Erneuerung für Kirchen – miteinander
Von den Glaubenszweifeln moderner Menschen zu ökumenischen Perspektiven der Kirchen: Die Studientage 2018 des Studienzentrums Glaube und Gesellschaft spannten weite Bögen auf. Die Tage «In Christus – Gemeinsam zur Mitte» unter dem Patronat von Kirchenbund und Bischofskonferenz rundete ein ökumenischer Gottesdienst ab. An den Nachmittagen wurden zahlreiche Themen konfessionsübergreifend bearbeitet. Alister McGrath, Professor in Oxford, legte dar, wie der Glaube an Christus in der Postmoderne ausgedrückt und verantwortet werden kann. Gottfried Locher plädierte dafür, «Dominus Iesus» neu zu lesen, um in der grosskirchlichen Ökumene weitere Schritte zu tun.
Zusammenfassung der Vorträge
Alister McGrath: Apologetik – wozu, wie und für wen?
Gottfried Locher: Eins in Christus – Skizzen einer versöhnlichen Ekklesiologie
Abt Urban Federer: «Mitarbeiter in Christus»
Sabine Brändlin: Aufbrüche bei den Schweizer Reformierten
Christian Hennecke: Das Abenteuer der Erneuerung
Graham Tomlin: Christus, der wahre Priester
Wer das Evangelium verständlich machen will, hat auf die Fragen und Vorurteile seines Gegenübers einzugehen. Apologetik heisst Antwort zu geben auf die Fragen, die in der Gesellschaft an den christlichen Glauben gestellt werden (1. Petrus 3,15). Sie nimmt Vorbehalte und Stimmungen, Missverständnisse und Denkweisen der Menschen, die dem Mitteilen des Evangeliums im Wege stehen, ernst. Alister McGrath, Theologieprofessor in Oxford, legte dies im Kolloquium, mit dem die Studientage an der Uni Fribourg begannen, aus reicher britischer Erfahrung engagiert dar.
Geschichten erzählen
McGrath ging kurz auf den neuen Atheismus ein, der Religion als irrational abtut und wegen der Neigung zu Manipulation, Zwang und Gewalt als gefährlich hinstellt. Die Wissenschaften werden gegen Glaubensvorstellungen ins Feld geführt. Neben sorgfältiger Argumentation – ernsthafte Rückfragen stellen, Zweifel anmelden, Dinge klarstellen – sind laut McGrath Geschichten wichtig: Christen können persönliche Erfahrungen erzählen. «Oft brauchen Leute keine kugelsicheren Antworten – deine Antworten sind genug.»
Eine zweite Hauptaufgabe des Apologeten sieht der Professor aus Oxford darin, das Einladende und Faszinierende des Christentums, der Botschaft, seiner Grundwerte und Lebensformen zu erläutern. Er selbst sei in der Jugend Atheist gewesen und Christ geworden, weil die Welt als ganze so Sinn machte. Wie sonst ist das Gute, Schöne und Wahre zu begründen? «Wir haben zu erklären, was uns im christlichen Glauben zufrieden stellt und motiviert.» Menschen wollten wissen, was eine Wahrheit für sie bedeutet, welche Richtung der Glaube ihrem Leben geben kann.
Übersetzen
Drittens gehe es in der Apologetik darum, die christliche Botschaft in die Alltagssprache zu übersetzen. Denn ihre grossen Worte (Hoffnung, Glaube) würden missverstanden. Darum müssten die aktuellen Sprachformen gelernt werden.
Wen muss die Apologetik im Blick haben? Laut Alister McGrath nicht nur Leute ausserhalb der Kirche (von denen manche noch etwas vom Glauben erwarten), sondern auch Fragende in der Kirche. McGrath hat auf Dawkins‘ Attacke («Der Gotteswahn») mit einem Buch direkt geantwortet, um erschütterten Gläubigen Halt zu geben und der Entwurzelung zu begegnen («The Dawkins Delusion?», 2007).
Die Farben des Prismas
Der renommierte Theologe betonte, dass das Christentum rational ist – aber nicht rationalistisch. Argumente für die Existenz Gottes sind gut – aber dabei geht es auch um das tiefste Sehnen von Menschen, das gestillt werden will. Vernunft, Gefühl und Phantasie sollen miteinander ins Spiel kommen. So ist Apologetik gehaltvolle, klare, auf existentielle Fragen bezogene Theologie. Wie ein Prisma die Farben im Licht sichtbar macht, weist sie die verschiedenen Aspekte des Kreuzestodes von Jesus auf: Sieg über Tod und Sünde, Vergebung, Heilung, Erweis von Gottes Liebe. Jede dieser Bedeutungen werde bestimmte Menschen besonders ansprechen, sagte McGrath in Fribourg.
Der Traum von der Einheit der Kirche
«Der Traum von der Einheit ist so alt wie die uneine Kirche.» Der SEK-Ratspräsident Gottfried Locher nahm in seinem Vortrag Fäden auf, die er schon als Ökumene-Beauftragter des Kirchenbunds in den Händen hielt. In einer bemerkenswerten relecture des vatikanischen Dekrets «Dominus Iesus», das im Millenniumsjahr 2000 rundum irritierte, schlug Locher vor, in der Spur seines Autors, Kardinal Josef Ratzinger, die gemeinsame Verantwortung für die eine Kirche nüchtern und glaubensvoll ernstzunehmen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hielt 1964 fest, dass die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche «in der katholischen Kirche verwirklicht ist … Das schliesst nicht aus, dass ausserhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligkeit und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen» (Lumen Gentium 8).
«Schwarzbrot-Ökumene» …
In der Diskussion um diese Aussagen habe Ratzinger mit falschen Optimismen aufgeräumt, sagte Locher. Er habe den römischen Anspruch neu formuliert – dies «vor dem Hintergrund der konziliaren Anerkennung, dass sich Kirche auch ausserhalb der katholischen Kirche ereignet».
Zum einen habe Ratzinger betont, wenn Kirche Leib Christi sei, dann müsse diese Kirche leiblich, körperlich, sichtbar, greifbar, sinnlich wahrnehmbar wie jeder Leib sein. Zweitens könne es logisch, als Leib des einen Christus, nur eine Kirche geben. Drittens halte das Konzil fest, dass auch die Kirchen der Reformation Wahrheit kommunizieren und zur Heiligkeit der Welt beitragen.
Lochers Einschätzung: «‹Dominus Iesus› widerspricht einerseits der Neigung katholischer Ökumeniker, die Singularität der Kirche ökumenisch aufzuweichen, und widerspricht gleichzeitig der Neigung der protestantischen Ökumeniker, die Sichtbarkeit der Kirche pneumatologisch so zu definieren, dass die konkrete, leibliche Gestalt gegenüber einer idealtypischen ecclesica invisibilis sekundär zu werden droht.» So habe Ratzinger die Substanz der Konzilsaussagen bewahrt, als Vertreter einer «realistischen Schwarzbrot-Ökumene, die allen Beteiligten einiges zum Kauen zumutet».
… besser als Vogel-Strauss-Politik
Wie sollen nun jene weitergehen, die sich nach umfassender Gemeinschaft sehnen? In der weiten Runde der Aula in Fribourg bezeichnete es Locher als das Problem der Ökumeniker, «dass wir so tun, als liesse sich die Grunddifferenz im Kirchenverständnis überwinden, indem wir sie ignorieren». Der SEK-Ratpräsident riet, neu fröhlich – theologisch – darüber zu streiten, «was es braucht, um glaubwürdig Kirche zu sein». Der Genfer Weltkirchenrat könne dafür nicht mehr als Motor dienen.
Gottfried Locher skizzierte den katholischen und den reformierten Pol des Kirchenverständnisses. «Ob wir das Haupt oder den Leib der Kirche betonen – es sind und bleiben zwei Perspektiven, irgendwie unversöhnt, theoretisch und praktisch hier in der Schweizer Kirchenlandschaft.» Ratzinger habe aber im Eingang zum Dekret vom Auftrag geschrieben, den Jesus vor der Himmelfahrt den Jüngern gab. Hier sei neu anzusetzen: «Sprechen wir vom gemeinsamen Auftrag der Kirche – davon, wozu wir in diese Welt gesandt sind.»
Vom Auftrag ausgehen
Locher richtete in der Folge Anfragen an «Bruder Benedikt», namentlich diese: «Müssten wir denn nicht doch miteinander Kirche sein, um überhaupt Kirche sein zu können?» Die von den Reformatoren ins Zentrum gestellte «unsichtbare Kirche» kommentierte der SEK-Ratspräsident kritisch. «Denn Leiblichkeit ist unverzichtbar für die Auftragserfüllung.» Die Kriterien für die Vielfalt in der Kirche müssten sich an ihrer grundlegenden Einheit orientieren. Man könne nicht «die Kirche im Singular für den Glauben und die Kirche im Plural für das Leben reservieren».
In Bemerkungen zu den vier Merkmalen der Kirche (eine, heilig, katholisch = aufs Ganze hin ausgerichtet, apostolisch) erinnerte Locher die reformierten Theologen an ihre Ordination zu verbi divini ministri. «Kirche ist ganz und gar ein ganz fremdbestimmtes Leben», Christus der Auftraggeber.
Zum Schluss verwies Gottfried Locher auf den Papstbesuch am Vortag in Genf. Papst Franziskus habe vor dem ÖRK betont, Ökumene sei primär Mission. Den Weg zur Mitte gemeinsam zu begehen, bedeute Streit darüber, was die Verkündigung des Evangeliums beinhalte. «Nur so aber kommen wir überhaupt in eine Nähe, wo wir sagen können: Wir sind eins in Christus, wir sind gemeinsam unterwegs zur Mitte – und wo wir sagen können: Wir sind gemeinsam auf dem Weg heim zu Gott.»
SEK wird EKS: Vom Kirchenbund zur Kirchengemeinschaft
Sabine Brändlin vom Rat SEK stellte dar, wie der Kirchenbund in der Transformation zur Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS Aufbrüche fördern will. In der reformierten Kirche sei «alles zu haben, was das Herz begehrt». Doch könne sich in der Vielfalt auch das Bild einer Kirche zeigen, «die ihren Kompass verloren hat und die nicht mehr klar vor Augen hat, wohin die kirchliche Reise gehen soll». Die neue Verfassung solle der Kirche auch eine tragende theologische Basis geben; mit ihr, so Brändlin, «möchten wir Aufbrüche in unserer Kirche mitunterstützen und anregen».
Die Pfarrerin, die in der Aargauer Landeskirche die Seelsorge leitet, betonte die Ausrichtung der neuen Verfassung am Auftrag, das Evangelium zu von Jesus Christus in Wort und Tag zu verkündigen. «In diesem Sinn soll unsere Kirche eine mission-shaped church sein.» Der Missionsbefehl in Matthäus 28,19 sei ein «grundlegender katechetischer Auftrag», der alle im Blick hat und auf ein Lehren ohne Milieuverengung zielt. Dazu kommt Seelsorge. Brändlin verwies auf das Aargauer Konzept, wonach Kranke aufgesucht werden und ihnen das Evangelium verkündet wird, «in Sorgfalt, Klarheit und in einer einladenden Haltung».
«Mitarbeiter in Christus»
Urban Federer, Abt von Einsiedeln, legte seinen Wahlspruch «Mitarbeiter in Christus» (in der Grussliste des Römerbriefs, 16,8) aus. Der dort erwähnte Urbanus sei im Rom des Kaisers Nero wohl dagewesen «für Suchende, Skeptiker, Unruhige und solche, die mehr vom Leben erwarten». Darum gehe es auch heute: «Entweder wir stehen den Menschen bei in Christus und sprechen ihnen das Wort der Vergebung und der Hoffnung zu, oder wir haben unseren Auftrag verfehlt.»
Der Benediktiner-Abt nahm den Satz aus der Ordensregel auf: «In Christus sind wir alle eins». Mit diesem Satz habe Benedikt im 6. Jahrhundert Sklaven und Freie auf dieselbe Stufe gehoben, sie miteinander zum gleichen Dienen, zur Arbeit verpflichtet. Als weitere nahrhafte ökumenische Wurzeln nannte Abt Urban Augustinus und den Mystiker Heinrich Seuse; von ihnen zog er Linien zur unruhigen, Sinn-suchenden Postmoderne.
«Vor Ort mit dem Heil in Kontakt kommen»
Wer einem Mitmenschen beistehen wolle, müsse selbst durch dieses «in Christus» geformt sein: «Wir brauchen heute Gottesfreundinnen und Gottesfreunde, die Menschen beistehen – über die Konfessionsgrenzen hinweg. Wir müssen uns nicht in erster Linie erkennen als: Ach, Du bist aus der Freikirche, reformiert, orthodox, christ-katholisch oder römisch-katholisch? Gottesfreunde und -freundinnen erkennen sich zuerst als Getaufte, und wissen, dass sie als solche anderen beistehen können – zusammen für die gemeinsame Sache des Evangeliums in unserer Gesellschaft!»
Für die Weitergabe des Glaubens spitzte Abt Urban dies zu: «Wir brauchen … Väter und Mütter, keine Verwalter von Strukturen … Väter und Mütter im Glauben führen in die Tiefe, lassen die Kinder erahnen, warum unser Herz unruhig ist und was in Christus zu gewinnen ist, wenn wir dieses Herz zu Gott führen.» Diese Väter und Mütter im Glauben brauche es vor Ort – dies dürfe bei Strukturreformen (grössere Seelsorgeräume) nicht vergessen werden. «In solche Berufungen sollten wir investieren, wenn wir wollen, dass Menschen konkret und vor Ort mit dem Heil in Kontakt kommen, dort wo diese leben, leiden und suchen.»
Kirchliche Erneuerung als Abenteuer
Christian Hennecke, im katholischen Bistum Hildesheim für Seelsorge zuständig, setzte mit einer Mahnung ein: Im Streben nach Erneuerung der Kirche darf nicht eine bestimmte kirchliche «Konstellation der Christuserfahrung mit der Begegnung mit Christus selbst» verwechselt werden. Denn Kirche ist nicht Selbstzweck; es geht um «ein beständiges Abenteuer der Entdeckung der Wege, auf die uns unser Ursprung, Jesus Christus, führt». Was bei der Geburt der Kirche geschehen sei, solle nicht als Vergangenheit gesehen werden, sondern als jeweilige Gegenwart. Das mache die Erneuerung immer wieder zu einem Abenteuer.
Hennecke hat Aufbrüche in England studiert. Er riet davon ab, «irgendein – vielleicht auch geniales – kirchliches Modell zu implantieren oder zu exportieren». Viel mehr gehe es um eine «Ur-Sprungsbewegung hin zu den Menschen» – mit dem Interesse: sie zu lieben und ihnen die Fülle des Lebens zu zeigen. Als Beispiel nannte Hennecke einen Anglikaner, der in einer Londoner Vorstadt einen Skaterclub gründete. In dessen Schoss entstand eine Skaterchurch mit einer Mitarbeiter-Gemeinschaft. fresh expression of church heisst, «sich in die ‹andere Welt› einzulassen, die eigenen inneren Bilder zu verlassen, um die Bilder der anderen aufzunehmen, und in der jeweiligen Welt, die ja eigentlich fremd ist, das Evangelium und die Leidenschaft für die Liebe neu zu sagen.»
Gott sammelt Menschen
Christian Hennecke äusserte, Verkirchlichung und Vergemeinschaftung als menschliches Bemühen entspreche noch nicht der Sammlungsbewegung Gottes. «Denn er ist es, der in sein Volk sammelt, und uns stünde gut an, dieser Sammlungsbewegung Gottes wahrnehmend zu folgen: Wie macht er es heute? Welche neue Formen entstehen...?»
Die Teilnehmenden in der Grossen Aula der Uni Fribourg lud er ein, sich einzulassen «in Beziehungswirklichkeiten, in denen, im gemeinsamen Erzählen und Hören, neue Formen der Kirche erwachsen: klein und fragil … Dann aber geht es beim Ur-Sprung in der Tat um ein Hineinspringen in die verwundete Welt, um aus der Kraft der dreifaltigen beziehungsreichen Liebe durch diese Wunden hindurch zu neuen Formen und Gestalten der Kirche zu finden, die an vielen Orten Zeugnis für die Gegenwart des Heils geben kann.»
Unschätzbarer Segen für die Menschheit
Das Heil wird durch den einen Priester erwirkt. Graham Tomlin, anglikanischer Bischof von Kensington (London), verdeutlichte in einem beziehungsreichen Vortrag den Segen, den Jesus Christus als Hoher Priester der Menschheit zukommen lässt. Sein Weg besteht nach dem Hebräerbrief aus Abstieg (Inkarnation und Sühne durch den Opfertod am Kreuz) und Aufstieg (Auferstehung und Himmelfahrt). Graham Tomlin benannte drei Facetten des priesterlichen Wirkens von Jesus: Vermittlung (göttliche und menschliche Natur), Vollendung der Schöpfung und Hingabe/Anbetung. «Durch Christus stellt Gott die Menschheit wieder her, gibt ihr den rechten Platz und Auftrag in der Welt.»
Priester des Höchsten
Am Priestertum von Jesus erlangen jene Anteil, die ihm gehören und sich erneuern lassen: Sie dürfen Segen an die Menschheit vermitteln, an der Vollendung der Schöpfung mitwirken und einstimmen in den Chor der Anbeter. Tomlin formulierte die drei Facetten im Blick auf die Menschheit, die Kirche und die Diener der Kirche. Und fasste Gottes Ziel unter dem Aspekt des Priestertums Christi zusammenzusammen: Diener segnen die Kirche, die Kirche die Menschheit, diese die Schöpfung – und diese lobt Gott.
Darin, so der anglikanische Theologe, zeigt sich Gottes ursprüngliche Absicht in der Schöpfung: Freude – nicht Leistung oder Erfolg oder Reichtum! Die Kirche hat vor allem Menschen zu bilden, damit sie ihre Berufung (Schöpfung bewahren und entwickeln) wahrnehmen.
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