Gemeindeentwicklung: Wege der Hoffnung

Reformiertes Profil verwirklicht sich im Gemeindeaufbau. Dazu gibt es kein simples Rezept. Kirchgemeinden haben sich neu aufzustellen. Ostschweizer Kantonalkirchen gehen kreative Wege, um Gemeinden in ihrer Entwicklung zu unterstützen.

Im Weitergeben des Evangeliums ist ein Weg zu finden, der Vielfalt und Einheit umfasst, aber jenseits von unverbindlichem Pluralismus und beengender Monokultur liegt, sagt Pfr. Karl Flückiger, der Kirchgemeinden im Kanton Zürich im Gemeindeaufbau berät. Die Zukunftsprognosen, welche Religionssoziologen von Megatrends ableiten, sind nicht Schicksal. Kirchgemeinden können Neues entwickeln, sich verändern und aufbauen. Was in manchen Gemeinden erträumt und gewünscht, versucht und verwirklicht wird, beschäftigt die Landeskirchen zunehmend.

Im Lebenslauf der jüngeren Generation schwindet die Bedeutung der Kirche. Kirchenleitungen sehen, dass es nicht weiter geht wie bisher. Der St. Galler Kirchenratspräsident Dölf Weder nennt eines der drängenden Probleme: „Wir haben für die Zeit nach der Konfirmation keine funktionierenden Modelle mehr. Im Übergang zum Erwachsenenalter ist die Kirche kaum mehr gegenwärtig.“ Mehrere Kantonalkirchen nehmen sich nun des Gemeindeaufbaus an, der lange einzelnen Gemeinden und Bewegungen wie „Mut zur Gemeinde“ und „Willow Creek“ überlassen wurde.

Als Aufgabe erkennen
Die Zürcher Kirchenordnung von 2009 bezeichnet „Gemeindeaufbau und Leitung“ als viertes Handlungsfeld der Kirche. Der Kirchenrat hat 2008 unter den Legislaturzielen vorgegeben, dass „Mission, Evangelisation und Gemeindeaufbau als Aufgaben der Kirche erkannt sind“. Ihre „biblisch-theologische Dimensionen sind für das kirchliche Leben neu zu erschliessen und für die Arbeit in der Gemeinde fruchtbar zu machen“.

Schwerpunkte setzen
Was weitherum erkannt wird – der Basler Kirchenrat fördert am Rheinknie unterschiedliche Gemeindeprofile –, bearbeitet die St. Galler Kantonalkirche in einem vielschichtigen Prozess. Sie fragte zum Millennium nach ihrer Identität und Stossrichtung. In einem Prozess, der alle örtlichen Vorsteherschaften und Mitarbeitenden einbezog, wuchs das Konzept „St. Galler Kirche 2010“. Dabei fand sich das Motto „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“. Kirchenratspräsident Dölf Weder: „Wir wollen eine Kirche mit klarer Identität sein, in der es um Gott, um Christus, um eine klare Glaubensbeziehung geht. Und wir wollen nahe bei den Menschen sein, wie sie eben leben.“

Das Motto ergab eine gemeinsame Grundausrichtung für die Kantonalkirche, die Gemeinden und ihre Vorsteherschaften und erleichterte das Setzen von Schwerpunkten. „Wir schufen neue Arbeitsstellen im Bereich Familie und Kinder und für Pastorales. Und wir fördern neben der klassischen Kirchenmusik verschiedene Musikstile, von Alpsteinkultur bis zu Rock und Pop.“

Zielorientiert arbeiten
Aus einer Evaluation 2005 und der Visitation 2007 erwuchsen weitergehende Überlegungen, die nach einer Aussprachesynode als Ziele formuliert wurden (Papier ‚St. Galler Kirche 2015‘). Laut Weder stehen neben der Arbeit mit jungen Erwachsenen Gemeindeentwicklung und Mitarbeiterförderung im Zentrum. Dafür wurden zwei neue Arbeitsstellen geschaffen. „Da wollen wir besser werden. Gemeindeentwicklung meint ein systematischeres, zielorientiertes Schaffen im Gemeindeaufbau.“ Was kleine Kirchgemeinden um den Alpstein einzeln nicht schaffen, wird nun regional mit Mitarbeiterpools versucht. Übergemeindliches Arbeiten fördert die Kantonalkirche auch finanziell.

Zur Veränderung bereit
In Zürich brachte die Evangelisch-kirchliche Synodefraktion Mitte der 1990er Jahre mit einem Vorstoss den Stein ins Rollen, der zur Schaffung einer Fachstelle Gemeindeaufbau führte. Der Pfarrer und Organisationsberater Karl Flückiger, seit 2008 an der Arbeit, konstatiert, dass Gemeindeaufbau zwar angegangen wird, aber die „entsprechende biblisch-theologische Dimension noch in den Kinderschuhen stecken geblieben ist“. Die Fragen, die Flückiger von Kirchenpflegen erhält, „zeigen manchmal Interesse und Veränderungsbereitschaft, manchmal werden sie vorgeschützt, um zu bleiben, wie man ist“. Gemeindeaufbau sei viel mehr, als mehr Leute in den Gottesdienst zu bekommen.

Salz der Welt
„Heisst Gemeindeaufbau, noch mehr zu tun?“ Überforderten Kirchenpflegen, die diese Frage stellen, sagt Flückiger: „Gemeindeaufbau ist nicht noch etwas mehr, sondern etwas anderes tun.“ Legislaturziele fokussieren das Gemeindeleben, nicht alles wird mit gleichen Ressourcen ausgestattet, einiges sogar fallen gelassen. „Dazu allerdings braucht es einen Unterbruch im Alltagsgeschehen, um Zeit zu gewinnen, konzeptuell zu beraten und Kriterien für weitreichende Entscheidungen zu entwickeln.“ Der Berater, der im November 2009 die Tagung „Zugkunft“ in Zürich-Wipkingen mitorganisierte, ist überzeugt: „Neue Handlungsweisen sind für den inkarnatorischen Weg der Gemeinde als Salz in dieser Welt einzuüben. Das heisst: aufsuchen, besuchen, Gehstruktur, netzwerken. Mit Zielgruppen etwas aufbauen, statt für sie.“

Dienstbar und sichtbar
Flückiger weiss von der Gefahr, „dass wir uns beim Reformieren vor allem mit der Perfektionierung von uns selbst beschäftigen, statt dienstbarer und sichtbarer für Menschen zu werden, unter denen wir leben“. Besonders freuen ihn Orte, in denen die neu gestaltete Zusammenarbeit von Kirchenpflege und Mitarbeitenden sich auf das Gemeindeleben auswirkt. „Die Kultur des Miteinanders strahlt aus, wenn es glaubwürdig, ehrlich, herzlich und offen ist.“ Dies setzt voraus, dass „die vorhandenen Menschen wertgeschätzt sind, der Einzelne mit seinen Ideen gefördert wird und sich die Gemeinde immer wieder neu fragt, wie Gottes Kraft in ihrem Ort wirksam werden kann.“