Wohin die laizistische Trennung von Staat und Kirche in Frankreich führt
Die französischen Kirchen haben im März gemeinsam Einspruch gegen einen Gesetzesentwurf erhoben, der den Laizismus in Frankreich stärken soll, um dem Islamismus zu wehren. Laut den Kirchenführern würden die verschärften Kontrollen und Einschränkungen die bürgerlichen Grundfreiheiten der französischen Republik verletzen. Für den Islamkenner Olivier Roy würde das Gesetz «aus dem Säkularismus eine Ideologie des Staates machen».
Die Pariser Zeitung «Le Figaro» veröffentlichte am 10. März einen gemeinsamen Aufruf der Führer der Katholiken, Protestanten und Orthodoxen Frankreichs. Darin bewerteten sie das Vorhaben als Angriff auf die Kultus- und Versammlungsfreiheit, die Lehr- und auch die Meinungsäusserungsfreiheit.
Der Entwurf verstosse gegen den Geist des für die Religionspolitik grundlegenden Gesetzes von 1905 zur Trennung von Staat und Kirche. Laut den Kirchenführern «macht man aus einem Gesetz, das die Bedingungen der Freiheit darlegt und dieser Freiheit Raum gibt, ein Gesetz von vielfachen Zwängen und Kontrollen».
Massnahmen gegen Islamisten …
Die drei Kirchenführer begrüssen es, dass der Staat seine Einwohner vor islamistischen Umtrieben schützen und namentlich gegen Zwangsehen, Genitalverstümmelung, Hetze und Diskriminierung, auch beim Erbgang, vorgehen will. Die Social Media seien zu regulieren. Doch schaffe das Vorhaben unter muslimischen Mitbürgern kein Vertrauen in die freiheitliche Ordnung der Republik.
Der französische Staat verwies 1905, als er die Trennung dekretierte, die Religionsgemeinschaften aus dem öffentlichen Raum. Nun darf er, so die Kirchenführer, sich nicht einmischen in ihre inneren Angelegenheiten («dans la qualification de ce qui est cultuel et dans son fonctionnement»). Damit würde er sich vom Grundsatz der Trennung verabschieden.
… würden die Kirchen hart treffen
Im Januar, vor der ersten Lesung des Entwurfs in der Nationalversammlung, hatte die Fédération Protestante de France in einem Dossier vier Vorschläge kritisiert. Ein Hauptpunkt: Religiöse Vereine müssten sich beim Präfekten des jeweiligen Departements anmelden, sich dabei verpflichten, die Prinzipien der Republik zu respektieren, und ihre Registrierung alle fünf Jahre bestätigen lassen.
Nach der ersten Lesung hielt der protestantische Dachverband an der Kritik fest: Der Staat wolle alle Vereinigungen schärfer kontrollieren und jene mit religiösen Zwecken viel stärker einschränken. Er strebe «un contrôle quasi-général» finanzieller Zuwendungen aus dem Ausland an und sehe höhere Strafen für Verantwortliche vor. Die (noch vermehrten) neuen Zwangsbestimmungen seien durch den notwendigen Kampf gegen den Terrorismus in keiner Weise zu rechtfertigen.
Innenminister Gérald Darmanin verteidigte das Vorhaben Mitte März im «Figaro». Die 24. Revision des Gesetzes von 1905 würge die bürgerlichen Freiheiten nicht ab. Die Unterstellung der Moscheen unter das Gesetz sei angebracht. Bisher würden 92 Prozent der Moscheen unter den Bestimmungen des Gesetzes von 1901 geführt. Der Staat müsse aber Mittel in die Hand bekommen, um dem «séparatisme identitaire» entgegenzutreten, der sich hinter dem Religiösen verberge.
Nach der Präsentation durch Premierminister Jean Castex im Dezember 2020 (NZZ-Bericht) war der Gesetzesentwurf «zur Stärkung der republikanischen Prinzipien» auf breiten Widerstand gestossen. Der Staat will religiöse Vereinigungen auch leichter auflösen können.
Der Senat hat Anfang April die Vorlage in erster Lesung behandelt und weitere Änderungen angebracht. Minderjährigen soll das Tragen von Kleiderstücke und Zeichen, die eine religiöse Zugehörigkeit anzeigen, im öffentlichen Raum verboten werden.
Islamkenner: «Es braucht mehr Religion»
Der französische Politologe und Islamkenner Oliver Roy hat das Vorgehen von Präsident Emanuel Macron gegen den «islamistischen Separatismus» als nicht zielführend beurteilt. Er konstatiert im NZZ-Interview bei der zweiten Generation der Einwanderer aus dem Maghreb eine gefährliche Kluft zwischen Sprache und Kultur. Frankreich werde so oft Ziel von Anschlägen, weil «wir die grösste Dekulturierung haben». Diese mache anfälliger für Radikalisierung, auch weil der laizistische Staat die Religion in der Öffentlichkeit nicht begrüsse und religiöse Vergemeinschaftung verhindere.
Laut Olivier Roy würde das Gesetz die «nicht nur den Islam, sondern das Religiöse an sich noch stärker aus dem öffentlichen Raum» ausschliessen. Er erwähnt die geplante Kontrolle der (vor allem katholischen) Privatschulen und konstatiert: «Der Laizismus hat in Frankreich die Religion ersetzt. Wir sind von einem juristischen Konzept zur Trennung von Kirche und Staat, das sehr gut war, zu einem ideologischen Laizismus übergegangen.» Heute sei der Laizismus antireligiös. «Das Gesetz wird aus dem Säkularismus eine Ideologie des Staates machen.»
Der Politologe empfiehlt eine stärkere Kontrolle des Internets. Und: «Es muss sich ein religiöser Diskurs entwickeln können, damit die Jugend, die nach Religion sucht, diesen Diskurs finden kann. Zum Beispiel braucht es bekannte, sichtbare Imame, die in der Öffentlichkeit auftreten. Das Problem des religiösen Radikalismus ist, dass es nicht genug Religion gibt. Es braucht mehr Religion.»
Macron unter Druck
Der Schweizer Religionswissenschaftler Dr. Georg Schmid, der in Zentralfrankreich lebt, weist indes auf den Druck hin, unter dem Präsident Macron nach vielen blutigen Anschlägen von Islamisten steht:
«Wenn wir die vorgeschlagenen neuen Bestimmungen verstehen wollen, müssen wir vom gegenwärtigen Islamismus-Trauma Frankreichs ausgehen. Anders als die Schweiz, wo wir bisher nur weniger gravierende Anschläge erlitten haben und diese wo immer möglich mit Hinweis auf die psychischen Probleme der Attentäter aus der Islamdebatte herausgelöst werden konnten, sind die schrecklichen Anschläge, die Frankreich trafen, immer unzweifelhaft als islamistische Untaten erlebt worden. Als dann noch ein Geschichtslehrer geköpft wurde, weil er in seinem Unterricht über die Mohammedkarikaturen diskutieren liess, kam das Fass zum Überlaufen.
Macron musste reagieren, wollte er nicht vorzeitig das Feld dem Front National überlassen. Und wie konnte er reagieren? Wahrscheinlich nur mit einem Gesetz, das die religiösen Gemeinschaften genauer unter die Lupe nimmt. (...) Der französische Staat ... will Hasspredigern und islamistischen Zirkeln das Handwerk legen. Und er will zeigen, dass er sich wehrt. Das kann ihm niemand verargen.»