Das Wort, das Heil bringt

Welche Verkündigung tut Not? Das Netzwerk Bibel und Bekenntnis Schweiz suchte an seiner Frühjahrstagung in Winterthur die Antwort in der Spannung zwischen Guter Nachricht und unbequemer Botschaft. Die Vorträge kreisten um das Potenzial der biblischen Verkündigung und des Gottesdienstes. «Wir alle stehen in der Gefahr, uns unseren eigenen ‹Jesus› zu basteln», betonte der Neutestamentler Christian Stettler.

Die Kirche hat an den ganzen Christus zu glauben und ihn unverkürzt zu verkündigen. An der Tagung am 18. März in Winterthur-Seen ging Christian Stettler, Professor an der STH Basel und Privatdozent an der Uni Zürich, auf die verbreitete Geringschätzung von Lehre ein.

Sie habe zu tun mit der Meinung, dass die Gemeinschaft der Glaubenden nicht auf Dogmen beruhe: «Immer wieder hören wir, dass sich die Einheit unter uns Christen nicht festmachen soll an bestimmten Lehren oder ethisch-moralischen Vorstellungen, sondern allein an der Person von Jesus Christus. Das, was uns verbindet, sagt man, sei nicht die christliche Lehre, sondern eben die Person Jesus.»

Ohne Lehre kein Glaube
Doch es geht gar nicht ohne Lehre, wie Stettler feststellte. «Wenn die Wahrheit eine Person ist (Johannes 14,6!), dann kommt alles darauf an, dass ich diese Person kenne.» Jede Beziehung setzt Wissen und Austausch voraus. Jesus von Nazareth «hat ganz Bestimmtes getan und gelehrt, als er als Mensch auf der Erde wirkte». Seine Jünger habe er systematisch belehrt und ihnen seine wichtigsten Kernsätze beigebracht.

«Wir können Jesus nicht kennen ohne die Lehre über ihn, die uns die Apostel im Neuen Testament niedergelegt haben.» Dabei ist Jesus nicht in Lehrsätzen ganz zu fassen, nicht in eine Schachtel zu stecken, betonte Stettler. Doch wer meine, Lehre sei nicht wichtig, halte Gott für unfähig, sich den Menschen wahrhaft mitzuteilen.

Der Neutestamentler ging einen Schritt weiter: «Auch wenn ich die Beziehung mit Jesus in den Vordergrund stelle, gegen die Lehre über ihn, komme ich nicht ohne Lehre über Jesus aus.» Alle Christen, die diese Sicht verträten, hätten nämlich ein ganz bestimmtes Bild von Jesus. Da werde manches ausgeblendet und verschwiegen.

Ein Jesus ohne Dogmen? Christian Stettler.

Zurechtgestutzt
So werde von Vertretern der genannten Sicht, die oft dem postevangelikalen Lager zugehören und etwa bei RefLab und Worthaus aktiv sind, nur die barmherzige und liebevolle Seite von Jesus festgehalten. Sogenannt «gewalttätige» Seiten von Jesus würden ihm abgesprochen. Er könne nicht der Richter sein, weil sich das mit seinem Machtverzicht in der Hingabe bis zum Tod am Kreuz nicht vertrage. Doch, so Stettler mahnend, «wir alle stehen in der Gefahr, uns unseren eigenen ‹Jesus› zu basteln.»

Dies geschieht oft unbewusst. Was ist zu tun? Der Gelehrte wandte sich gegen die Rede von verschiedenen Gottesbildern, welche Einzelnen zugestanden werden. «Gottesbilder sind selbstgemachte, falsche Götter! Es gibt nur ein wahres Gottesbild, und das ist Jesus» (Kolosser 1,15; Johannes 14,8-9; 1. Korinther 2,2).

Irreführende Jesus-Bilder
Doch welcher Jesus ist der wirkliche Jesus? Christian Stettler nannte diverse gängige Jesus-Bilder: der ethische Lehrer, das Vorbild, der vollkommene Mensch, der Therapeut, «mein» Jesus, der zu mir ganz individuell spricht, der Heiler, der Erlöser, der erhöhte Herr und Richter, der schwache Gott, der Rebell, die Kraftquelle … Und er betonte: «Gerade weil er die Wahrheit in Person ist, können wir ihn uns nicht selbst zurechtmachen. Jesus existiert als der, der er ist, ganz unabhängig von unseren Vorstellungen über ihn. Er hat im 1. Jahrhundert als Mensch in Israel gelebt und gewirkt und gelehrt, und er ist heute als der Auferstandene derselbe.»

Die Auferstehung Christi. Bild von Dieric Bouts d.Ä, um 1480

Jesus und der Reichtum des Alten Testaments
Gegen Einseitigkeit und Ausblenden setzte der Referent das Sowohl-Als auch: Jesus ist der Helfer und Therapeut, doch er weist auch an, nicht mehr zu sündigen. Er ist der Lehrer des guten Lebens – und der Erlöser. Er ist der wahre Mensch – und zugleich das ewige Wort Gottes. Jesus heilt – doch manche bleiben krank. Stettler hielt zudem fest, dass Jesus das ganze Alte Testament als Heilige Schrift hochhielt. «Der ganze Reichtum des Alten Testaments mündet in Jesus und wird wieder entfaltet im Neuen Testament!»

Wahres, nicht umfassendes Wissen
Für die Verkündigung formulierte Stettler, dass die Texte ausserhalb der Evangelien von Jesus her zu verstehen und auszulegen sind, im Zusammenhang der gesamten biblischen Offenbarung. «Was relevant und was hilfreich ist, definiert das Evangelium, nicht unsere Hörerschaft.» Im Zentrum muss der Jesus der Evangelien stehen, kein reduzierter, gestutzter Jesus. Stettler führte die Unterscheidung von Cornelius van Til an: Wahres Verständnis können wir erlangen, umfassendes nie. Es geht jedoch um mehr als Wissen – wie einst Bischof Richard von Chichester betete: «To know you more clearly, to love you more dearly, to follow you more nearly.»

Richter am Jüngsten Tag: Christus-Mosaik im Baptisterium San Giovanni, Florenz, 13. Jahrhundert

Die Worte Gottes hören

Zu Beginn der Tagung hatten die 60 Teilnehmenden einen Abendmahlsgottesdienst gefeiert. In ihm predigte Willi Honegger, Pfarrer in Bauma, über die scharfen Worte Jesu in Johannes 8,37-47, mit dem leuchtenden Schlusssatz: «Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes.»

Jesu Jerusalemer Gesprächspartner beriefen sich auf Abraham; er bestritt dies. Auch heute gebe es einen «heftigen Erbstreit», sagte Honegger: Der Zeitgeist wolle die christliche Tradition beerben, auf säkulare Weise. Dabei halte das Sehnen nach einer ganzen Gerechtigkeit an, doch statt Gott sei nun der Staat dafür verantwortlich. Das Bedürfnis nach Vergebung zeige sich in «Wiedergutmachung und CO2-Zertifikaten». Der Wandel sei von allergrösstem Ausmass: Was einst religiös bewältigt wurde, werde jetzt mit weltlichen Mitteln angegangen.

Erbstreit: Willi Honegger.

Gegen die Macht des Bösen
In dieser Situation wirkt, so Honegger, das Wort Jesu entlarvend (wie Mose gegen das Goldene Kalb). Jesus legt das Böse offen und geht gegen seine Macht an. «Nur wer die Wahrheit über den Menschen ausspricht, kann vollmächtig die Grösse der Gnade Gottes verkündigen!» Das Wort Jesu wirkt erschütternd, die Machenschaften des Bösen offenlegend, welche heute naiv übersehen und verniedlicht würden. «Einzig das Wort Gottes, die Heilige Schrift, offenbart uns, wer der Mensch ist, und entlarvt die Macht des Bösen.»

Jesus biete weder Optimierung noch Coaching, sondern Rettung, fuhr der Baumer Pfarrer fort. Verkündiger hätten darum zu ringen, dass Jesu Stimme gehört wird – nicht um den Erhalt kirchlicher Strukturen. «Die Verkündigung der christlichen Gemeinde muss von der Heiligen Schrift durchtränkt sein.» Die biblische Gesamtsicht der Wirklichkeit sei dem säkularen Weltbild gegenüberzustellen, sagte Willi Honegger und forderte einen entschlossenen «apostolischen Zeugendienst».

Der Berufung treu bleiben
Der Zürcher Oberländer Unternehmer Ruedi Hertig, der jahrzehntelang in der Methodistenkirche aktiv war, bot in seinem Vortrag eine Hörerperspektive. Er ermutigte die Verkündiger, angesichts des kirchlichen Niedergangs ihrer ursprünglichen Berufung treu zu bleiben: «Seid anders, seid mutig!» Mit kräftigen Strichen skizzierte Hertig den aktuellen kirchlichen Niedergang: Manche Gemeinden befänden sich in einer Abwärtsspirale hin zur Auflösung; diese sei auch durch vehement vertretene soziale und öko-Anliegen nicht zu bremsen. Ihre Vertreter, die die Kirche aus der «Totenstarre» erwecken wollten, scheiterten kläglich. Da komme ihm der Bauer in den Sinn, der die letzte Kuh verkaufe, um die bestellte Melkmaschine zu bezahlen ...

Lehre und Ratschläge: Ruedi Hertig

Gute Lehre, klare Ratschläge
Einige Freikirchen sind laut Ruedi Hertig grossartig unterwegs. In anderen sieht er die Pastoren unter grossem Erfolgsdruck. Manche böten dabei ein «abgeschwächtes Wohlstandsevangelium». Vieles habe man in den letzten Jahrzehnten versucht, um Gemeinde attraktiv und relevant zu machen – er nannte 30 Punkte! Insgesamt sei die biblische Lehre vernachlässigt worden. Man wolle Lebenshilfe anbieten, ohne gesetzlich zu wirken, und keine einschränkenden Ratschläge erteilen. Der Unternehmer machte jenen Mut, die in durchschnittlichen, gewöhnlichen Gemeinden tätig sind. (Diese seien auch in den USA «das Rückgrat der Nation».) Und er rief dazu auf, gute Lehre mit klaren Ratschlägen zu verbinden.

«Wir sind nicht unter uns»
Nach der Mittagspause profilierte Jürg Buchegger, pensionierter Frauenfelder Pfarrer, den evangelischen Gottesdienst gegenüber Events. «Wir feiern Gottesdienst unter dem offenen Himmel, wo der ewige Gottesdienst gefeiert wird.» Der Grund fürs Feiern seit Pfingsten ist Gottes Handeln in Jesus Christus zu unserem Heil. Mit Bemerkungen zu Hebräer 12,18-25 kritisierte Buchegger, dass Performance und Inszenierung priorisiert werden.

Magnolien blühen im Winter.

Im Gottesdienst strecken sich die Gläubigen aus nach der Wiederkunft des Herrn – er ist «keine triumphalistische Darstellung des frommen und vollendeten Menschen». Christen müssten immer wieder an das Ziel ihres Laufs erinnert werden, «denn wir puppen uns nur allzu schnell ein in unseren Wohlstandskokon».

Glauben durch Verkündigung
Im Gottesdienst wird Gottes Wort verkündigt. Jesus Christus, der Auferstandene, schenkt sich im Wort und im Abendmahl. Gott wirkt Glauben durch Verkündigung, hob Buchegger hervor – das Wort «wird von aussen an uns herangetragen; wir tragen es nicht schon immer in uns». Dabei müsse der Gottesdienst keineswegs eine Soloveranstaltung des Pfarrers mit alten Liedern sein. Der Versuchung zur Eitelkeit sollten Pfarrer und Kirchenmusiker nicht nachgeben. Denn der Gottesdienst ist Begegnung mit dem heiligen Gott.

Gottesdienst feiern! Jürg Buchegger.

«Wir alle brauchen die Erinnerung an Gottes Zusagen und seine Gebote für unser Leben», sagte Jürg Buchegger. «Moden und Zeitgeschmack gehen, aber das Wort Gottes bleibt.» Menschen stünden in der Woche unter einem Strudel von Eindrücken; sie suchten Formen, um sich einzufinden, und kräftige Kost, gesunde Unterweisung.

Zum Trend, Anbetungslieder zu singen, meinte der Pfarrer, Worship diene nicht zum Aufladen der emotionalen Batterien, sondern werde Gott zur Ehre dargebracht. «Die Gemeinde stimmt ein in den aussermenschlichen Lobgesang. Sie ist schon der Mund des Lobpreises, den einmal die ganze Schöpfung Gott darbringen wird.»

Auf der Website des Netzwerks werden die Videos der Vorträge aufgeschaltet.