Familien stärken

Das Miteinander von Kirche und Familie ist vielschichtiges Geben und Nehmen. Wenn sich Gemeinden auf Familien einlassen und sie fördern, werden sie selbst bereichert. Lernen sie, Familie zu sein?

In der Gesellschaft, die von Pluralismus und Individualismus geprägt und vielfach versehrt ist, leben mehr Menschen allein. Nicht wenige leiden unter Einsamkeit. Paare trennen sich, weil Lebensentwürfe auseinanderdriften. Labile Patchwork-Familien und alleinerziehende Mütter mehren sich. Die traditionelle Familie wird als solche in Frage gestellt. Zugleich bleibt das Verlangen nach Freundschaft und Verlässlichkeit, ein Grundbedürfnis des Menschen, unverändert bestehen. Dies fordert die Kirche mehr als zuvor heraus, tragende Gemeinschaft zu sein und ein familiäres Miteinander zu gestalten.

Geschenkte Gemeinschaft

Die örtliche Kirchgemeinde ist berufen, die Gemeinschaft abzubilden, die Gott durch Jesus Christus gestiftet hat und durch den Heiligen Geist belebt: geschenkte Gemeinschaft von allen, die er in seiner Liebe als Kinder angenommen hat. Gemeinde ist das Haus Gottes (1. Timotheus 3,15), die Christen sind untereinander Brüder und Schwestern, sie gehören ohne Unterschied zu seinem Haus (Epheser 2,19; Galater 3,28). Die Gemeinschaft, die Gott durch die Versöhnung in Christus ermöglicht, soll in Freundschaft gelebt und kultiviert werden.

Mehr als Familie

Die Kirche hat allen Grund, sich selbst vermehrt als Familie zu begreifen, familiäre Gemeinschaft zu pflegen und deren Potenzial für den Gemeindeaufbau zu nutzen, ohne diesen von ihr bestimmen zu lassen. Die Gemeinde setzt damit auch Zeichen in der Gesellschaft, in der die Entsolidarisierung Klüfte zwischen den Generationen aufreisst. Der Generationenvertrag (AHV) bedarf des gelebten Miteinanders im Alltag; er muss fortwährend durch Begegnung und durch Versöhnung von Alt und Jung (Maleachi 3,24) gestärkt werden.

Ausserhalb des Blickfelds

Familienarbeit ist in der Spannung zwischen den guten Geboten Gottes und den Bedingungen der multikulturell offenen, postmodernen Gesellschaft zu entwickeln. Seit ihren Anfängen hat die reformierte Kirche die Ehe nicht als Sakrament verstanden. Die Schweizer Reformierten fanden sich nach 1970 mit der Pluralisierung der Lebensformen ab. Eine langjährige Sozialdiakonin hat „das Bild der ‚richtigen Familie‘ ein Stück weit loslassen müssen“. Ihr Bild von Familie – was sie selbst lebt – teilen die Frauen auf dem Spielplatz der Gemeinde nicht mehr.

Miteinander der Generationen

In der kirchlichen Erwachsenenbildung wurde Frauenarbeit und dann auch Männerarbeit betrieben. Die aktuelle Gender-Mainstreaming-Ideologie geht nicht nur gegen die durch Jesus Christus monogam bestimmte Ehe von Mann und Frau (Matthäus 19,5.6) an, sondern gegen die geschöpfliche, segensreiche Polarität der Geschlechter.

Wie stark solche Strömungen neuere reformierte Bemühungen um die Stärkung von Familien hindern, ist nicht leicht abzuschätzen. Ein Signal setzte die Zürcher Landeskirche 2008, als sie bei der Beratung der neuen Kirchenordnung in den theologischen Grundlagenteil den Artikel 6 einfügte: „Die Landeskirche tritt ein für die Familie, für eine kinderfreundliche Gesellschaft und für das Miteinander der Generationen.“ Dabei stellt sich die Frage, wie die Reformierten mit Konsum- und Genussorientierung und mit Zukunftsangst umgehen, Kräften, die zur heutigen tiefen Geburtenrate und hohen Scheidungsrate beitragen.

Traditionsabbruch

Das Engagement für die Familie liegt im ureigensten Interesse der Kirche, wenn sie Volkskirche bleiben will. Der kirchliche Grundauftrag, das Evangelium an die nächste Generation weiterzugeben, droht sich im Traditionsabbruch zu verlieren.

Der anglikanische Bischof John Finney beschreibt ihn mit seinem Vier-Generationen-Modell als Verlust von Glaubenswissen und dadurch wachsende Kirchenentfremdung: Wenn Eltern (Generation 1) und Kinder gemeinsam zur Kirche gehen, kennen alle die wichtigsten christlichen Aussagen. Wenn die Generation 2 ihre Kinder zur Kirche schickt, aber selbst nicht teilnimmt, wird die Generation 3 ihre Kinder nicht mehr zur Kirche schicken. Die Generation 3 ist noch übers Christentum informiert, die Generation 4 nicht mehr.

Glaube nur für die Kinder?

Allerdings geben der Wertepluralismus und soziale Zerfallstendenzen Eltern – und nicht nur ihnen – zu denken. Auch viele nicht praktizierende Christen wünschen heute, dass ihre Kinder religiöse Grundlagen vermittelt erhalten, und senden sie in den kirchlichen Unterricht. Da gilt es, nicht nur Kindern den Glauben nahezubringen, sondern auch ihre Eltern in die Vermittlung christlicher Inhalte einzubeziehen. Landeskirchen haben diese Herausforderung erkannt; die Zürcher streben einen „tauf-orientierten Gemeindeaufbau“ an.

Identität bilden

Die Kirche hat allen Grund, Familie ernst zu nehmen und zu fördern als Ort, wo Leben entsteht und Identität gebildet wird. Die Kirche gibt Beziehungen von Eltern und Kindern eine religiöse Tiefe und hilft ihnen, sich in ihrer Geschöpflichkeit und gegenseitigen Abhängigkeit anzunehmen, zu lieben und sich als Familie zu entwickeln. Als grössere, alle Generationen umfassende Gemeinschaft bewahrt sie einzelne Familien zugleich davor, sich zu verabsolutieren.