Die Schweizer Reformierten Ende 2013

Wie gehen die reformierten Kirchen miteinander weiter? Der Rat des Kirchenbundes SEK kam mit seinem Entwurf für eine neue Verfassung vielerorts nicht gut an. An manchen Herbst-Synoden der Kantonalkirchen war der Spardruck zu spüren. In Vorstössen kam zum Ausdruck, wo der Schuh drückt. Da und dort ging es explizit um die Zukunft der Kirche. Ob die Reformierten die „"Zukunft in die Hand nehmen“" können, wie die Medienmitteilung von der Berner Synode es will? -– Eine Rückblende mit neun kantonalen Streiflichtern.

CH: Verfassungsrevision
BE: Weniger Pfarrstellen, Zukunftsvisionen, Sonderkurs, Gemeinschaften
AG: Palliative Care, Unterricht
BS: Drittmittel
VD: Feiern für Homo-Paare
FR: Zwei Budgetdebatten
GL: Runder Tisch
SG: Präsident verabschiedet
TG: Religionsunterricht
ZH: Syriens Christen, Spardruck, Fusionen.

Der Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds will im Zuge der laufenden Verfassungsrevision die Gemeinschaft der 26 Mitgliedkirchen stärken, damit die Reformierten in der nationalen Öffentlichkeit glaubwürdiger auftreten können. Der Entwurf mit den Vorschlägen, die Gemeinschaft neu "„Evangelische Kirche in der Schweiz" zu nennen, ihr zusätzlich zur bisherigen Vereinsstruktur auch eine kirchenrechtliche Grundlage zu geben und eine nationale Synode zu schaffen, stiess in der Konsultation weitherum auf Ablehnung.

Nacheinander machten die Aargauer, die Berner und die Zürcher Kirchenleitung vor der Herbstversammlung des SEK ihr Nein öffentlich. Später sagte Kirchenratspräsident Michel Müller vor der Zürcher Kirchensynode, das schweizerische reformierte Kirchenverständnis sehe keine Bundesebene vor. Der SEK sei daher ähnlich wie ein Staatenbund, nicht wie ein Bundesstaat auszugestalten. Eine landesweite Synode mache Sinn; sie dürfe aber die kantonalen Synoden nicht überstimmen können.

Die Stellungnahmen werden nun vom SEK ausgewertet; im Juni 2014 werden die Abgeordneten der Mitgliedkirchen über Grundfragen diskutieren. Das Landeskirchen-Forum hat sich in seiner Stellung für die Stärkung der evangelischen Einheit im Land ausgesprochen und das Vorhaben des SEK-Rats unterstützt, auch Kommunitäten als Mitglieder aufzunehmen.

BE: Staat streicht Pfarrstellen
Die grösste Kirche im SEK muss erneut schmerzhafte Abstriche am Pfarrstellen-Etat hinnehmen. Zwar unterstrichen der für die Kirchen zuständige Regierungsrat Christoph Neuhaus und Synodalratspräsident Andreas Zeller vor der Synode am 3. Dezember unisono die gute Partnerschaft von Staat und Kirche. Doch beabsichtigt der Kanton schon 2014 bei den Pfarrerlöhnen 2 Millionen Franken zu sparen – Teil des Sparpakets des Grossen Rates. Bis 2017 werden es 5 Millionen Franken sein. Umverteilungen und Kürzungen werde es geben, sagte Neuhaus und sicherte "„vernünftige"“ Übergangsfristen zu. In den letzten zwölf Jahren seien die kantonalen Aufwendungen für die Kirchen 4 Prozent gestiegen, insgesamt aber 45 Prozent. Der Kanton ist mit 6 Milliarden Franken verschuldet. Die Kirche rief Neuhaus auf, ihr Wirken öffentlich besser darzulegen. Ihr Status werde auch im Regierungsrat in Frage gestellt.

Die Landeskirche sei ein verlässlicher Partner für den Staat, betonte Andreas Zeller; für die Gesellschaft erbringe sie beachtliche Leistungen. Der Synodalrat wolle den Sparauftrag so umsetzen, dass die Kirche ihre Aufgabe für die Menschen weiterhin erfüllen könne. Sie dürfe sich nicht zurücklehnen, sondern müsse sich bewegen. Man denke daran, kleine Gemeinden in grösseren Räumen zusammenzufassen.

Systemwechsel?
Der Grosse Rat hatte Ende November eine Motion beraten, welche forderte, die aufgrund der Enteignung von Kirchenbesitz seit 1804 ausgerichtete Pfarrbesoldung zu stoppen und nur noch Leistungen abzugelten, "„welche die Pfarrpersonen zu Gunsten der Allgemeinheit erbringen"“. Eine der Motionärinnen forderte zudem, das Mindestpensum für Pfarrer von Kleinstgemeinden (18 haben weniger als 700 Mitglieder) von 60 auf 20 Prozent zu senken. Statt mit 700 sollte eine Kirchgemeinde erst mit 1350 Mitgliedern eine 80-Prozent-Stelle haben; so könnten 50 Pfarrstellen eingespart werden. Die Vorstösse wurden abgelehnt.

"„Vision mit Leitzielen"
Für die Zukunft der Kirche mag sich ein anderes Geschäft stärker auswirken: Der Gesprächssynode im Mai 2013 hatte der St. Galler Kirchenratspräsident Dölf Weder dargelegt, wie die Kirche «nahe bei Gott -– nahe bei den Menschen» sein kann. Eine dadurch angeregte Motion "„Kirche 21 -– gemeinsam Zukunft gestalten"“ zielt darauf, dass Synodalrat und Synode in einem Prozess mit der Basis „"eine Vision mit Leitzielen für den Dienst in Kirchgemeinden und Gesamtkirche“" erarbeitet. Simon Zwygart, einer der Motionäre, bezeichnete den Prozess als Chance, ein Zeichen für die Zukunft der Kirche zu setzen; die Gesellschaft wandle sich rasch. Synodalratspräsident Andreas Zeller sagte, er freue sich über den "„Aufbruchwillen"“; man wolle Inhalte vor Strukturen und den Glauben vor die Finanzen stellen.

Sonderkurs gegen den Pfarrmangel
Für Akademiker, die am Pfarramt Interesse zeigen, werden die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn einen Masterkurs Theologie (M.Th.) durchführen. Mit einem Kurs für etwa 20 Personen soll dem Pfarrermangel vorgebeugt werden, der infolge weniger Studierender und Zuzüger aus Deutschland und über 100 Pensionierungen bis 2020 absehbar ist. Das Konzept des Synodalrats wurde genehmigt; die Durchführung ist für 2015-2018 geplant. Der Grossteil der 3 Millionen Franken, die dem Hilfsfonds entnommen werden, soll für Stipendien fliessen. (Die Frage, ob alternative Ausbildungsgänge zum Pfarramt geschaffen werden sollen, wurde im Herbst in reformierten Medien diskutiert.)

Miteinander glaubwürdiger
Synodalrat Lucien Boder orientierte über die Gemeinsame Erklärung der Landeskirche und ihrer evangelischen Gemeinschaften (EGW, Vineyard, Jahu, Neues Land, J-Point). Die Erklärung war in einem feierlichen Gottesdienst am 17. November unterzeichnet worden.

Für die Beziehung und Unterstützung von Migrationskirchen sprach die Synode einen Kredit von 30'000 Franken pro Jahr bis 2018. Laut Medienmitteilung „würdigte sie damit auch den Wert dieser meist jungen, charismatischen und theologisch oft konservativen Gemeinden bei der Integration ihrer Mitglieder in der Gesellschaft“. Die Synode nahm weiter den Schlussbericht zum Verkauf von Gwatt zur Kenntnis. Nachdem 2008 ein erster Teil des Zentrums für Erwachsenenbildung am Thunersee verkauft worden war, konnte der restliche Teil nun für 1,35 Mio. Franken an denselben Käufer veräussert werden.

AG: Nicht mehr verbindlicher Unterricht
Die Aargauer Landeskirche hat mit ihrem Engagement für Palliative Care weitherum Beachtung gefunden. In der dreijährigen Pilotphase des Projekts «Palliative Care, Bildung und Begleitung» wurden 204 Personen ausgebildet, 144 Freiwillige und 60 Fachpersonen aus Pflege, Medizin, Seelsorge und Beratung. 102 Freiwillige sind zurzeit aktiv im Begleitdienst und haben 2011 und 2012 in insgesamt 7000 Stunden 546 schwer kranke und sterbende Menschen begleitet. Das Projekt wird drei weitere Jahre in Eigenregie weitergeführt (der Kirchenrat hat keine Partner gefunden) und mit jährlich 120'000 Franken finanziert. Dies beschloss die Synode am 6. November.

Kontrovers diskutierten die Synodalen eine Motion zur «Stärkung des Pädagogischen Handelns in der Kirche». Danach fördern die weitgehend freiwilligen Unterrichtsangebote «die Tendenz zur sozialen Irrelevanz der reformierten Kirche». Der Sprecher der fünf Motionäre forderte, den Auftrag der Verkündigung des Evangeliums für junge Menschen entschlossener wahrzunehmen. Neben dem Unterricht für 14-16-Jährige, der gezielt auf die Konfirmation vorbereitet, müsse auch das Angebot für 11-14-Jährige verbindlich werden. Die zuständige Kirchenrätin Regula Wegmann lehnte die Motion ab, da es auch um den Aufbau guter Beziehungen mit den Jugendlichen gehe. Die Freiwilligkeit biete die Chance, «auch im Teenageralter noch junge Menschen zu gewinnen, die vorher durch die Maschen des kirchlichen Angebotsnetzes gefallen sind. Diese Chance zählt mehr als ein Aufrechnen von absolvierten Pflichtstunden und verbindlichem Unterrichtsstoff.»

Laut einem Synodalen haben Jugendliche, die vor 14 nicht dabei waren, grosse Lücken. Ein anderer entgegnete, das Pädagogische Handeln (PH) dürfe nicht als Instrument zur Rettung der Kirche missbraucht werden. Die Motion wurde von ihren Initianten in ein unverbindliches Postulat umgewandelt und dieses mit 81 gegen 54 Stimmen überwiesen. Der Kirchenrat wird an «verbindlichen Lehrplänen für alle PH-Teile» und Qualitätskriterien für die Katechetinnen arbeiten, doch das Reglement nicht total zu revidieren haben. Der Finanzplan der Landeskirche zeigt, dass die Kirchgemeinden der Landeskirche ab 2015 für eine ausgeglichene Rechnung bei gleichem Aufwand mehr abgeben müssen.
Ausführlicher Bericht

BS: Finanzen auf neuen Wegen beschaffen
Die Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt genehmigte am 27. November das Budget 2014 mit einem Defizit von 341‘657 Franken diskussionslos und einstimmig. Der Fehlbetrag (1,27 Prozent des Aufwands) entspricht der längerfristigen Planung der Kirchenleitung. Sie bezog zudem Stellung zur Drittfinanzierung von kirchlichen Dienstleistungen, welche eine Synodekommission vorgeschlagen hatte. Steuern erhält die Basler Kirche immer weniger; die Gemeindearbeit soll 2015 bereits zu 20% aus Drittmitteln finanziert werden. Der Kirchenrat hat dazu einen Bericht erstellt, in dem er Regeln für die Drittmittelbeschaffung nennt. Die Synode überwies zudem einen Vorstoss für längere Öffnungszeiten der Kirchen.

VD: Feiern für homosexuelle Paare
Die Waadtländer Kirche führt Feiern für homosexuelle Paare ein. Nach dem Grundsatzbeschluss im November 2012 billigte die Synode im September Vorschläge des Synodalrats und bestimmte am 9. November die Einzelheiten. Die Kirchenordnung hält neu fest, dass eingetragene gleichgeschlechtliche Paare ihre Beziehung liturgisch feiern können, mit Bibellese, Predigt und Gebet.

Der Pfarrer/die Pfarrerin hat darüber zu wachen, dass der Unterschied zur Trauung nicht verwischt wird. Aus Gewissensgründen und wenn der örtliche Kirchgemeinderat zustimmt, kann eine Pfarrperson die Durchführung einer solchen Feier verweigern. Der Synodalrat und die Synode gingen mit ihren Beschlüssen über schwere Bedenken und den Protest, den gegen 3000 Mitglieder in einer Petition äusserten, hinweg.

FR: Budget im zweiten Anlauf
Die Synode der Freiburger Reformierten lehnte das Budget an ihrer ordentlichen Sitzung am 11. November ab. Nachdem sie länger über den Antrag auf eine befristete Sachbearbeiterstelle diskutiert hatte –- der Kirchenrat machte Mehraufwand bei der Teilrevision der Kirchenverfassung und der Datenübermittlung an die Kirchgemeinden geltend -, wies sie das Zwei-Millionen-Budget in der Schlussabstimmung zurück. Der ausserordentlichen Synode vom 16. Dezember legte der Synodalrat ein überarbeitetes, um 66'‘000 Franken gekürztes Budget vor. Es wurde diskussionslos genehmigt. Viel zu reden gaben der vorgeschlagene Beitragssatz der Kirchgemeinden und die Schwerpunkte des Synodalrats für die nächsten Jahre.

GL: Warten auf Reformvorschläge
Die Herbst-Synode der Reformierten Landeskirche Glarus hat das weitere Vorgehen des «Runden Tisches» genehmigt. Dieser überdenkt parallel zum Projekt Generationenkirche die finanzielle und strukturelle Zukunft der Landeskirche. Dies geschehe «ohne Wenn und Aber», sagte der Berater Paul Baumann von der St. Galler Kirche. Der Schlussbericht soll mit Anträgen der Frühlings-Synode 2014 vorgelegt werden. (Die politischen Gemeinden des Kantons haben zu dreien fusioniert.) Ein einfacherer, an Thurgauer Regelungen angelehnter Finanzausgleich wurde gutgeheissen. Er zielt darauf ab, "„dass alle Kirchgemeinden innerhalb einer zu definierenden Bandbreite dieselben finanziellen Mittel pro Gemeindemitglied zur Verfügung haben"“.

Genauer Beobachter und visionärer Gestalter: Mit dem St. Galler Dölf Weder tritt eine markante Persönlichkeit des Schweizer Protestantismus zurück.

SG: Wechsel im Präsidium
Kirchenratspräsident Dölf Weder (oben) wurde in der Synode mit einer Standing Ovation verabschiedet. Er gibt Ende Februar 2014 nach 14 Jahren den Vorsitz in der Kirchenleitung ab. An seine Stelle tritt Pfarrer Martin Schmidt, Dozent für Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen. Den frei werdenden Sitz im Kirchenrat gewann die 37-jährige Pfarrerin der ländlichen Kleingemeinde Hemberg Barbara Damaschke-Bösch.

TG: Qualität des Religionsunterrichts sichern
Die Thurgauer Landeskirche schafft eine halbe Stelle für Fachaufsicht und -beratung im Religionsunterricht. Dies beschloss die Synode am 24. November. Mit insgesamt 210 Stellenprozenten kann die Kirche die Kirchgemeinden besser unterstützen: Die rund 200 Fachlehrpersonen vor Ort sollen im Zweijahresrhythmus besucht werden. Der Kirchenrat erhofft sich Hinweise für die Planung von Weiterbildungsangeboten und zur Weiterentwicklung des kirchlichen Religionsunterrichts an den Schulen. Die Synode schloss die erste Lesung der neuen Kirchenordnung ab. Neu ist darin auch festgehalten, dass die Landeskirche Innovationsbemühungen fördert.

ZH: Endzeit für Syriens Christen
Die Zürcher Kirchensynode hörte am 26. November einen Bericht von der furchtbaren Bedrängnis der Christen in Syrien, die der Gewalt vielerorts schutzlos ausgeliefert sind und wenige Zufluchtsorte haben. „"Es kann sein, dass es in einigen Jahren in Syrien keine Christen mehr gibt"“, sagte der deutsche evangelische Orientexperte Wolfgang Schwaigert. In zwei Diözesen sind alle Kirchen zerstört worden.

Neue Gemeindeformen, in England „"fresh expressions of Church"“, sollen hierzulande weiter gefördert werden. In der Antwort auf eine Interpellation hielt der Kirchenrat fest, es sei "„sinnvoll über Gestalten von Kirche nachzudenken, die Menschen ohne jeglichen Bezug zu Kirche in Berührung bringen mit dem Evangelium“".

Die Landeskirche erhält aufgrund ihres Mitgliederrückgangs vom Kanton 2014 einen um 600‘'000 Franken verminderten Beitrag. Den Verantwortlichen wurde dies erst nach Erstellung des Budgets mitgeteilt. Es sieht einen Gesamtaufwand auf Rekordhöhe von 107 Mio. Franken vor (inkl. Pfarrlöhne). Der Kirchenrat sucht zu sparen; das BVK-Debakel machte ihm vorerst einen Strich durch die Rechnung. 2014 steht die Volksabstimmung zur Abschaffung der Kirchensteuer juristischer Personen an.

Die Kirchenpflegen im Kanton sollen im Rahmen des Projekts KirchGemeindePlus Fusionen mit Nachbargemeinden erwägen. Der Zusammenschluss zweier kleiner Weinländer Gemeinden hat für den Kirchenrat Modellcharakter, wie Präsident Michel Müller sagte: "„Wir lernen, wie es gehen kann, wenn man will".“