«ZusammenWachsen» in der Zürcher Kirche
Im Reformprozess KirchGemeindePlus sollen die Kirchenpflegen über Strukturen diskutieren, ohne die Inhalte zu vergessen. Ab 2015 sollen die Kirchenpflegen Gemeindekonzepte schreiben. Professor Ralph Kunz rät, die Reform mit geistlichem Gemeindeaufbau zu wagen.
Kirchenratspräsident Michel Müller redete an den fünf Regionalkonferenzen mit je 150-200 Behördenmitgliedern und Angestellten der Kirche Klartext: Der unabweisbare Schwund an Mitgliedern und Finanzen erfordert mehr als Kosmetik. Auch wenn die Initiative der Jungfreisinnigen zur Abschaffung der Kirchensteuer der juristischen Personen vom Stimmvolk abgelehnt werde, stehe ein schmerzhafter Abbau ins Haus – „wir müssen einiges aufgeben“.
„Den Rückgang auffangen“
Der Kirchenrat machte im Sommer 2012 deutlich, dass er die bisherigen Gemeindestrukturen aufbrechen will. Die Kirchensynode gab im September grundsätzlich grünes Licht für die Arbeiten. Seit kurzem sind die Grundzüge von KirchGemeindePlus (KGP) im Internet dargelegt.
Unter dem Motto „ZusammenWachsen“ schlägt der Kirchenrat Fusionen vor, um der Kirche, die 2019 ihr 500-jähriges Bestehen feiert, eine Zukunftsperspektive zu schaffen. Michel Müller: „Wir wollen Probleme auch überholen, indem wir starke Kirchgemeinden bilden, die den Rückgang auffangen können.“ Jene Gemeinden, die sich noch stark und lebendig fühlten, sollten schwächeren aufhelfen, damit die Kirche „für unsere Kinder und Nachkommen“ erhalten bleibt.
Kirche aus Glauben gestalten
Nach Müller machte Ralph Kunz, Professor für praktische Theologie an der Universität Zürich, den Gemeindeverantwortlichen Mut, die Verlustangst „an den Hörnern zu packen“. Er plädierte mit biblisch-theologischen Überlegungen dafür, Kirche (griechisch: ekklesia, Versammlung) neu nicht-territorial zu denken. Kunz erinnerte daran, dass der geistliche Neuanfang der Israeliten im babylonischen Exil geschah, fern ihres Landes. „Wir sollen im Übergang weiter kommen, wachsen, wandeln und reifen“ – das werde in der Bibel mit dem Heiligen Geist in Verbindung gebracht. Es gehe nicht bloss um Strukturen, sondern um die geglaubte Kirche – um Gemeindeaufbau. Für eine Minute KGP solle zwei Minuten gebetet werden. Solange eine kritische Masse da sei, gebe es Raum für kreative Lösungen. „Wir können uns gegenseitig anstecken mit guten Ideen, Vertrauen und Mut.“
Zeit für Gespräche
Nach den zwei Referaten diskutierten die Teilnehmenden in Gruppen, was hoffen lässt und was zu Einspruch und Widerstand. Die Gesichtspunkte wurden im Saal mitgeteilt; sie werden auf der Projekt-Website kirchgemeindeplus.ch dokumentiert. KGP-Projektleiter Martin Peier lud die Gemeindeverantwortlichen ein, zu den Fragen, die ihnen unter den Nägeln brennen, selbst Impuls-Dialoge zu starten. Auf der Website können sie dazu einladen. An den Kirchenpflegetagungen des nächsten Winters will der Kirchenrat die Gespräche auswerten.
Für ein besseres Angebot
Im Gespräch mit der Evangelisch-kirchlichen Vereinigung Zürich EKVZ hat Kirchenratspräsident Michel Müller das Vorhaben KirchGemeindePlus erläutert. Statt Einzelpfarrämtern wird es Pfarrteams geben (bei 6000 Gemeindegliedern drei Vollstellen). Müller räumt ein, dass grössere Kirchgemeinden ihr Potenzial oft nicht ausschöpfen und „nicht unbedingt den prozentual besseren Gottesdienstbesuch“ verzeichnen. Doch gelte: „Grössere Gemeinden haben mehr Mittel, mehr Ansprechpersonen für die verschiedenen Lebenssituationen, eher differenzierte Angebote für Generationen und Milieus. Sie haben auch mehr Möglichkeiten, in den Handlungsfeldern aktiv zu sein.“ Zudem würden sie eher professionell und kostengünstig verwaltet.
„Es darf keine Zwangsfusionen geben!“
Die Regionalkonferenzen vermittelten eine Ahnung von der Stimmung an der Basis. Einzelne wagten, KGP prinzipiell in Frage zu stellen, viele äusserten Bedenken, andere Hoffnung auf neue Dynamik. „Not macht erfinderisch“, hiess es, nun könne man alte Zöpfe abschneiden. Anderseits wird das (weitere) Bröckeln des Zusammenhalts befürchtet. „Beziehungen nehmen Schaden, wenn wir viel in der Region herumreisen.“ Ältere Menschen seien nicht so mobil wie junge.
„Grössere Gebilde brauchen eine starke Mitte“, äusserte eine Gruppe. Was bleibt von der Autonomie der Kirchgemeinden? „Es darf keine Zwangsfusionen geben!“ (Der Kirchenrat sieht langfristige Zusammenarbeit als aufwendiger an und stellt Zusammenschlüsse in den Vordergrund.) Für bisher grössere Gemeinden werde es durch Fusionen mit kleineren nur komplizierter, wurde bemerkt – und dass kleine Gemeinden von grossen verschlungen würden: eliminiert statt optimiert.
Kirche muss sich plausibel machen
Der KGP-Beauftragte der Kirche, Pfr. Martin Peier, rief zum Dialog auf: „Bereichern Sie sich am Wissen und der Erfahrung anderer Gemeinden.“ Man wolle „so lange reden, bis wir eine Lösung gefunden haben“. Durch Zusammenschlüsse, so Peier, sollen „re-formierte Gemeinden entstehen, in der Gesellschaft, in der wir nicht mehr gut sind, einfach weil wir es gut meinen“. Im säkularen Umfeld müsse sich die Kirche „immer wieder neu plausibel machen“.
In der Stadt Zürich sind bisher 33 Kirchgemeinden in einem Stadtverband organisiert. Der starke Mitgliederschwund hat die Verantwortlichen 2009 bewogen, einfachere Strukturen anzustreben. Im Reformprozess wird anscheinend die Zusammenlegung zu einer einzigen Stadtkirchengemeinde mit 90‘000 Mitgliedern favorisiert.
Bericht zum Stadtzürcher Reformprozess