlichen Begriff der Gerechtigkeit als Handlungsorientierung. Gordon McConville fragt, wie der Schöpfungsbericht der Bibel, der den Menschen in Gottes Bild zeigt, heute zur Geltung gebracht werden kann. Stefan Felber thematisiert Frauen in der Bibel als direkt und indirekt Angesprochene und kritisiert neue Übertragungen.

Hendrik Koorevaar setzt die Namen in den Psalmen-Überschriften in Bezug zum fünfteiligen Psalter als Gesamtentwurf und erhellt diesen mit ihnen. Der Neutestamentler Jacob Thiessen beleuchtet die Bitte im Vater-Unser: «Deine Herrschaft komme!»

Rolf Hilles Aufsatz über die Bedeutung des AT für die Kirche eröffnet den Reigen der systematisch-theologischen Beiträge. Armin Siersyzn zeichnet die Botschaft des Alten Testaments als «Befreiung aus gnostischer Verwüstung».Harald Seubert seziert Jan Assmanns These von den intoleranten Folgewirkungen des Monotheismus und weist die gängigen Theokratie-Vorstellungen ab. Dem Naturrecht ist ein Gottesbezug eingeschrieben: «Ohne das Fundament des Naturrechts wäre alles Willkür.»  
Mehr zum Sammelband
 

Fülle und Vielschichtigkeit der Psalmen
Aus dem Alten Testament ragen die Psalmen heraus. Theologische Arbeit an ihnen hat besonders viele Facetten und Dimensionen. Nach langer Beschäftigung mit den Psalmen hat Beat Weber den beiden Bänden seines «Werkbuchs Psalmen» 2010 einen dritten Band folgen lassen: «Theologie und Spiritualität des Psalters und seiner Psalmen».

In den beiden ersten Bänden gibt Weber für jeden der 150 Psalmen eine Übersetzung, die sich am hebräischen Urtext orientiert. Der Übersetzung folgen Bemerkungen zum Vokabular und vier Rubriken: Form und Inhalt, Struktur und Poesie, Kontexte, Anregungen für die Praxis.

Im dritten Band verarbeitet Beat Weber seine Einsichten in sieben thematischen Querschnitten. Ohne den Reichtum der vorgetragenen Gedanken – etwa die drei Dimensionen Liturgie, Prophetie und Weisheit – hier zu resümieren, sei auf den Ertrag eingegangen.

Der 74-seitige Schlussteil des dritten Bandes bringt die komplexen Bezüge zwischen dem Ganzen und den 150 Teilen und ihre Aktualität zur Sprache. Weber fragt nach der literarischen Gestalt des Psalters, seiner Entstehung, seinem Platz im AT und in der ganzen Bibel.

Eigentümlich für die Psalmen ist ein Doppeltes: «dass ihre Worte erlebenskonkret und situationsoffen zugleich sind». Ein Flug durch die Zeiten zeigt die Wirkung des Psalters im Judentum und in der Kirche. Weber schliesst mit Anregungen, wie der Reichtum der Psalmen im Gemeindeleben zum Tragen kommen kann. 
Mehr zum Werkbuch Psalmen

Psalmen destillieren
Einen besonderen Weg beschreitet das Buch des Pflegeforschers Xandi Bischoff und der Künstlerin Nadine Seeger: «Psalmen destillieren – Alte Gebete neu lesen». Die 150 Psalmen wurden so destilliert, bis sie in der Form von Haikus (alte japanische Gedichtform) und gemalten Miniaturen vorlagen. Laut dem Verlag haben Psalmen «Schichten wie Textcollagen, so wie auch viele der Miniaturen aus mehreren Schichten bestehen, und ergeben bei jedem Lesen, Anschauen und Meditieren einen neuen Text, eine neue Form und einen neuen Sinn. Psalmen sind polyvalent, vieldeutig, multifunktional und mehrfarbig. Sie lassen sich nicht festlegen, und wenn man sie fangen will, rennen sie davon. Das macht sie lebendigen Wesen ähnlich.»

Die Fragen des Predigers
Wie die Psalmen gehört das Predigerbuch im hebräischen Kanon zu den elf ketuvim, als eine von fünf Rollen (neben Ruth und Esther, dem Hohelied und den Klageliedern Jeremias). Im Gegensatz zum Buch der Sprüche stellt der Kohelet alles in Frage. Denn «Weisheit führt nicht zwingend zum Erfolg, Gerechtigkeit setzt sich nicht immer durch». Nachdenken angesichts der Endlichkeit des Lebens beschwert.

Annette Schellenberg liebt das Buch, «weil Kohelet so ‹unfromm› ist, dabei bei allem Realismus aber nicht dem Pessimismus verfällt, sondern im Gegenteil zu Gelassenheit und Lebensfreude aufruft». Ihrer Dissertation zur Erkenntniskritik Kohelets hat sie einen Kommentar folgen lassen. In der Einleitung legt sie die spannungsvolle Gedankenwelt des Buchs und die Debatten zu seiner Entstehung dar.Schellenberg unterscheidet zwischen Kohelet, dem König, und Kohelet, dem Weisen – und dem Verfasser. Sie führt die Hauptthemen und die Bezüge zu israelitischer Weisheit, altorientalischen (v.a. ägyptischen) und hellenistischen Traditionen an. Es folgt ein Vers-zu-Vers-Kommentar auf 120 Seiten.
 

Gottes Herrlichkeit inmitten des Volks
Was geschieht nach der Katastrophe, der Eroberung Jerusalems von 586, die mit dem Niederreissen des Tempels und der Deportation der meisten Jerusalemer nach Babylon verbunden ist? Mehrere Bücher des AT thematisieren Wiederherstellung. Besonders schwer verständlich sind die letzten neun Kapitel des Ezechielbuchs.

Benjamin Kilchör gibt in der Studie «Wiederhergestellter Gottesdienst» eine Deutung der Kapitel anhand der Aufgaben der Priester und Leviten. Der Prophet schaut einen neuen Tempel, in den die Herrlichkeit (Kabod) Jahwes einzieht.  
Mehr zur Vision Ezechiels

Wiederherstellung – einst und jetzt
Gibt es für die Kirche Wiederherstellung? Thomas Bänziger, der sie am eigenen Leib dramatisch erlebt hat, bejaht die Frage von Esra-Nehemia her. Jahre nach seiner Doktorarbeit zu diesem Buch formuliert er aufgrund von thematischen Längsschnitten 12 Lektionen – als «ein Zeugnis ... für unseren Gott, der ein Gott der Wiederherstellung ist und bei dem es immer und für jede Situation Hoffnung gibt».

Im Buch geht es um Wiederherstellung in der Bibel. Durch das Dekret des persischen Grosskönigs Kyros für den Bau eines Gotteshauses in Jerusalem erfüllen sich die 70-Jahr-Prophetien Jeremias und Daniels. Bänziger skizziert die vier Phasen der Wiederherstellung – mit Verlesung und Auslegung der Tora als Höhepunkt.

Wie weit trägt die Wiederherstellung? Die Judäer bleiben persische Untertanen; es kommt zum erneuten Bundesbruch. Ist der zweideutige Schluss ein Hinweis auf die «Zerbrechlichkeit des Neuanfangs»?  
Mehr zum Auf und Ab im Jerusalem der Perserzeit
 

Angaben zu den Büchern
Matthias Armgardt, Benjamin Kilchör, Markus Zehnder (Hg.)
Paradigm Change in Pentateuchal Research
24+366 S., Harrassowitz Verlag Wiesbaden, 2019
978-3-447-11170-6

Benjamin Kilchör
Jahwetora und Mosetora
Das Verhältnis von Deuteronomium 12-26 zu Exodus, Levitikus und Numeri
18+390 S., Harrassowitz Verlag Wiesbaden, 2015
978-3-447-10409-8

Hendrik J. Koorevaar, Mart-Jan Paul (Hg.)
Theologie des Alten Testaments
Die bleibende Botschaft der hebräischen Bibel
416 S., Brunnen Verlag Giessen, 2016
978-3-7655-9565-3

Helmuth Egelkraut
Das Alte Testament
1263 S., Brunnen Verlag Giessen, 20176
978-3-7655-9570-7

Paul Veraguth
Nach links geschrieben – Nach rechts gelesen
Biblisch-hebräisches Denken
169 S., Echad Verlag Toffen, 2015
978-3-905518-16-0

Jacob Thiessen, Harald Seubert (Hg.)
Die Königsherrschaft Jahwes
Festschrift zur Emeritierung von Herbert H. Klement
388 S., LIT Verlag Wien/Zürich/Münster, 201
978-3-643-80199-9

Beat Weber
Werkbuch Psalmen I-III
Kohlhammer Verlag Stuttgart
Band I, Die Psalmen 1-72
357 S., 20162, 978-3-17-032266-0
Band II: Die Psalmen 73-150
415 S., 20162, 978-3-17-031460-3
Band III: Theologie und Spiritualität des Psalters und seiner Psalmen
370 S., 2010, 978-3-17-028321-3

Xandi Bischof, Nadine Seeger
Psalmen destillieren – Alte Gebete neu lesen
392 S., Friedrich Reinhardt Verlag Basel, 2018
978-3-7245-2282-9

Annette Schellenberg
Kohelet
Zürcher Bibelkommentare AT, Band 17
S., TVZ Zürich, 2013
978-3-290-17714-0

Benjamin Kilchör
Wiederhergestellter Gottesdienst
Eine Deutung der zweiten Tempelvision Ezechiels (Ez 40–48) am Beispiel der Aufgaben der Priester und Leviten
Herders biblische Studien, Band 95
328 S., Verlag Herder Freiburg i.Br., 2020
978-3-451-37795-2

Thomas Bänziger
Wiederherstellung
12 Lektionen aus Esra-Nehemia zu Erweckung und Reformation
288 S., Schleife Verlag Winterthur, 2021
978-3-905991-52-9

Thomas Bänziger
«Jauchzen und Weinen»: Ambivalente Restauration in Jehud
Theologische Konzepte der Wiederherstellung in Esra-Nehemia
308 S., TVZ Zürich, 2014
978-3-290-17764-5