Gott als Vater kennenlernen

«Gott ist der Schöpfer des Himmels und der Erde, der ‹Vater aller Vaterschaft› und Gott aller Geschlechter!» Pfarrer Geri Keller, Gründer der Stiftung Schleife, hat in seinem Dienst die Geheimnisse des Vater-Seins Gottes und den Weg, den er seine Kinder führt, betont. Der Schleife Verlag versammelte 2002 Vorträge Kellers
in einem Buch. Auszüge:


Wenn ich zur Vaterschaft hindurchdringen will, muss ich zunächst bereit sein, Kind zu sein! Ein Kind ist abhängig von seinem Vater. Hier hat Jesus eine gewaltige Kampffront gegen eine ganze Welt mit ihren kulturellen Prägungen eröffnet: die Front der Kindschaft. Er hat ganz klar gesagt: «Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in mein Reich kommen!» (nach Mat.18,3)

Kinder stehen nicht unter der Macht des Mammons. Kinder leben im Heute. Kinder sind abhängig von ihren Vätern und Müttern oder Versorgern. Kinder sind noch nicht fähig, ihr Leben ganz zu ordnen oder auf eigenen Füssen zu stehen. Jesus ist gekommen und hat gesagt: «Wollt ihr wieder Kinder sein? Begebt ihr euch in diese Abhängigkeit, damit der himmlische Vater wieder in seine Rolle eintreten darf, Verantwortung für euer Leben zu übernehmen und für euch zu sorgen?»

Unsere Welt ist auf Sicherheit aufgebaut. Darum gibt es in der Gesellschaft diese wahnsinnigen Verteilkämpfe. Da tobt es, da geht es um Prozente, um zwei Stellen nach dem Komma. Da geht es darum, wer noch Subventionen bekommt, wo Renten gekürzt werden, wieviel Schulgeld ich kriege usw. Das alles ist auf diesem Grund aufgebaut: Unser Leben basiert auf Sicherheiten.

Aber unsere einzige Sicherheit ist die Vaterschaft Gottes! Die Frage ist also noch einmal: «Willst du wieder Kind werden und dich in die totale Abhängigkeit von diesem Vater begeben, wo du zwar noch deine Sicherheiten hast (wir wollen sie dankbar annehmen), aber wo du von diesen Sicherheiten nicht mehr im Letzten abhängig bist?»

Auch der Leib Christi wird zu einem Grossteil immer noch vom Mammon festgehalten – vom Mammon der Sicherheit. Wir Christen sind überhaupt nicht besser, wir kämpfen genauso um Steuerprozente, um Steuereinnahmen in den Kirchen. Wir kämpfen genauso um unsere Pfründe und unsere Positionen, weil sie Sicherheiten sind. Jesus hat zu Petrus das eine schlichte Wort gesagt: «Komm!» Und Petrus ist aus dem Boot gestiegen und aufs Wasser gegangen. Wenn man aufs Wasser geht, wird man auch immer wieder Wasser schlucken und schreien. Aber dann hält Gott dir seine Hand hin, und du wirst sie ergreifen, und er wird dich hochziehen und sagen: «Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?» (Mat.14,31)
 

Vaterschaft ist eine Realität, die in einer ganzen Ewigkeit nicht ausgeschöpft werden kann – auch nicht, wenn wir einmal vor Gottes Thron stehen und dann Gott, der Vater, «alles in allem» (1.Kor. 15,28) sein wird. Aber ich will ganz klar sagen: Wir werden diesen Vater nur erkennen und zu dieser Vaterliebe nur durchbrechen können durch Jesus Christus. Es gibt keinen anderen Zugang zum Vater als nur durch Jesus. Aber umgekehrt sagt Jesus auch: «Niemand kann zu mir kommen,
es ziehe ihn denn der Vater.» (Joh. 6,44)

 

An einem Anlass der Stiftung Schleife, 2009.

Der Ewig-Vater! Als Jesus mit dem Evangelium von der Erlösung kam, war es seine Absicht, dass wir wieder zurückkehren können in das Vaterhaus und wieder einen Vater haben. Wir brauchen diesen Vater. Ohne ihn können wir in der Zeit, aber auch in der Ewigkeit nicht leben. Wir sind hier auf einem Stern, der sich dreht. Wir sind in einem gewaltigen Universum, von dem wir noch nicht alle Geheimnisse kennen. Wir können unserer Lebenslänge nicht eine Elle zusetzen, auch wenn unser Leichnam in den Gefrierschrank getan wird. Wie willst du mitten in einer Welt bestehen, in der alles im Umbruch ist? In einer Welt, die sich immer schneller dreht? Dabei heisst die Lüge: Es wird sicherer und sicherer …aber im Grunde genommen wird es immer unsicherer und unsicherer…

«Mein Vater ist grösser als alles», sagt Jesus, «und niemand kann euch aus der Hand des Vaters reissen.» (nach Joh. 10,29; Luther) Jesus ist unser Freund, unser Bruder; und er hat nur ein Interesse: uns zu seinem «grösseren Vater» zu bringen, zu diesem gewaltigen Schöpfer-Vater, der alles in seinen Händen hat: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Jesus will uns an dies Vaterherz bringen, damit du und ich endgültig in den Urgrund des Vertrauens eingehen und auf dem Felsen einer ewigen Vaterschaft stehen können. Jeder von uns wird diesen Vater sehen. Er ist dein Vater! Jesus sagt: «Mein Vater und euer Vater» (nach Joh. 20,17); und er wird dein Vater sein, und er wird mein Vater sein.

Du wirst mit deinem Vater wieder deine ganz eigenen Erfahrungen machen. Es gibt einen Grundzug im Wesen dieses Ewig-Vaters, der durch alle Ewigkeiten hindurch gleich ist und sich nicht verändert. Aber er wird sich dir persönlich auch immer wieder auf ganz besondere Weise offenbaren. Er hat sich Paulus anders offenbart als Petrus, Johannes oder Timotheus. Das ist das Wunderbare! Du hast einen persönlichen Vater, und eben in diesem Vater auch noch eine persönliche Mutter! Er ist der Vater, der dir gleichzeitig in der persönlichen Mutterschaft begegnet. Du wirst dann sagen können: «Mein Vater! Mein!»

Wenn wir von diesem Vater erzählen, dann geschieht dies immer auch aus der Perspektive, wie wir ihn selbst erlebt haben. Die Evangelisten haben davon erzählt, wie sie die Vaterschaft Gottes durch Jesus erlebt haben. Er ist das ewige Wort – das gehört zu seinem Wesen. Und dieser Gott ist ein Vater der Schöpfung: Er hat nicht nur eine Schöpfung mit ein paar Urknalls zum Laufen gebracht und dann das richtige Programm eingegeben, damit die Sache sich multipliziert, sondern er hat dieses Universum als ein Vater geschaffen – nicht nur ein genialer Schöpfer, ein Vater! Und eben darum, weil ein Vater dieses ganze Universum geschaffen hat, will er, dass nichts verloren geht. Es ist seine Schöpfung, seine Vater-Schöpfung!

 

Zurück zu den geistlichen Vätern: Mit Thomas Gyger, Vorsitzender der Schweizer Mennoniten (links), und Freunden am Täufer-Tag in Zürich, 2004.

Ich hatte einen Punkt, wo ich am meisten Mühe hatte mit dem Vater. Ich hatte meine Not mit der Gesetzlichkeit und litt viel unter falschen Schuldgefühlen, natürlich noch mehr unter der echten Schuld; und früher wusste ich gar nicht, wie man davon frei wird. Da gab es noch keine «Sündentonnen» wie heute manchmal in Veranstaltungen, wo Menschen ihre Sünden deponieren und unter die Vergebung bringen können; und die Beichte war bei den Reformierten noch nicht erfunden, sie war noch ein sektiererisches Unternehmen.

Da kam ich immer wieder in grosse Not und dachte: «Jetzt straft er mich!» Ich habe dann die Schultern zusammengezogen; und diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich immer wieder gegen diese eingefallenen Schultern kämpfen muss. Das kommt noch aus einer Zeit, wo ich automatisch die Schultern vor meinem Vater eingezogen habe, weil ich dachte: «Jetzt kommt’s! Es ist vielleicht besser, die Schultern ein bisschen einzuziehen; und vielleicht sieht er, wie demütig ich vor ihm stehe, und erbarmt sich dann doch noch…»

Ich musste mühsam lernen und erkennen, dass mich mein Vater nicht straft – endgültig nicht straft, sondern dass er mich erzieht. Die Strafe – im Sinne von Busse, wo ich etwas abzahlen muss – hat Jesus getragen: «Die Strafe lag auf ihm, damit wir Frieden hätten.» (Jes.53,5)

Ich musste also diese Unterscheidung lernen, dass ich einen Vater habe, der mich nicht bestraft, sondern erzieht. Er will mich zu einem Mann machen. Ein Vater will einen Sohn, einen richtigen Sohn. Einen Sohn, der seinen Vater repräsentiert. Einen Sohn, der Verantwortung übernimmt. Einen Sohn, auf den der Vater stolz ist und sagt: «Ich werde dir alles geben, und ich will dir alles zeigen!» Das sind Herausforderungen! Zuerst habe ich das immer missverstanden und verwechselt. Heute bin ich dankbar, wenn solche Herausforderungen kommen!

 

Gott ist letztlich ein tiefes Geheimnis. Das berührt mich immer wieder. Es gibt ein Geheimnis Gottes, wo ich nur niederknien und diesen heiligen Gott anbeten kann. Da weiss ich: Da sind Welten und Welten, Äonen und Äonen von Geheimnissen in diesem Vater, die ich überhaupt noch nicht kenne. Die Ewigkeit ist vielleicht einmal dazu da, dass der Vater uns seine Geheimnisse offenbart.

Nicht einmal Jesus wusste alle Geheimnisse seines Vaters! Er hat gesagt: «Ich weiss den Tag nicht, wann ich wiederkomme werde. Das weiss nur der Vater.» (nach Mark. 13,32) Er ist ein Gott voll von Geheimnissen. Ein Gott, wo man immer wieder auf die Knie fällt wie Paulus und sagt: «O, welch eine Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!» (Röm. 11,33)

Was für einen gewaltigen Gott und Vater haben wir! Anbetung heisst, immer wieder niederfallen und das Geheimnis dieses Wesens Gottes anbeten und sagen: «Danke, Gott, dass du dich mir schon so viel offenbart hast, dass ich um dein Herz weiss, und dass ich immer wieder meine Schuhe ausziehen und vor dieses Geheimnis treten kann. Denn du bist heilig, heilig, heilig; kadosch, kadosch, kadosch – der ‹Ich bin, der Ich bin›.»

Was wird das einmal sein, wenn wir diesen Gott in seinem Geheimnis sehen! Wenn wir ihn nicht nur durch das Wort der Bibel sehen und durch das Gesicht Jesu Christi, des Menschensohnes und Gottessohnes, sondern wenn wir diesen Gott in seiner Fülle sehen werden! In der Fülle des Lebens! Wenn wir überhaupt zum ersten Mal erfahren, was Leben ist, wirkliches Leben! Wenn wir an die Quelle des Lebens kommen! Wenn die vier Wesen, die um Gott herum sind, mit einer Donnerstimme sprechen! Wenn vom Thron Gottes Blitze und Stimmen ausgehen! Wenn wir wie die Propheten den Feuerwagen sehen, auf dem Gott daherbraust!

Was wird das einmal sein, wenn wir vor diesem Geheimnis Gottes stehen, diesem Ewig-Vater, der alles in allem geschaffen hat! Er hat seinen Sohn gezeugt und geboren aus sich heraus, damit er dein und mein Freund und Bruder wird, damit er uns zurückführen kann ans Vaterherz, zum gewaltigen Ewig-Vater.

Was wird es sein, Freunde, wenn wir Leben einmal wirklich empfinden! Nicht dieses Leben hier, das immer noch gezeichnet ist vom Tod, das sich immer wieder mühsam durchsetzen muss gegen alle Zerstörung, das immer wieder wie ein glimmender Docht ist, ein Zittern in unseren Herzen, ein Schrei. Leben ganz! Liebe ganz! Der Feuerofen, wie Luther gesagt hat, der Feuerofen Gott!

Du und ich – vor diesem Gott, dem Ewig-Vater, als seine Töchter und Söhne, verwandelt in das Bild Jesu Christi! Wenn wir diesen Gott anbeten werden! Ist es nicht wunderbar, dass Jesus uns das Vatergebet gelehrt hat? «Vater unser» – Luther stellt das «Vater» voraus! «Vater unser! Vater unser!» Wir können es millionenmal sagen, immer wieder: «Vater unser!» Ich weiss nicht, wie oft ich es gesagt habe. Ich wüsste kein einziges Mal, wo ich es mechanisch gesagt hätte! Es ist immer wieder unauslotbar – so wie der Vater, der Ewig-Vater, unauslotbar ist.

Das Erbe der Väter: Keller schrieb ein Buch über Bruder Klaus.

Ich bin überzeugt: Erweckung heisst, dass wir dazu frei werden, an den Vater heranzukommen, damit unser Geist und unsere Seelen gestillt werden und wir den Ewig-Vater erkennen und auf den Vatergrund kommen. Dann werden wir eine unüberwindliche Gemeinde! Unüberwindlich! «Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Wir leben nun oder wir sterben – wir gehören immer dem Herrn.» (nach Röm.14,8)

Ich glaube, wenn Erweckung kommt, wird noch einmal die Vatergüte, die Vaterliebe ausgegossen werden. Es hat ja schon begonnen mit der Ausgiessung des Geistes an vielen Orten der Welt, wo wir immer mehr erkennen, wer der Vater ist; und wo die Engel im Himmel jubeln über einen Sünder, der Busse tut, weil er wieder erkennt, wie Gott wirklich ist: dass nichts, nichts, nichts Ihn hindern kann, sein Geschöpf wieder an sein Herz zu drücken.

 

Mit dem Thema der Vaterschaft sind wir bereits in den Raum des Reiches Gottes hineingetreten. Denn es ist die Freude, das Wohlgefallen des Vaters, seinen Söhnen und Töchtern sein Reich zu geben. Das ist sein Stolz, sein Ehrgeiz, seine Leidenschaft! Er sagt durch die Worte Jesu: «Alles, was mein ist, ist dein.» (Luk. 15,31) Er hat uns dazu bestimmt, dass wir nicht nur Söhne und Töchter, sondern auch Erben sein sollen. Er will uns mit hineinnehmen.

Dazu hat er sich entschieden, obwohl er Gott ist und keine Hilfe und keine Ratgeber braucht. Aber er will uns mit hineinnehmen in seine Pläne, seine Absichten, seinen Willen und in diesen Schöpfungsakt, der ihn tagtäglich beschäftigt. Dazu stösst Jesus uns eine Tür der Verheissung auf: «Ich bin vor meinem Vater, und ihr könnt in meinem Namen bitten. Ich stehe Aug in Auge mit meinem Vater, mit meinen Wundmalen, und euer Gebet wird das Herz des Vaters erreichen, weil ich vor dem Vater stehe.»

Jesus sagt im Johannesevangelium: «Mein Vater ist grösser als alles.» (10,29; Luther) Und weil der Vater grösser ist als alles, wird auch unsere Sohn- und Tochterschaft etwas von der Grösse dieses Vaters aussagen und davon Zeugnis geben. Wenn wir beten, dann beten wir immer als Menschen, die von einem grossen Vater her denken, fühlen, empfinden und unsere Wege so angehen.

David hat im Kampf gegen Goliath nicht einfach seine Stossgebete zu Gott gerichtet und gesagt: «Gott hilf!», sondern David ist diesem Riesen, diesem Monster, entgegengelaufen und hat gesagt: «Ich komme zu dir mit dem Namen des Herrn der Heerscharen, des Gottes der Schlachtreihen Israels, die du verhöhnt hast; und ich werde heute deinen Leichnam den Vögeln des Himmels geben.» (nach 1.Sam. 17,45+46) Als die ersten Christen miteinander gebetet haben, während die Apostel durch die Verfolgung hindurchgingen, haben sie zuerst den Gott angerufen, der Himmel und Erde geschaffen hat, der die Erde und das Meer füllt mit seiner Herrlichkeit.

Wir haben keinen Gott für Gebrauchszwecke, dessen Hilfe gerade mal so reicht, dass wir überleben und unseren Kopf wieder aus der Schlinge ziehen. Unser Gott ist der Schöpfer des Himmels und der Erde, der «Vater aller Vaterschaft» und Gott aller Geschlechter! Ein Gott, der die Nationen und ethnischen Gruppen geschaffen hat! Ein Gott, der immer Neues schafft, und wo die Wissenschafter nie an das Ende kommen, das zu erforschen, was Gott in seiner unendlichen Grösse und Weisheit ins Dasein gerufen hat. Das ist unser Gott, das ist unser Vater!

Geri und Lilo Keller. Bild: Schleife Verlag

Je mehr wir in unsere Sohn- und Tochterschaft hineinwachsen, desto mehr begreifen wir, wer dieser Vater überhaupt ist; und desto mehr werden wir verstehen, was Paulus sagt: «Wandelt würdig!» (Phil. 1,27) Wir als Söhne und Töchter repräsentieren Gott! Wir repräsentieren keine Konfession oder Kirche!

Wir gehen nicht auf die Strasse, um für eine Kirche, einen Verein oder eine Gruppe Propaganda zu machen, sondern wir sind Repräsentanten des gewaltigen Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat. Das ist ein Unterschied! Du repräsentierst Gott und trägst seinen Namen! Es heisst in der Offenbarung, im Sendschreiben an Philadelphia, dass die Zeit kommen wird, wo Jesus dir einen neuen Namen geben wird: «Du wirst eine Säule sein, auf die ich den Namen des Vaters und den Namen der neuen Stadt, die vom Himmel herabkommen wird, und meinen neuen Namen schreiben werde.» (nach Off. 3,12)

 

Im Hohepriesterlichen Gebet (Johannes 17) spricht Jesus seinen geliebten Vater mit «Heiliger Vater» an, um damit auszudrücken, dass er sich auch unter die Heiligkeit der Wege Gottes stellt. Wir sind nicht nur Kinder des Vaters, die in der Abhängigkeit vom Vater leben wollen, sondern wir wachsen auch hinein in die Sohn- und Tochterschaft. Als Söhne und Töchter sind wir beauftragt, den Vater in der Welt zu repräsentieren. Dazu hat Jesus gesagt, wir sollen vollkommen sein, wie unser Vater vollkommen ist; d.h. wir sollen ein Spiegel seines Wesens sein.

Dazu gehört zuallererst, dass wir als Christen nicht fakultativ, sondern in Selbstverständlichkeit vergeben, so wie Jesus uns vergeben hat. Wir haben gar keine Wahl: Jesus in uns vergibt. Auch wenn unsere Seelen dagegensprechen und wir durchhängen, vergeben wir im Namen Jesu Christi. Wir haben auch keine andere Wahl, als unsere Verletzungen in die Wundmale Jesu hineinzulegen.

Verletzungen gehören nicht uns als unser Besitztum, das wir vor uns hertragen, um damit um Mitleid zu betteln. Wir haben unsere Identität nicht in den Verletzungen; sie sind von Jesus getragen worden. Ich war einmal in einer Gemeinde zu einer Krisenintervention. Da wurde wortwörtlich gesagt: «Wir können nicht miteinander, weil die Verletzungen zu gross sind.» Schwestern und Brüder, was ist das für ein Reden unter dem Kreuz! Wo einer gehangen hat, der sündlos gewesen ist und der sich für die Schuld der Welt zum Fluch und zur Sünde machen liess! Wir wollen mit unseren Verletzungen nicht rechten gegenüber dem gewaltigen Opfer Jesu Christi. Unsere Verletzungen und Schmerzen gehören Gott.

Versöhnung! Mit dem Mennoniten-Bischof Lloyd Hoover, dem Zürcher Ökumenepfarrer Peter Dettwiler, dem Amischen Ben Girod und Sohn Andreas Keller an der Konferenz in Petra, PA, 2005. Bild: Dale Gehman.

Und dann erleben wir es auch im Leib Jesu: «Einer trage des andern Last!» (Gal. 6,2) Was auch immer im Leib Jesu zerstört worden ist, wird wieder geheilt, wenn wir einander gegenseitig helfen, die Lasten zu tragen. Wir repräsentieren Gott, der barmherzig und gnädig ist. Darum werden wir auch immer und immer wieder Menschen von einer versöhnenden, freilassenden, grosszügigen Art sein.

Gleichzeitig werden wir als Söhne und Töchter Gottes aber auch von unserem Vater herausgefordert. Er verzärtelt und verwöhnt uns nicht, sondern er ist ein Vater, der Freude daran hat, dass seine Söhne und Töchter aufwachsen, stark werden und in der Vision des Reiches Gottes vorangehen …

Bei ihm dürfen wir auch Fehler machen, vor ihm dürfen wir schuldig werden, neben den Schuhen stehen und uns verhauen. Trotzdem ist er der Vater, der sich einfach freut, wenn wir im Namen Gottes gehen und etwas wagen. Er klagt uns nie an. Bei den Kerlen, die mit ihren Talenten gewuchert haben, ist auch vieles daneben gegangen! Wuchern hat immer auch etwas mit Kühnheit und dem Freimut zu tun, etwas zu wagen. Gott schätzt das! Auch als Gemeinden dürfen wir Fehler machen, denn dadurch lernen wir das Vaterherz kennen und lernen auch, einander zu vergeben. Wir bleiben nur so in der Abhängigkeit von Gott.

 

Geri Keller: Vater. Ein Blick in das Herz Gottes
Schleife Verlag, Winterthur, 2002.
Auszüge mit freundlicher Genehmigung.