Weihnachten 2020 findet statt!
Wohin richten sich unsere Blicke in diesen Tagen?
Um der Seuche zu wehren, wird Gemeinschaft beschränkt.
Dies eröffnet Gelegenheiten, Weihnachten anders zu gestalten.
In welcher Haltung können wir feiern?
Andreas Wahlen, Sabine Aschmann und
Paul Wellauer geben Impulse.
Aufblicken
In welcher Form können wir dieses Jahr Weihnachten feiern? Ist es möglich, mit der erweiterten Familie zusammenzukommen? «Corona» scheint uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. Da stellt sich die Frage, was überhaupt der Sinn des Weihnachtsfestes ist. Für viele Geschäfte geht es um einen grossen Teil des Jahresumsatzes, für viele ist es die Gelegenheit, sich wieder mal zu treffen. Andere sind froh, dieses Jahr einen Grund zu haben, nicht mitmachen zu müssen.
Diese Corona-Zeit bereitet uns Sorgen, zudem gibt es in dieser Welt verschiedene Baustellen: Klimawandel, Kriege und Spannungen, Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Ungewissheit usw. Was kommt da noch alles auf uns zu?!
Der Wochenspruch für die 2. Adventswoche wendet unseren Blick von diesen Problemen auf etwas anderes. «Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht» (Lukas 21,28).
Wir sind eingeladen, den Kopf nicht hängen zu lassen, sondern «unsere Häupter zu erheben». Jesus sagt zu uns: «Kopf hoch!» Das ist einfacher gesagt als getan in dieser Situation. Jesus schildert die Situation vor seiner Wiederkunft. Da wird es Naturkatastrophen und Kriege geben, viele werden den Mut verlieren. Und dann dieser Vers. Der Grund, warum wir aufschauen sollen, ist, «weil sich eure Erlösung naht».
Daran denken wir an Advent und Weihnachten: Jesus, unser Erlöser ist auf diese Welt gekommen. Und er kommt wieder. Das ist das Ziel, auf das wir schauen können. Dann werden wir eine grosse Freude erleben. Wir dürfen jetzt schon auf ihn schauen. Er wird uns auch in dieser ungewissen Zeit durchtragen und uns eben zu diesem Ziel hin begleiten. So singen wir an Weihnachten: «Christ, der Retter, ist da!»
Andreas Wahlen, Pfarrer, Oberentfelden AG
Nicht wie jedes Jahr … besser!
Es geht nicht wie jedes Jahr. Ein perfides Virus bestimmt die Weihnachtstage. Traditionen und Bräuche müssen überdacht, abgesagt, an Schutzkonzepte angepasst werden. Welche Rituale sind zentral und unaufhebbar? Weihnachtslieder singen? Krippe aufstellen? Christbaum schmücken? Guetsli backen? Familie treffen? Geschenke kaufen? Gottesdienst besuchen?
Wir beginnen nachzudenken über unsere Bräuche. Was machen wir da eigentlich? Was bedeuten sie? Welchen Wert haben sie für uns über nostalgische Gefühle hinaus, und weil es jedes Jahr so schön war?
Weihnachtsbräuche auf ihre Botschaft abklopfen. Nein, das heisst nicht nur, etwas Geistliches zitieren können: «Christ ist erschienen, uns zu versühnen» zum Beispiel. Es heisst, diese «Sühne», die Gott welt- und zeitumfassend in besagter Heiliger Nacht ermöglicht hat, an mir und an uns geschehen lassen. Das bringt uns auf den Kern der Weihnachtsfeiern.
Dazu eine Beobachtung an der Weihnachtsgeschichte von Lukas 2. Da bekommt Maria im ungünstigsten Moment ihre Wehen: auf Reisen, noch dazu in einem ungastlichen Bethlehem. Jetzt muss sie gebären. Es gibt keine göttliche Hilfe. Kein Engel, kein Glanz und Gloria. Da ist nichts als eine Krippe, um das Kind hineinzulegen. Ein paar Windeln hat Maria noch. Das Kind schreit wohl, lässt sich – hoffentlich – beruhigen. Sonst ist alles still und dunkel, denn inzwischen ist es Nacht geworden, wie wir kurz darauf erfahren.
So wird die Geburt des Herrn der Welt beschrieben. Gott kommt mit Absicht ohne himmlische Dienerschaft ins Elend. Aber halt! Nicht weit davon entfernt, bricht der Himmel auf, da sind die Engel mit der Botschaft von grosser Freude, vom Heil und vom Messias. Die Herrlichkeit des Herrn ist bei den Hirten auf dem Feld, während im Stall nur schlichte Armut ist und irdische Normalität.
Erst als die Hirten mit ihrer überirdischen Botschaft zum Stall kommen und erzählen, wird es auch Maria klar. Alle hörten und staunten, heisst es. Ich glaube, sie staunten nicht nur über die Botschaft, sondern auch über diese ungleiche Verteilung der Zeichen: Hier ein Kind im Futtertrog – dort der Glanz des offenen Himmels. Hier kommt Gott in unser Elend, alle Herrlichkeit verlassend, ganz und gar preisgegeben unserer Nacht. Dort wirkt sich die Sühne jetzt schon aus, die nun angebahnt ist und ihren Weg nimmt bis zum Kreuz. Paulus schreibt: «So wirkt an uns der Tod, an euch aber das Leben» (2. Korinther 4,12). Es ist dieselbe Bewegung, die an Weihnachten ihren Anfang nahm.
Diese Bewegung will durch die Gemeinde Jesu Christi weitergehen, 2020 in unserer gegenwärtigen Armseligkeit, die wir, eine der reichsten Nationen der Welt, im Umgang mit der Corona-Pandemie zeigen – mitsamt einer Kirche, so kleinlaut und schwach, dass man sich schämen muss für sie.
Werden wir bussfertig in der Heiligen Nacht und werden wir fähig, unseren Glauben in irdenen Gefässen zu bewahren, darf sich das ewige Leben auswirken an Orten draussen in der Nacht der Welt, auf Feldern, wo niemand es erwartet hat. Diese Verheissung von Weihnachten hilft uns zu entscheiden, wie wir feiern sollen. Sicherlich nicht wie jedes Jahr – hoffentlich besser!
Sabine Aschmann, Pfarrerin, Schlatt TG
Heilige Momente gestalten
Weihnachten findet auch im Jahr 2020 statt: zwar kaum in überfüllten und liedreichen Weihnachtsgottesdiensten wie in früheren Jahren, dafür möglicherweise näher am ursprünglichen Geschehen im Stall hinter einer Herberge. Weihnachten findet statt, wo es uns gelingt, mit den eingeschränkten Möglichkeiten heilige Momente zu gestalten, die Nähe von Jesus zu feiern.
Nach dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter und vor der Anleitung zum Unser Vater-Gebet erzählt der Evangelist Lukas von der Begegnung von Jesus mit den beiden Schwestern Maria und Marta (Lukas 10,38-42). Marta macht sich als Gastgeberin viel Arbeit; Maria sitzt Jesus zu Füssen und geniesst den Heiligen Moment. «Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden»: So weist Jesus Marta zurecht, die sich über die Untätigkeit von Maria beklagt.
Zwischen den Anleitungen zur selbstlosen Nächstenliebe und zum persönlichen Gebet zum himmlischen Vater beschreibt Lukas, was nötig ist, dass daraus weder leerer Aktivismus noch oberflächliches Gerede wird: Ich darf und muss Jesus bei mir ankommen lassen, ihm zu Füssen seine lebensspendende Botschaft empfangen.
Das ist mein Wunsch für alle, die Advents- und Weihnachtsfeiern zu gestalten haben: Geniesse innige, heilige Momente in der Gegenwart von Jesus, der sich ganz tief in diese dunkle Welt hinunterneigt, auch in die Nöte und Ängste rund um Covid-19! Er kennt deine Fragen, deine Dunkelheit, deine Unruhe, deine Ratlosigkeit.
Und dann überleg dir zu Füssen von Jesus, «was Not ist», notwendig, notwendend: zum Beispiel mit den Kindern und Jugendlichen im Religionsunterricht die Weihnachtsgeschichte lesen und sie ihnen zusammen mit einer Handvoll Liedtexte (und youtube-Links) nach Hause geben, damit sie mit kindlicher Einfachheit eine weihnachtliche Feier gestalten können. Oder diese Bestandteile einer Weihnachtsfeier in eine «Take-away-Tüte» verpacken, die bei der Kirche abgeholt werden kann.
Für die Betagten in Altersheimen kann ein Heiliger Moment darin bestehen, dass sie Brot und Traubensaft zur Verfügung gestellt bekommen, um gemeinsam mit den Gottesdienstbesuchern im TV- oder Livestream-Gottesdienst Abendmahl zu feiern. Unsere Altersheimleitung hat die Idee schon an Ostern und Pfingsten gerne aufgenommen. Lebendige, interaktive Adventskalender oder Stationenwege, die Einzelpersonen und Familien ermöglichen, wesentliche Elemente der Weihnachtsgeschichte sinnlich zu erleben, sind wertvolle Zugänge.
«Weniger ist mehr» und «was nicht einfach geht, geht einfach nicht», sind dabei wohl hilfreiche Leitlinien. Und ja: Marta braucht es dabei auch! Sie war es, die Jesus eingeladen hatte, den Heiligen Moment erst möglich machte. Die Frage, die sie uns mitgibt, könnte lauten: Wie gelingt es uns, Kindern und Erwachsenen zu einer persönlichen und innigen Begegnung mit Jesus zu verhelfen? Jesus, das Kind in der Krippe, Jesus, der ersehnte Retter und Heiland, Jesus, der Flüchtling und Freund der Aussenseiter und Benachteiligten …
Gut möglich, dass unsere Gemeindeglieder, Nachbarn und Freunde dieses Jahr einen «anderen Jesus» kennenlernen als in früheren Jahren, gut möglich, dass sie damit «das gute Teil erwählen» und verändert weitergehen. Weihnachten 2020 findet statt, wo wir «heilige Momente» zu Füssen von Jesus geniessen.
Paul Wellauer, Pfarrer, Bischofszell TG